Noch ehe die türkische Opposition ihren Spitzenkandidaten auserkoren und vorgestellt hat, haben Haustürken in Deutschland den Wahlkampf offiziell eröffnet. Im Magazin STERN scheint man offensichtlich über die Führungsstärke der Bundesregierung nicht begeistert zu sein, weshalb man gleich mehrere Seiten Recep Tayyip Erdoğan gewidmet hat. Na denn, besser kann es für Erdoğan ja nicht laufen!
Die in dieser Woche losgetretene allgegenwärtige Dämonisierung Erdoğans und der einseitige Kampagnenjournalismus in Deutschland wird die AKP-Wähler noch mehr zusammen rücken lassen, unentschlossene türkische Wähler aufgrund der allgegenwärtigen Hasstiraden, Wutreden und dem Geschirrlärm veranlassen, auf den Tisch zu hauen. Nicht das erste Mal, dass das für die AKP wahlentscheidend war. Erdoğan gewinnt, die türkische Opposition verliert wieder einmal. Weshalb? Deshalb:
Wahlkampfflaute in der Türkei
Die türkische Opposition steht immens unter Druck. Erdoğan ist ein gewiefter Taktiker, ein Politiker durch und durch, weshalb er als ersten Schritt die Wahlen auf den 14. Mai vorgezogen hat. Damit steht der 6´er Tisch vor dem Dilemma, ihren Spitzenkandidaten so schnell wie möglich vorzustellen, der gegen Erdoğan antreten soll. Aber wer und vor allem, wenn nicht jetzt, wann dann?
HDP als Steigbügelhalter für den 6´er Tisch
Heute hat das türkische Verfassungsgericht einen Eilantrag der völkisch-kurdischen Partei HDP abgewiesen. Im Antrag forderte die HDP das Verfassungsgericht auf, das Parteiverbotsverfahren erst nach den Wahlen zu erlauben. Damit scheiterte die HDP jetzt, weshalb das Verfahren fortgesetzt wird. Das heißt, das Gerücht, wonach die von der Terrororganisation PKK initiierte HDP ihre Sitze und Stimmen dem 6´er Tisch zuschanzen könnte, bekommt mit diesem Urteil eine neue Dynamik.
6´er Tisch muss sich von der PKK distanzieren oder nicht!
Der 6´er Tisch mit den Hauptakteuren CHP sowie IYI-Partei müssen nun Tacheles reden, was es mit diesen Gerüchten auf sich hat. Stimmt es nun, dass man der HDP die Hintertür offenlassen will, um noch halbwegs eine Chance zu bekommen? Inzwischen hat der stellvertretende Vorsitzende der IYI-Partei, Cihan Paçacı, seine Ämter in der Partei niedergelegt, nachdem er zuvor während des heutigen Treffens des 6´er Tisches sein Veto gegen eine Kandidatur des CHP-Vorsitzenden Kemal Kılıçdaroğlu öffentlich bekannt gegeben hatte. Das sind die ersten größeren Risse am Tisch, die zu einer Spaltung führen kann.
Haustürken setzen auf Völkerrechtlerin Baerbock
Und in all diesem Trubel setzen Haustürken dem noch nach, die offensichtlich meinen, den türkischen Wahlkampf, der naturgemäß auch nach Deutschland schwappt, zugunsten der Opposition beeinflussen zu können; auch mithilfe der Bundesregierung. Die ist unter der Ampelregierung, vor allem in Bezug zur Völkerrechtlerin Annalena Baerbock geradezu erpicht darauf, der Türkei die Leviten zu lesen, weshalb es auch einen „Schuss vor den Bug“ gab, in dem man den türkischen Botschafter einbestellte.
Nur, wen tangiert das? Die Türken in Deutschland verfolgen jede Handlung, jede Geste, jedes Wort sehr genau. Es überrascht sie keineswegs, wenn Baerbock auf Ezidisch Tweets vom Stapel lässt, aber bislang noch keine Silbe türkisch zu stammeln imstande war.
Baerbock und Kılıçdaroğlu sind Fehl am Platz!
Irgendwie erinnert Baerbock die Türken an den Oppositionellen Kemal Kılıçdaroğlu, der genauso wenig Ahnung von nationaler oder internationaler Politik hat, geschweige denn redegewandt ist. Da bietet sich Recep Tayyip Erdoğan geradezu an, wiedergewählt zu werden, weil man sich die Türkei ohne ihn schon gar nicht mehr vorstellen kann; was auch eine richtige Schlussfolgerung des STERN-Journalisten Jonas Breng ist.
Und was sagt Breng noch so? Erdoğan sei „auf der internationalen Bühne derzeit der Mann der Stunde. Ein gewiefter Strippenzieher, der alle Fäden in der Hand hält, der hier Konflikte forciert, sie dort wieder beruhigt.“
Die Waffenbruderschaft
Für einen Augenblick könnte man nach dem Durchlesen der Zeitschrift STERN der Annahme verfallen, Breng sehne sich inmitten einer anhaltenden Weltwirtschaftskrise, dem Ukraine-Krieg sowie den anderen wirkmächtigen geopolitischen Gewitterwolken ebenfalls nach einer starken politischen Führung.
Man kann es Jonas Breng nicht verübeln, wenn im Artikel Wehmut durchklingt. Sein Kanzler hadert mit sich selbst und der Welt, die Außenministerin stammelt was von Völkerrecht und ist kurz davor, eine Kriegserklärung zu überbringen. Währenddessen jongliert der Waffenbruder seit Monaten, ja Jahren gekonnt auf einem schmalen Grat, was nicht nur die Weltgemeinschaft entzückt, sondern das türkische Volk selbst.
Und das ist ja das entscheidende in der Türkei. Es sind Macher gefragt, Politiker, auf den Verlass ist, die seit Jahren mehr Erfolge vorweisen können als Niederlagen. Politiker, die die Zukunft malen, statt Zukunft düster zu zeichnen, Visionen vorstellen, statt diese Visionen in Abrede zu stellen.
Deutsche Monopolstellung über türkischen Wahlkampf
Über die politischen Lagergrenzen der Türkei hinweg ist im Laufe der letzten Jahre das Misstrauen gegenüber den politischen und medialen Meinungsführern der Mehrheitsgesellschaft in Deutschland stets gestiegen. Insbesondere die etablierten politischen Parteien in Deutschland und die Leitmedien werden von vielen Türken als Instrumente einer „gelenkten Demokratie“ wahrgenommen, die bewusst darauf angelegt ist, bestimmte politische Lager zu stigmatisieren.
Geschadet hat es letztendlich den türkischen Oppositionsparteien selbst, die stets damit konfrontiert wurden, verlängerte Arme eines imperialistischen Westens zu sein. Dieser Vorwurf mag stimmen oder nicht, dieser Glaube hat sich aber mit dem Zerfall des Osmanischen Reiches etabliert und mit der jungen Türkischen Republik sogar verfestigt. Soeben wird dieser Glaube wieder populär, gerade weil Haustürken mit involviert sind. Dieses parasitäre Hintergrundrauschen war mitentscheidend dafür, dass das türkische Volk die letzten 20 Jahre auf Erdoğan gesetzt hat; nicht so sehr die wahlberechtigten Türken in Deutschland, deren Stimmenanteil marginal und kaum wahlentscheidend ist.