Junta, Militärputsch, Kriegsrecht... Die Türkei sah sich in ihrer Geschichte mehrmals damit konfrontiert. Aber in der Nacht vom 15. Juli 2016 zum 16. Juli 2016 wurde sie mit einem nicht vertrauten Putsch-Konzept konfrontiert, der die Türkei in den Manifesten erschütterte.
Es war die blutigste Nacht, die Uniformierte in der türkischen Geschichte jemals zu verantworten hatten und die seit dieser Nacht als Terror der FETÖ (Fetullahistische Terrororganisation - angelehnt an den Führer der Gülen-Bewegung, Fethullah Gülen) landesweit bekannt wurde. Mitunter werden sie auch als Terroristen der Parallelstaat-Operation (PDY) bezeichnet und unter dem Sammelbegriff FETÖ/PDY geführt.
Die Regierung, Politiker, Militärs wie auch Akademiker sowie Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sind sich absolut sicher, dass die Gülen-Bewegung hinter dem Putschversuch steckt, der von Fethullah Gülen angeführt wird.
Wer ist eigentlich Fethullah Gülen?
Fethullah Gülen verstand es von Anbeginn an, sich mit der Politik und den Regierungen zwischen 1960 bis 1999 zu verstehen und im Hintergrund die Fäden zu spinnen, bis er sich in die USA absetzte, so der einhellige Vorwurf. Fethullah Gülen zeigte seine wahre Seite, die außerhalb seiner Organisation selten zu sehen war, dann auch im Ausland im Jahre 1999. In einem durchgesickerten Video wies er seine Anhänger an, „sich in den Arterien des Systems zu bewegen, ohne dass jemand Eure Existenz bemerkt, bis Ihr alle Machtzentren erreicht habt [...] Bis die Bedingungen reif sind, müssen sie [die Anhänger] so weitermachen.“
Später beschwor er seine Anhänger zur absoluten Verschwiegenheit (Gülen ist nicht gerade für Transparenz bekannt) ein und erklärte: „Jetzt habe ich Ihnen allen meine Gefühle und Gedanken mitgeteilt – im Vertrauen [...] Ich vertraue auf Ihre Loyalität und Geheimhaltung. Ich weiß, dass Sie, wenn Sie hier weggehen, genauso wie Sie Ihre leeren Saftkisten entsorgen, auch die Gedanken und Gefühle, die ich hier zum Ausdruck gebracht habe, verwerfen werden und müssen.“
Weshalb stürzte aber dieses Machtkonstrukt im Staat, dass sich über 50 Jahre entwickeln konnte, langsam in sich ein? Weil es laut Experten bei seiner Entwicklung immer mehr Leben verdrängte, Karrieren vorzeitig beendete, die Zukunft anderer massiv störte, ja sogar auf dem Weg zur Macht Tod und Verderben brachte. Diese zerstörten Leben, diese zerstörten Karrieren, diese Toten, die Hunderttausende betrafen, ja Millionen Angehörige mit betrafen, sollten irgendwann Rechenschaft verlangen. Denn, sie hatten eine Schneise der Verwüstung hinterlassen.
Präsident Erdogan hatte den Weg dafür geebnet, als er sich gegen Korruptionsvorwürfe gegen das Kabinett und damit auch gegen ihn abwehrte, gewaltsame Proteste zerschlug, unzählige Skandale zwischen 2010 bis zum Putschversuch, darunter den MIT-Skandal überstand, Gülen-Schulen schloss (2013-2014), Gülen-nahe Medien zerschlug, ja sogar Treuhänder für Konzerne und Banken einsetzte, die der Gülen-Bewegung nahestanden und die Finanzader darstellten. Je mehr Erdogan gegen die Gülen-Bewegung vorging, desto heftiger wurden die Ausschläge im Land, desto gewaltsamer die Reaktionen der FETÖ/PDY.
