Der 15. Juli in der Türkei

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Heute jährt sich in der Türkei der brutale Putschversuch der Terrororganisation FETÖ (Sekte der Gülen-Bewegung) zum sechsten Mal. Noch immer gibt es viele offene Fragen. Wieso wusste z.B. der US-amerikanische Informationsdienst STRATFOR, wo sich der Flieger des türkischen Staatspräsidenten aktuell befindet? Oder, was hat es damit auf sich, dass kurz vor dem Jahrestag ein Kurzfilm über 6 ehemalige Militärkadetten in 14 Sprachen veröffentlicht wird?

Militärangehörige, Politiker, Journalisten und Experten in der Türkei sind sich einig, dass die FETÖ in der Türkei zwar geschwächt ist, aber vereinzelte Mitglieder immer noch verdeckt im Staatsapparat sitzen. Die wehrhafte Demokratie, so der Grundtenor, habe sich insbesondere am 15. Juli erstmals bewiesen und ein weiterer ähnlicher Umsturzversuch sei aufgrund dessen kaum mehr durchführbar und deshalb nicht mal in Erwägung zu ziehen. Sorgen bereiten dafür jene Mitglieder der Gülen-Sekte, die sich ins Ausland abgesetzt haben, die Propagandamaschinerie der Gülen-Sekte mit am Laufen halten und damit das Ansehen der Türkei mutwillig konterkarieren.

Die Ereignisse von vor 6 Jahren haben innerhalb der türkischen Bevölkerung ein tiefes Misstrauen zementiert, die es schon zuvor gab, aber bis dahin nicht direkt ausgesprochen wurde. Seit dem 15. Juli 2016 ist man offen der Ansicht, dass der „Westen“ wenn schon nicht direkt involviert, dann doch indirekt über den Putschversuch informiert war. Manche sind der Ansicht, dass der „Westen“ insgeheim einen Machtwechsel erwartete, um danach die ureigenen Interessen leichter durchsetzen zu können.

Als am nächsten Tag des Putschversuches in der öffentlichen Wahrnehmung alles auf die FETÖ-Drahtzieherschaft hindeutete, waren westliche Medien noch damit beschäftigt, die toten Putschisten und verhafteten Helfer effektvoll den Konsumenten zu präsentieren. Die Hunderten zivilen Opfer des gescheiterten Putschversuchs wurden weder namentlich noch mit Bildern erwähnt und das wird bis heute weiterhin gemieden. Diese Wahrnehmung wirkt in der Türkei bis heute nach und verstärkt sich umso mehr, je länger der Westen sich sträubt, Putschisten an die Türkei auszuliefern.

Der Blaue Bus

Dafür präsentieren sich jetzt ehemalige türkische Militärkadetten in 14 Sprachen als Opfer der türkischen „Willkürjustiz“, als Opfer eines Unrechtstaates. Aus dem sicheren europäischen Ausland heraus präsentierten mehrere Gülen-nahe Medien kurz vor dem diesjährigen Jahrestag ein Kurzfilm über 6 ehemalige Militärkadetten, die ihre Version des Putschversuchs erklären und dabei den türkischen Staat in ein zwielichtiges, bisweilen hässliches Licht rücken. Ein bekanntes Spiel, dass die Gülen-Sekte bis zur Perfektion beherrscht.

Bei dem Kurzfilm unter dem Titel „Der Blaue Bus | 15. Juli Fakten: Kadetten melden sich zu Wort!“ kommen 6 ehemalige Militärkadetten zu Wort, die sich nach der Verhaftung und Inhaftierung, dann nach der Entlassung sofort ins Ausland, vorwiegend nach Schweden absetzten. Schweden gilt als sicherer Hafen für Gülenisten.

Von hier aus und mithilfe von hochrangigen Mitgliedern der Gülen-Sekte, erzählen diese Personen, wie sie während der Putschnacht von diensthabenden Offizieren in der Militärakademie mobilisiert, dann in Bussen von Yalova in Richtung Istanbul gebracht wurden. Kurz vor dem Ziel seien die Busse jedoch von aufgebrachten Menschen aufgehalten worden.

Es wird suggeriert, dass sie per Zufallsprinzip ausgewählt und in die Busse eingestiegen seien. Vor allem wird der Eindruck erweckt, das aufgebrachte Volk habe es auf sie, also die Armee, abgesehen. Im weiteren Verlauf des Kurzfilms werden mysteriöse Schüsse und Personen ins Spiel gebracht. Man habe sie lynchen wollen, was aber aufgrund ihrer geistesgegenwärtigen Zurückhaltung und Bewahrung der Ruhe abgewendet worden sei.

