Recep Tayyip Erdoğan verhindert die NATO-Erweiterung, weil Schweden und Finnland die völkisch-kurdische PKK unterstützen. Mit seinen Forderungen an die beiden skandinavischen Länder kann sich der Staatschef auf eine breite, durchmischte Basis in der Türkei stützen.
Finnland und Schweden wollen der NATO beitreten, weil sie die russische Aggression in der Ukraine fürchten. Doch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hält unbeirrt an seinem Veto fest und verhindert die Aufnahme. Der Grund: Die Länder unterstützen die verbotene völkisch-kurdische Arbeiterpartei PKK und ihren syrischen Ableger YPG, die in der Türkei seit mehr als 40 Jahren als Staatsfeinde gelten. Dementsprechend verfolgt die Türkei die PKK und ihre Ableger.
Das spüren die Terrororganisationen nicht nur in der Türkei, sondern auch im benachbarten Syrien oder im Irak. Am Donnerstag bombardierte das türkische Militär Hochburgen der völkisch-kurdischen Selbstverwaltung in Syrien, die von der PKK kontrolliert wird.
Wie ernst Ankara diese Staatsfeinde nimmt, konnte man beim Rückflug von Erdoğan aus Baku nach Ankara erkennen. Erdoğan sagte am Sonntag, solange er Präsident der Republik Türkei sei, werde Ankara dem NATO-Beitritt von Ländern, die den Terrorismus unterstützten, nicht zustimmen.
Ein zweites Mal will Ankara den Fehler nicht mehr begehen, einen NATO-Beitrittswunsch anstandslos anzunehmen. Der erste sei, so Erdoğan, der NATO-Beitritt Griechenlands im Jahr 1980 gewesen. Dieser sei auf die lasche Reaktion der damaligen türkischen Führung zurückzuführen, erläuterte Erdoğan und kommentierte: Strategisch „ein schwerer Fehler“, den er bei einer Erweiterung vom Finnland oder Schweden möglichst verhindern wolle.
Bei diesem Thema kann Erdoğan nicht nur auf seine Partei oder die Koalition setzen, sondern auch auf einen breiten durchmischten Zuspruch in der Türkei. Das sieht Marion Sendker laut der ZEIT-Online ebenso. Zwar würden laut Sendker viele europäische „Beobachterinnen und Beobachter im Westen“ Erdoğans Argumente als vorgeschoben betrachten, was einer Erpressung gleichkomme, aber in der Türkei sehe das anders aus:
„Ein Großteil der Bevölkerung und fast die gesamte politische Opposition stehen hinter Erdoğan. Bei fast keinem anderen Thema sind sich Türken und Türkinnen so einig, wie bei der PKK. Sie repräsentiert das türkische 9/11, gestreckt über 40 Jahre mit mehr als 40.000 Toten auf beiden Seiten. Das sind umgerechnet fast drei Menschenleben pro Tag.“
In der Türkei glaubt laut Sendker niemand mehr an die politischen Forderungen der PKK nach mehr Rechten für Kurdinnen und Kurden oder, dass die PKK die Demokratie verteidige. „In der Türkei kaufen ihr das selbst viele Kurden und Linke nicht mehr ab.“ erklärt Sendker.
Das erkennt man alltäglich in Istanbul oder Diyarbakir, wo seit Jahren kurdische Mütter und Väter gegen das Verschwinden ihrer Kinder – mutmaßlich in die Berge an der türkisch-irakischen Grenze, wo PKK-Zellen sie ideologisch und militärisch ausbilden. In Diyarbakir sitzen die Mütter und Väter nun fast 3 Jahre vor dem Parteigebäude der völkisch-kurdischen Partei HDP. Vor vier Tagen war es genau der 1000´ste Tag, ohne dass es die Partei an sich groß interessiert hätte.
Genauso uninteressiert betrachtet die Mehrheit der kurdischstämmigen Bevölkerung in der Türkei die HDP, die als politischer Flügel der PKK gilt. Einhellig wird die PKK nicht mehr als „Vertreterin der „kurdischen Sache“ gesehen.“ so Sendker weiter.
In Europa hat sich der Stimmungswandel noch nicht etabliert, weil es auch konsequent ignoriert wird. Noch immer werden zwei Aspekte vermengt, die längst überholt sind: mehr kulturelle Rechte für eine kurdische Minderheit und das militärische wie ideologische Anliegen der PKK und deren Ableger im In- wie Ausland.
Laut der ZEIT-Online warnt der Turkologe Walter Posch vom Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der Landesverteidigungsakademie in Wien vor der PKK: „Die PKK ist kein kurdischer Selbstzweck, sondern sie will einen neuen, revolutionären Menschen erschaffen“ Posch zufolge habe er in den vielen Veröffentlichungen der PKK geforscht und dabei keine Demokratie entdeckt, vielmehr einen Kommunismus, „der selbst die Sowjetunion moderat erscheinen lässt“.
Für Ankara geht es um weit mehr als nur Antikommunismus oder die NATO-Erweiterung. Hier geht es um eine Terrororganisation, die seit mehr als 40 Jahren sich mit der Türkei einen Guerillakrieg liefert. Ausgerechnet NATO-Länder unterlaufen dabei die Sicherheitsinteressen der Türkei und zwei weitere Anwärter sollen hinzustoßen.
Die Terrororganisation PKK wird indirekt über Drittmittel aus EU-Ländern finanziert, die einerseits über sogenannte kurdische Kulturvereine fließen, andererseits unter dem Deckmantel der Demokratieförderung den Weg ins türkisch-syrisch-irakische Grenzgebiet finden. Daneben finanziert sich die PKK mit illegaler Einwanderung, Drogen- und Menschenhandel, was ein Europol-Bericht zudem bestätigt hat.
Seit Jahren unterstützen Schweden und Finnland die PKK in Nordsyrien, treffen sich hochrangige Landesvertreter mit Vertretern der PKK. Mehrmals wurde Ankara laut. Das letzte Mal musste sich die schwedische Außenministerin Ann Linde vom türkischen Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu während einer Presssesitzung eine Standpauke anhören.
Laut europäischem Empfinden haben die Ableger der PKK in Nordsyrien (YPG) sich im Kampf gegen die IS als wirksam gezeigt. Das mag stimmen, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die YPG dabei massive Luftunterstützung der westlichen Anti-IS-Koalition bekam.
Zudem kommt hinzu, dass die Türkei lange davor dem Westen deutlich gemacht hatte, in Nordsyrien eine Flugverbotszone einzurichten, was kategorisch abgewiesen wurde. Da hatte sich die IS noch erst gar nicht formiert. Als die PKK dann mitten in den Verhandlungen mit Ankara den Tisch verließ, um in Nordsyrien das Machtvakuum zu füllen, konnte der Westen nicht schnell genug eine Koalition aufbauen.
Das und viele weitere Aspekte haben in der Türkei, aber vor allem unter den Kurdinnen und Kurden einen faden Beigeschmack hinterlassen. Niemand glaubt daran, dass die YPG ohne Anweisung von der PKK arbeitet.
Im Grunde weiß es der Westen besser, nicht erst seit einer Podiumsdiskussion von US-General Raymond Thomas in Aspen-Colorado, im Jahre 2017 oder jüngst durch den früheren US-Botschafter im Irak und in der Türkei, James Jeffrey, der am Rande der Istanbuler Sicherheitskonferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung zugab: "Die YPG assoziiert mit der PKK, sie ist mehr oder weniger seit Langem ihre Abteilung für Syrien.“