Der ehemalige Generalstabschef İlker Başbuğ erklärte während einer Forumsitzung des Rotary Clubs kurz nach dem gescheiterten Putschversuch in Zusammenhang mit dem aufgenommenen Kampf gegen die Fethullah Gülen-Bewegung, Erdogan habe nach 2012 den Kampf gegen die FETÖ allein geführt; er sei ganz allein gewesen; er sei in manchen problematischen Fragen von der Politik im Stich gelassen worden.
Staatsorgane erlangen langsam ihre Souveränität zurück
Der eigentliche Niedergang begann zwischen 2014-2015 mit Aktivitäten des Generalstabs, dem Hohen Rat der Richter und Staatsanwälte (HSYK), Geschädigten im Militär wie auch der Politik bzw. Personen des öffentlichen Lebens sowie zivilen Kreisen, die sich auf die Fahne geschrieben hatten, der FETÖ/PYD das Handwerk zu legen.
Die Regierung setzte sich innerhalb der HSYK durch, die Belegung der Posten neu zu besetzen. In den Streitkräften wurden die Sondereinsatzkräfte sowie der militärische Nachrichtendienst gestärkt. Das zwang das terroristische Spionagenetzwerk, unter dem vorherrschenden Druck sich aus der Deckung zu begeben, medial in Erscheinung zu treten, Fehler zu begehen.
Konkret fiel u. a. Zekeriya Öz, ehemaliger Generalstaatsanwalt in der Untersuchung des Korruptionsskandals gegen die Regierung vom 17-25. Dezember 2013, auf. Er war aufgrund dieses Drucks sehr stark in Erscheinung getreten und wurde von der HSYK im Januar 2016 entlassen. Öz wurde vorgeworfen, für die FETÖ/PDY den Korruptionsvorwurf erhoben und juristisch verfolgt zu haben. Darauf aufmerksam gemacht hatte der Verein für Juristische Einheit (Yargıda Birlik Derneği), die von 85 Juristen aller politischer Richtungen 2015 gegründet wurde, um das FETÖ/PDY-Netzwerk innerhalb der HSYK aufzudecken.
Die Richter und Staatsanwälte, die sich Zugang zum "Kosmischen Zimmer" des Generalstabs verschafft hatten, wurden im Februar 2016 von ihren Posten enthoben. Bis heute ist nicht konkret bekannt, welche militärischen Geheimnisse im Detail nach außen durchsickern konnten. Bekannt ist nur, dass informelle Mitarbeiter des militärischen Nachrichtendienstes im Nordirak, in Nordsyrien sowie im Südosten der Türkei namentlich preisgegeben wurden.
680 Richter und Staatsanwälte wurden im März 2016 vom Rat der Richter und Staatsanwälte (HSYK) vorläufig suspendiert. Die HSYK koordinierte und überwachte zu der Zeit rund 24.000 Richter und Staatsanwälte im Land. Bereits zu dieser Zeit erklärte Halil Koç von der Ersten Kammer der HSYK, dass die erste Mission der HSYK darin bestehe, die FETÖ aus den eigenen Reihen zu entfernen. Die FETÖ wurde somit offiziell auch innerhalb der HSYK beim Namen genannt.
Gegen suspendierte 54 Richter und Staatsanwälte erhob die Generalstaatsanwaltschaft im März 2016 Anklage wegen Amtsmissbrauch in Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die sogenannte Selam Tevhid-Gruppe und damit auch gegen Admiräle der Marine in Zusammenhang mit dem Vorschlaghammer-Prozess. Im selben Zeitraum wurden Ermittlungen gegen Staatsanwalt Zafer Kılınç sowie Richter Serdar Ergül wegen Amtsmissbrauch in Zusammenhang mit der Aneignung von militärischen Geheimnissen aus der Marinebasis Izmir aufgenommen. Die Generalstaatsanwaltschaft ging davon aus, dass die Beamten über 831 Marinesoldaten und Offiziere ausspioniert und die Daten an fremde Organisationen weitergegeben hatten.