Danach richtet man im Kurzfilm das Interesse auf die Polizei sowie das Sondereinsatzkommando des Militärs. Hier wird unterstrichen, wie die jungen Militärkadetten nach der Verhaftung misshandelt, wie sie geschlagen und gemartert, vor Gericht ihrer Zukunft ein für allemal beraubt worden seien.

Im gesamten Kurzfilm wird mit keiner Silbe erwähnt, dass unter 4.029 Militärkadetten, die im Rahmen der FETÖ-Untersuchungen festgenommen wurden, 1.917 geständig waren, sprich, eine direkte Verbindung zur Gülen-Sekte hatten. Das sind über 53 Prozent aller Militärkadetten im gesamte Land, vor allem in Ankara, Izmir und Istanbul. Im Kurzfilm wird nicht erwähnt, dass alle teilnehmenden Akteure sich bereits ins Ausland abgesetzt haben. Es wird nur vereinzelt angedeutet, dass die Eltern und Bekannten ihnen angeraten hätten, ihre Zukunft anderswo zu suchen.

Vor allem widersprechen diese 6 ehemaligen Militärkadetten in diesem Kurzfilm den Angaben aller anderen Kadetten sowie der Polizisten und Zivilisten, die bei den Tumulten, insbesondere auf der Autobahn E80 auf Höhe der Stadtgemeinde Sultanbeyli, mit anwesend waren. 

Es fielen Schüsse, aber aus der Besatzung der Busse heraus und nicht wie man in diesem Kurzfilm andeutet, aus irgendeiner Hecke, an der angeblich ein Polizist beteiligt gewesen sei. Bei einem der festgenommenen Offiziere dieses Bus-Konvois fand man u.a. eine Namensliste von 116 Militärkadetten. Das heißt, dass diese Kadetten an diesem Tag bewusst ausgewählt wurden und in die Busse eingestiegen sind und nicht, wie man suggeriert, als „Frischfleisch“ unbewusst und ohne Hintergrundwissen aus purem Zufall in einen Putschversuch hineingeschlittert sind. 

Sie unterschlagen dabei, dass die Aufnahme in die Militärakademien von Gülenisten innerhalb der Armee ermöglicht wurde, wenn denn der Anwärter die Voraussetzungen erfüllte. Die wären: man wurde von Gülenisten in jungen Jahren in Schulkursen, in langjährigen Aufenthalt in Lichthäusern ideologisch gedrillt und zeigte seine Ergebenheit gegenüber der Sekte.

Zum anderen geben die Personen im Kurzfilm an, man habe ihnen vor dem Einsteigen in die Busse jeweils ein Gewehr und 3 Patronen in die Hand gedrückt. Man gibt dabei vor, dennoch keinen Verdacht gehegt zu haben, obwohl während der gesamten Laufbahn der Ausbildung eines Kadetten keine Waffe, geschweige denn, scharfe Munition außerhalb der Militärakademie ausgegeben wird. Laut der Aktenlage waren aber in den Bussen 3 Kisten an Munition (3.000 Stück 7,62 × 51 mm NATO) sowie entsprechend viele Gewehre. Es wurden an den voll ausgerüsteten Kadetten insbesondere an Jacken und Gürteln Kassetten mit scharfer Munition beschlagnahmt.

Zwar wiegen sich die 6 Personen nun in Unschuld, weil sie ja nicht direkt in Kampfhandlungen verwickelt waren, aber die Medaille hat nun mal zwei Seiten. Wären die Kadetten auf dem Weg zum Einsatzgebiet nicht vom Volk mit massivem Aufgebot aufgehalten worden, wären sie direkte Komplizen, ja sogar Mitverantwortliche eines blutigen Putschversuchs, wie sie u.a. auf der Bosporus-Brücke bis in die Morgenstunde hinein zu beobachten war. 

Dort wurden unter dem stundelang anhaltenden Kugelhagel der Offiziere und Militärkadetten Dutzende Zivilisten vor den Augen des Volkes getötet, hunderte verletzt. Es versteht sich von selbst, dass diese stundenlang anhaltende Extremsituation auf der Bosporus-Brücke bei einigen zivilen Beteiligten jede Hemmschwelle abbaute und es auf der Brücke nach dem Scheitern des Putschversuchs zu Übergriffen der extremen Art gegenüber den Kadetten und Offizieren kam.