Der wohl wichtigste Grund der FETÖ/PYD, den Putsch bereits im Juli zu starten war, dass der Oberste Militärrat (türkisch: Yüksek Askerî Şûra, YAŞ) ihre alljährliche Sitzung für Anfang August bekannt gab und Medien den General der Gendarmerie Yaşar Güler für den Generalstab favorisierten. Güler war kein Unbekannter, war er doch einer der ersten, der die Strukturen der FETÖ innerhalb der Gendarmerie aufdeckte und in der Generalität sich als FETÖ-Jäger erwiesen hatte. Wäre Güler zum Generalstabschef gewählt worden, wäre die FETÖ innerhalb der türkischen Streitkräfte innerhalb kürzester Zeit aufgeflogen, so wohl die Befürchtung der FETÖ/PDY.
Wie konnte die FETÖ sich derart, wie Metastasen im Staat ausbreiten? Einen Grund deckten Ermittler auf, als sie längst in ad acta gelegte nachrichtendienstliche Erkenntnisse der Polizei erneut durchforsteten und dabei auf einen Bericht eines Inspekteurs der Türk Telekom stießen. Dieser hatte bereits 2010 eine Anzeige gegen Unbekannt gestellt und erklärt, dass die Telekommunikationswege der Staatsorgane wie dem Nachrichtendienst MIT, den Botschaften oder dem Präsidialamt wie auch Innenministerium womöglich angezapft und Daten ins Ausland übertragen werden. Die anschließenden Ermittlungen des Generalstaatsanwaltschaft in Istanbul deckten eines der größten Abhöraktion in der türkischen Geschichte auf, die erst Ende 2015 in seiner ganzen Dimension erfassbar wurde.
Dr. Cihat Yaycı, Generalmajor a.D. der Marine, erklärt seit Jahren, dass die Fethullah Gülen-Bewegung bereits in den 1970er Jahren begonnen habe, sich u. a. innerhalb der Streitkräfte einzunisten. Vor allem habe die Gülen-Bewegung sich zuallererst im Bildungs- und Ausbildungssystem der Streitkräfte etabliert, um danach mit fingierten Aufnahmeprüfungen und Eignungstests Abgänger der Gülen-Schulen einzuschleusen und die Strukturen der türkischen Streitkräfte so zu infiltrieren, wie jüngst Yaycı wiederholte.
Laut Yaycı müsse man damit rechnen, dass diese Jahrgänge bereit in Dienstgrade aufgestiegen sind, die bis zur Generalität reichen. Wenn man die bislang untersuchten Listen der aufgenommenen Anwärter für Militärakademien zwischen 1965 bis 2010 hochrechne, deren ebenfalls überprüften Prüfungszeugnisse hinzuziehe, die stets mit Bravour ausgezeichnet worden seien, dann müsse man davon ausgehen, dass weit über 60 Prozent des Offizierskorps vor dem Putschversuch aus den Reihen der Gülen-Bewegung stammt.
Besorgniserregend sei vor allem, dass die FETÖ/PDY es nicht nur dabei beließ, sondern regulär aufgenommene Anwärter ohne einen Gülen-Bewegung-Hintergrund, mit fingierten Disziplinarmaßnahmen oder Mobbing aus dem Offizierskorps herausdrängten. Daher spricht Yaycı nicht nur stets von einem terroristischen Netzwerk, sondern vor allem von einem Spionagenetzwerk, dass das allgemeine natürliche Recht des Anderen mit höchst kriminellen Mitteln entzogen habe. Die FETÖ/PDY habe somit Hunderttausenden in der Türkei die Lebensgrundlage entzogen, Leben zerstört, so Yaycı.
Yaycı, der 2020 einer bevorstehenden Entlassung zuvorkam und in den vorzeitigen Ruhestand ging, entwickelte kurz vor dem Putschversuch ein Programm namens "FETÖMETRE", mit der Mitglieder des FETÖ/PDY-Netzwerks innerhalb der Streitkräfte herauskristallisiert werden sollten. Mit diesem Programm wurden innerhalb der Marine rund 4.000 Angehörige gefunden, die dem Gülen-Netzwerk nahestanden und die daraufhin entlassen wurden.
Die FETÖ/PDY war aber, und das darf man nicht vergessen, nicht nur in der Justiz, in den Streitkräften oder Polizei aktiv, sondern auch im Bildungswesen und vor allem in der Politik. Letztere hat die Aufarbeitung nur in Teilen vollzogen, laut Experten haben sich lediglich die Koalitionsparteien AKP und MHP grundlegend damit beschäftigt und aus ihren eigenen Reihen Politiker mit Verbindungen zur FETÖ/PDY – wenn auch still und leise - herausgedrängt.
Aber was passierte nun am 15. Juli 2016 eigentlich? Was gab der FETÖ/PDY den letzten Anstoß, den geplanten Putschversuch, um mehrere Stunden vorzuziehen? Als die FETÖ/PYD am 15. Juli 2016 die Aktivitäten im Generalstabshauptquartier bemerkten, gerieten sie aufgeschreckt von den monatelangen militärischen, juristischen und medialen Verfolgungen in Panik und zogen den bereits für den 16. Juli um 03:00 Uhr geplanten Putschversuch um 6,5 Stunden auf den 15. Juli 2016 um 20:30 Uhr vor. Hier eine Timeline dazu:
15. Juli 2016
Am 13. Juli 2016 wird Major O.K. von seinem Vorgesetzten der Luftwaffe, Major Deniz Aldemir, während des Urlaubaufenthalts auf dem Handy angerufen. Aldemir erklärt, dass er seinen Urlaub abbrechen und am Freitag, den 15. Juli unbedingt den Dienst antreten solle.
[Major O.K. war laut eigenen Aussagen selbst Mitglied der Gülen-Bewegung, hatte Gülen-Schulen besucht, heiratete nach der Abitur und Eintritt als Berufssoldat gemäß der Richtlinie der Sekte durch Auswahl aus einem Katalog, eine willige ledige Frau aus der Gülen-Bewegung. Diese Heiraten wurden von Gülen-Imamen überprüft und abgesegnet. 2013 stellte O.K. aber fest, dass die Gülen-Bewegung eine Bedrohung sei, weshalb er begann, die Lage selbstständig zu sondieren – das geht aus den Verhörprotokollen der Generalstaatsanwaltschaft hervor.]
Am 15. Juli 2016 steigt Major O.K. während der Mittagszeit in das Fahrzeug von Major Deniz Aydemir ein. Während der Fahrt fordert Aydemir O.K. auf, das Handy auszuschalten und dreht das Radio auf. "Ich weiß, dass du von der Hizmet [Gülen-Bewegung] bist. Heute Abend gibt es Aktivitäten, ich hole mit einem Cougar [Mehrzweckhubschrauber] Hakan Fidan [damaliger Chef des Nachrichtendienstes MIT], du fliegst mit Murat Bolat, es wird viel Blut fließen." erklärt Aydemir während dieser Fahrt.
[O.K. gibt nach dem gescheiterten Putschversuch später im Verhör an, er habe bereits während dieser Zeit geahnt, dass da etwas gegen den Staat unternommen wird, weshalb ihm als erstes der Nachrichtendienst eingefallen sei.]
Um 13:55 verlässt Major O.K. sein Dienstrevier und sendet Aydemir eine Message, in der er angibt, nicht mitfliegen zu können.
Um 14:20 Uhr, betritt Major O.K. ein Nebengebäude der MIT und gibt an, Informationen über Personen zu haben, die in der Armee einem Parallelstaat angehören. O.K. wird hereingelassen und in einen Warteraum überführt.
Um 15:00 Uhr betreten zwei MIT-Mitarbeiter den Raum, nehmen die Aussagen des Majors auf, stellen Fragen, wollen wissen, weshalb man Hakan Fidan abholen wolle und in welchem Zusammenhang er das "viel Blut fließen" sehe. O.K. erklärt, dass er einen Putsch vermutet, weil man ja offensichtlich Gewalt anwenden werde.