Das aber ändert nichts daran, dass diese 6 ehemaligen Militärkadetten trotz der aufgebrachten Menschentraube die Lage halbwegs heil überstanden, sich aber dennoch mitschuldig gemacht haben. Unwissenheit schützt bekanntlich nicht vor Strafe und diese 6 Personen entzogen sich zusätzlich und geflissentlich der türkischen Justiz, um im Ausland im Schoß derselben Sekte Schutz zu suchen, die zuvor doch bewusst das „Frischfleisch“ an die vorderste Front schickte. Wer unter den ehemaligen 4.029 Kadetten, würde diesen Fehler gleich zweimal begehen? Weshalb stellen sich diese ehemaligen Kadetten einem Kurzfilm zur Verfügung, die professionell erstellt und in 14 Sprachen medienwirksam von Gülen-nahen Medien ausgerechnet kurz vor dem Jahrestag veröffentlicht wird?

STRATFOR und ihre Tweets

Der US-amerikanische Informationsdienst STRATFOR veröffentlichte während der Putschnacht ab 3 Uhr innerhalb von 20 min 5 Tweets mit Live-Tracking-Daten des Fliegers des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. An und für sich nichts außergewöhnliches, weil in jedem Luftfahrzeug ein Transponder ständig die Flugdaten sendet und damit für jeden sichtbar wird, sofern man die Kennung bzw. das Flugzeug kennt. 

Aber zurück zum Anfang: In den frühen Nachmittagsstunden sucht ein Luftwaffen-Major die Zentrale des türkischen Nachrichtendienstes MIT in Ankara auf, um seine Beobachtungen am beheimateten Militärstandort mitzuteilen. Der Major gibt gegenüber zwei Ermittlern der MIT an, dass offenbar eine Entführung oder Festsetzung des MIT-Direktors Hakan Fidan geplant sei und jederzeit umgesetzt werden könnte. Im MIT werden die Angaben gegengeprüft. Der Direktor Hakan Fidan wird darüber informiert. Fidan informiert daraufhin den Generalstab, die dann um 18 Uhr eine Dringlichkeitssitzung anberaumt, an der auch Hakan Fidan teilnimmt. Um 18:30 Uhr wird vom Generalstab der Befehl erteilt, dass alle militärischen Luftfahrzeuge am Boden zu bleiben haben. Man ist offensichtlich der Meinung, dass die Entführung oder Festsetzung eines Beamten der MIT nur ein Puzzle eines viel größeren Planes ist.

Von diesem Befehl aufgeschreckt, ziehen die Putschisten ihren für 3 Uhr angesetzten Coup vor und starten ab 22 Uhr ihren Putschversuch ausgehend vom ehemaligen Luftwaffenstützpunkt Akinci bei Ankara. Zeitnah starten vom Flugplatz schwerbewaffnete Mannschaftshubschrauber in Richtung Marmaris, wo sich zu der Zeit der türkische Präsident im Sommerurlaub befindet.

Um kurz vor 2:30 Uhr landen die Mannschaftshubschrauber in der Nähe des Hotelkomplexes, 8 km außerhalb der Stadtmitte von Marmaris. Zu der Zeit hat der türkische Präsident vorgewarnt das Hotel längst verlassen und landet mit einem Hubschrauber auf dem Flughafen von Dalaman. Im Hotelkomplex selbst liefern sich derweil schwerbewaffnete Putschisten, alle Mitglieder von Spezialeinheiten, mit der örtlichen Polizei ein Gefecht, bei der zwei Beamte getötet werden.

Als der Flieger des türkischen Präsidenten von Dalaman abhebt, und in Richtung Istanbul fliegt, twittert STRATFOR die ersten Abbilder des Live-Trackings des Flugzeugs vom Typ Gulf 5, in der Erdogan Passagier ist. Das interessante dabei ist, dass außer Erdogan, seinen Personenschützern sowie den Piloten, niemand wusste, welches Flugzeug genommen wird, um nach Istanbul zu gelangen. Denn, kurz zuvor hatten der Personenschutzdienst 3 weitere Flugzeuge beordert, um den Präsidenten sicher nach Istanbul zu bringen. Diese landeten - wie die Gulf 5 in Dalaman, auf den Flughäfen von İzmir, Aydın (Çıldır) sowie Milas

Um das Verwirrspiel perfekt zu machen, starteten in Dalaman noch vor der Gulf 5 zwei weitere Flugzeuge mit Kennungen des Bereitschaftsdienstes der Luftwaffe des Präsidialamtes. Dennoch wusste STRATFOR zeitnah und richtig, in welchem Flugzeug Erdogan sitzt und veröffentlichte die genommene Flugroute der Gulf 5.