Um 16:00 Uhr, nach dem die Identität des Majors überprüft worden ist, versucht Nachrichtendienstchef Hakan Fidan den stellvertretenden Generalstabschef und gegenwärtigen Verteidigungsminister Generalleutnant a.D. Yaşar Güler zu erreichen, der sich zu der Zeit in einem Meeting befindet. Güler erhält jedoch eine Notiz über den Anruf, verlässt das Meeting und ruft um 16:15 Uhr zurück. Fidan erklärt, ein Offizier sei heute in die MIT-Zentrale gekommen und habe wichtige und dringliche Informationen angegeben. Er werde seinen Stellvertreter schicken, der die Details erklären werde.
17:32 Uhr, der stellvertretende Nachrichtendienstchef erreicht das Generalstabshauptquartier, informiert Güler und verlässt um 17:45 Uhr das Büro des stellvertretenden Generalstabschefs. Zu dieser Zeit informiert Güler auch den Generalstabschef Hulusi Akar, der sofort Fidan anrufen lässt, um ihn in das Hauptquartier zu bitten. Fidan folgt der Bitte, es gibt eine Unterredung, wobei Fidan feststellt, dass es sich hierbei um einen kleinen Fall handle, der aber größere Dimensionen erreichen könne.
Um 18:15 Uhr erlässt Generalstabschef Hulusi Akar einen allgemeinen Flugverbot für alle militärischen Flüge ab 19:00 Uhr. Zeitnah bestellt er Heereskommandeur Salih Zeki Çolak ein, fordert ihn auf, jedweden Flug, der ab dieser Zeit beantragt werde, kategorisch abzulehnen, Militärangehörige in Arrest zu nehmen, die diesem Befehl nicht folgen.
Um 18.30 Uhr ruft Hakan Fidan den Chef des Personenschutzdienstes des Präsidialamtes an, der sich mit Präsident Erdoğan in Marmaris befindet. Fidan frägt nach, ob er genügend Personal und Waffen habe, um einen Angriff abzuwehren und betont es noch einmal, woraufhin Muhsin Köse ihm versichert, dass er die nötigen Kräfte habe.
[Laut der CNN Türk gab Erdoğan nach dem gescheiterten Putschversuch in einem Interview an, erstmals ca. um 20:00 Uhr über einen möglichen Coup erfahren zu haben.]
Unterdessen erreicht um 18:48 Uhr Heereskommandeur Salih Zeki Çolak das Hauptquartier des Heeres und der Luftwaffe, um sich ein Lagebild zu machen. Um 19:12 Uhr ruft Çolak seinen Vorgesetzten Hulusi Akar an, um mitzuteilen, dass es keine Auffälligkeiten gebe.
20:22 Uhr verlässt Hakan Fidan das Generalstabshauptquartier in Begleitung von Oberleutnant Kübra Yavuz.
[Yavuz wird nach dem Putschversuch in Arrest gestellt.]
Dieses Ein- und Ausgehen hochrangiger Militärs, des Chefs der MIT und der Befehl Akars, versetzen den Parallelstaat in Zugzwang. Der eigentliche Plan, den Coup um 3:00 Uhr nachts durchziehen, wird auf 20:30 Uhr vorverlegt.
20:30 Uhr, trotz des Flugverbots für militärische Luftfahrzeuge, wird aus der Befehlszentrale der Luftwaffe der Befehl ausgegeben, alle Flüge freizugeben. Zu dieser Zeit haben sich 33 Soldaten eines Sondereinsatzkommandos in Richtung Generalstabshauptquartier in Bewegung gesetzt.
Um 20:46 Uhr kehrt Generalmajor Mehmet Dişli ins Hauptquartier des Generalstabs zurück, die er 40 Minuten zuvor verlassen hat und begibt sich ins Dienstzimmer des Beraters von Hulusi Akar, Oberst Orhan Yıkılkan.
Dişli betritt um 21:00 Uhr zusammen mit Yıkılkan sowie Levent Türkkan, der rechten Hand von Akar, mit weiteren Soldaten das Dienstzimmer von Akar, erklärt ihm, dass es einen Putsch gebe und er dieses Befehligen und fortsetzen solle. Akar weigert sich, wird daraufhin gewaltsam gefesselt und geknebelt.
Um 21:25 Uhr erreichen 33 Soldaten, die von der Luftwaffenbasis Akıncılar aufgebrochen waren, den Generalstabshauptquartier. Um dieselbe Zeit will Çolak das Hauptquartier verlassen.
Um 21:30 Uhr wird der stellvertretende Generalstabschef Yaşar Güler mit verbundenen Augen und an den Händen gefesselt aus dem Generalstabshauptquartier geführt und in ein Fahrzeug gesetzt. Der diensthabende Wachoffizier Oberstleutnant Osman Tolga Kılınçarslan bemerkt es, wird von den Putschisten daraufhin beschossen. Kılınçarslans begleitender Wachoffizier Leutnant Muhammet Reşit Budak erwidert die Schüsse und erschießt den Schützen und einen ersten Putschisten Mehmet Akkurt.
Über die übernommene Personalplan-Stabsstelle (MEDAS), in der auch Nachrichten und Meldungen des Militärs verteilt werden, senden die Putschisten um 21:37 Uhr Mobilisierungs- und Einsatzbefehle an alle Streitkräfte.
Es ist 21:48 Uhr, als eine Liste über die MEDAS geteilt wird, in der die Befehlsstruktur neu vergeben wird. Die Liste wird im Namen der Kommandeure Mehmet Partigöç sowie Cemil Turhan gesendet, die Vorgesetzte der Personalplan-Stabsstelle sind. In der Liste werden 94 von insgesamt 326 Generäle und Admirale namentlich genannt, die in den Streitkräften ihre neuen Positionen antreten sollen. 167 Generäle und Admirale werden nicht versetzt, 61 weitere werden in den höheren Rang befördert, die Position des Generalstabs, des Heeres- sowie Marinekommandeurs bleiben unbesetzt.
[Nach dem gescheiterten Putschversuch werden von 229 Generälen und Admiralen, die in der Liste als Offiziere aufgelistet und die ihren Dienst unter diesem Dienstgrad und in ihrem bisherigen Einsatzort weiterhin verbleiben sollten, 148 entlassen. Vier Generäle und Admirale kündigen, 31 werden in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, zwei gehen freiwillig in den Ruhestand und nur 34 Generäle und Admirale bleiben weiterhin im Dienst.]
Es ist 21:49 Uhr, als Oberstabswachtmeister Bülent Aydın beim Versuch von Putschisten erschossen wird, Heereskommandeur Salih Zeki Çolak aus den Fängen der Putschisten zu befreien, der zu der Zeit am Eingang festgehalten wird. Çolak`s Personenschützer Burak Aydın wird am Bein verwundet.
Um 21:50 Uhr hebt eine Maschine vom Flughafen in Ankara ab. An Bord der Oppositionschef der CHP, Kemal Kılıçdaroğlu, der auf den Weg nach Istanbul ist.
Um 22:09 Uhr sperren Putschisten die ehemalige Bosporus-Brücke (Brücke der Märtyrer des 15. Juli-Brücke) sowie die Fatih Sultan Mehmet-Brücke in Istanbul. Zeitnah wird die Zentrale der staatlichen TV- und Rundfunkanstalt TRT in Ankara von Putschisten unter Kontrolle gebracht. Über Ankara fliegen in Tiefflug F-16 Kampfflugzeuge.
Das Rathaus des Oberbürgermeisters von Istanbul im Stadtteil Saraçhane wird von Putschisten um 23:00 Uhr übernommen. Bei den anschließenden Tumulten zwischen Putschisten und Zivilisten, werden fast zwei Dutzend Menschen getötet.
Zur selben Zeit landet die Maschine mit Kılıçdaroğlu auf dem Flughafen Istanbul-Atatürk.
Ministerpräsident Binali Yıldırım spricht um 23:03 Uhr zum ersten Mal in einem TV-Kanal von einem Putschversuch. Yıldırım erklärt, „dieser Versuch wird nicht geduldet. Wer es tut, wird den höchsten Preis zahlen. Es gibt einen Aufstand einer Gruppe innerhalb des Militärs.“
Um 23:05 Uhr wird Generalstabschef Hulusi Akar von den Putschisten Mehmet Dişli, Fırat Alakaş sowie weiteren Soldaten der Sondereinsatztruppe aus dem Hauptquartier geführt und von dort mit einem Mehrzweckhubschrauber in die Luftwaffenbasis Akıncılar geflogen.
Um 23:13 Uhr versperren zwei Mannschaftstransporter der Putschisten den VIP-Zu- und Ausgang des Flughafen Istanbul-Atatürk.
23:23 Uhr verlassen die zwei Mannschaftstransporter der Putschisten den VIP-Zu- und Ausgang des Flughafen Istanbul-Atatürk.
Um 23:29 Uhr verlässt Oppositionschef Kemal Kılıçdaroğlu den Flughafen unbehelligt über den VIP-Ausgang.
In Ankara wird um 23:24 Uhr das Hauptquartier der Sondereinsatzkräfte von Kampfflugzeugen bombardiert.
Um 23:25 Uhr wird der Flughafen Istanbul-Atatürk von Putschisten für den Flugverkehr gesperrt.
16. Juli 2016
Um 00:09 Uhr wird die Zentrale des Nachrichtendienstes MIT von Kampfhubschraubern beschossen.
Zwei Minuten später, um 00:11 Uhr verlässt Präsident Erdoğan die Sommerresidenz des Präsidialamtes in Richtung Flughafen Istanbul-Atatürk.
Um 00:13 Uhr muss die TV-Sprecherin der TRT unter Waffengewalt das Dekret der Putschisten in einer Live-Sendung verlesen.
Präsident Erdoğan spricht um 00:37 Uhr an Bord eines Fliegers in einer Live-Schaltung der CNN Türk zum Volk und ruft sie auf die Straßen. Laut Erdoğan gebe es einen Putschversuch einer Minderheit des türkischen Militärs.
Aus den Minaretten klingt um 00:40 Uhr landesweit der Sela-Ruf, eigentlich der Aufruhr an Gläubige zum Gebet.
Um 00:45 Uhr veröffentlichen Putschisten auf der offiziellen Webseite des Generalstabs den Umsturz sowie das Dekret dazu.
Die türkische Nachrichtenagentur Anadolu Ajansı teilt um 00:50 Uhr mit, das Generalstabschef Hulusi Akar von Putschisten gefangen genommen wurde. Zur selben Zeit stürmen Putschisten eine Hochzeitsfeier, in der auch Luftwaffenkommandeur Abidin Ünal sowie 22 weitere Luftwaffen-Generäle anwesend sind. Die Hochzeitsgäste werden von Putschisten festgesetzt.
Um 00:57 Uhr wird in Ankara-Gölbaşı die Satelliten-Schaltzentrale der TÜRKSAT bombardiert. Übers Internet kann lediglich Hayatın Sesi TV weltweit Live für geraume Zeit über den Putschversuch berichten.
Ab 1:00 Uhr fordern Generäle sowie Admiräle in Live-Schaltungen die Putschisten auf, den Umsturz zu beenden und sich zu ergeben. Des Weiteren erklären sie, dass der Putsch scheitern werde.
In Ankara wird ab 01:01 Uhr das Polizeipräsidium des Landes bombardiert.
Um 1:39 Uhr beginnt im Nationalparlament eine Dringlichkeitssitzung des Parlamentsausschusses.
1:40 Uhr, Putschisten geben den Schießbefehl auf Zivilisten auf den gesperrten Brücken über den Bosporus.
Die marxistisch-leninistische und hoxhaistische Arbeiterpartei EMEK teilt in einer Pressemitteilung um 1:50 Uhr mit: „Weder ein Putsch noch eine Ein-Mann-Diktatur. Eine säkulare, demokratische Türkei!“
2:00 Uhr werden die ersten Putschisten von Sicherheitskräften in Gewahrsam genommen.
2:16 Uhr, Unteroffizier Ömer Halisdemir eröffnet das Feuer gegen die Putschisten unter dem Befehl von Brigadegeneral Semih Terzi, als diese das Gebäude der Spezialeinheiten in Ankara unter dem Kommando von Generalleutnant Zekai Aksakallı betreten wollen. Halisdemir hatte sich zuvor von Aksakallı verabschiedet, der ihm den Befehl gab, niemanden hereinzulassen. Halisdemir erschießt Terzi, wird dabei aber selbst getötet.
Um 2:20 Uhr wird die Zentrale der polizeilichen Sondereinsatzkräfte bombardiert. 42 Polizeibeamte werden dabei getötet.
2:42 Uhr, Kampfflugzeuge, die über Ankara fliegen, bombardieren das türkische Nationalparlament. Parlamentarier begeben sich daraufhin in das sichere Untergeschoss des Parlamentsgebäudes. Die Angriffe werden dabei fortgesetzt.
Die TV- und Rundfunkanstalt TRT nimmt um 3:00 Uhr wieder den Normalbetrieb auf, nach dem die Putschisten im Gebäude festgenommen werden. Zeitgleich eröffnen Putschisten auf dem Luftwaffenstützpunkt Akıncılar das Feuer auf Zivilisten, die sich dem Areal nähern.
Um 3:20 Uhr landet ein Jet mit Erdogan an Bord auf dem Flughafen Istanbul-Atatürk.
3:27 Uhr stürmen Putschisten den Sitz der Doğan Medya Center in Istanbul, aus der u.a. CNN Türk sendet.
Um 4:00 Uhr in der Früh erlässt die Generalstaatsanwaltschaft in Ankara die ersten Haftbefehle gegen Putschisten.
4:42 Uhr - eine Sondereinheit des Militärs unter der Führung von Putschisten landet mit Kampfhubschraubern in der Nähe der Sommerresidenz des Präsidenten in Marmaris. Es kommt zu heftigen Schusswechseln mit Sicherheitskräften.
Um 6:40 Uhr ergeben sich Putschisten auf der Bosporus-Brücke.
[Über die Nacht hinweg wurden auf der Brücke 32 Zivilisten sowie 2 Polizeibeamte ermordet. Unter den Putschisten wurden zwei Soldaten und 5 Offiziere getötet.]
Das Gebiet um den Präsidentenpalast in Ankara-Beştepe wird um 6:43 Uhr von Kampfflugzeugen bombardiert.
6:52 Uhr: Anstelle von Generalstabschef Hulusi Akar wird stellvertretend der Kommandeur der 1. Armee General Ümit Dündar einberufen.
Um 7:50 Uhr erklärt Innenminister Efkan Ala, dass fünf Generäle sowie 20 Oberst von ihren Posten enthoben wurden.
Um 8:32 Uhr wird Generalstabschef Hulusi Akar von Sondereinsatzkräften des Militärs auf dem Luftwaffenstützpunkt Akıncılar befreit.
Die Gendarmerie erklärt um 8:36 Uhr, dass die Befehlskette wieder hergestellt wurde.
Um 9:42 Uhr nimmt die Generalstaatsanwaltschaft in Ankara die Ermittlungen gegen General der Luftwaffe Akın Öztürk sowie gegen Generalleutnant Metin İyidil von der Heerestruppe auf. Ihnen wird Landesverrat vorgeworfen.
Um 9:46 Uhr teilt das Generalstab mit, dass über 700 Wehrpflichtige sich der Polizei gestellt hätten.
Ministerpräsident Binali Yıldırım erklärt in einem Presseinterview um 12:25 Uhr, dass der Putschversuch gescheitert ist und die Ordnung wiederhergestellt wurde. Des Weiteren befänden sich insgesamt 2.839 Offiziere und Soldaten in Polizeigewahrsam.
Um 16:08 Uhr werden gegen 140 Mitglieder des Kassationshofs sowie 48 Staatsratsmitglieder Haftbefehle ausgestellt.
Um 20:02 Uhr wird der Richter des Verfassungsgerichts Alparslan Arslan in Polizeigewahrsam genommen.
Um 21:57 Uhr nimmt die Generalstaatsanwaltschaft in Ankara Untersuchungen gegen insgesamt 2.745 Richter und Staatsanwälte auf. Es werden zum Teil Festnahmen ausgesprochen.