Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat gestern den Wahltermin auf den 14. Mai angesetzt. Ein symbolträchtiger Tag, an dem auch die 27-jährige Regierungsära der CHP unter Präsident Ismet Inönü zu Ende ging. Was will Erdoğan uns damit sagen?
Vor 73 Jahren endete die längste Regierungszeit der CHP unter dem damaligen Präsidenten Ismet Inönü. Inönü steht, sofern man seinen Namen auf den Befreiungskrieg eingrenzt, für einen der fähigsten Mitstreiter Mustafa Kemal Paschas.
Politisch verstanden sich Inönü und Atatürk nach dem Befreiungskrieg jedoch nicht mehr. Gegensätzlicher konnten die politischen Ansichten dieser Befreiungskriegshelden nicht sein. Ein Beispiel: Während Atatürk dafür war, dass der Aufstand von 1937 in der Provinz Tunceli notfalls mit Gewaltanwendung niedergeschlagen wird, war Inönü ein vehementer Gegner dieser Pläne.
Es ist kein Zufall, dass Atatürk als Staatspräsident seinen Ministerpräsidenten Ismet Inönü dazu drängte, sein Amt an Celâl Bayar abzutreten. Bayar war ebenfalls ein treuer Mitstreiter Mustafa Kemal Paschas während seiner Zeit in der Widerstandsgruppe Kuvâ-yi Milliye.
Wieso erzähle ich das? Was es mit dem Wahltermin zu tun hat? Nun, die unerschütterliche Haltung zu Atatürk, seine treue und stringente Haltung zu politischen Ansichten Atatürks und zum Land, rettete Celâl Bayar das Leben. Denn, am 15. September 1961 wurde Celâl Bayar zusammen mit Adnan Menderes und weiteren Politikern zum Tode verurteilt. Ihnen warf man nach dem Militärputsch vom 27. Mai 1960 vor, Landesverrat begangen zu haben.
Bayar oder Mehmet Fuat Köprülü entgingen dem Strick nur, weil das Putschregime die politische Vorkriegsklasse und das Volk nicht gegen sich aufbringen wollte. Menderes knüpfte man aber auf, weil er in diesem Zusammenhang ein weißes Blatt hatte. Bayar wurde zu lebenslänglich verurteilt, kam jedoch 2 Jahre später frei.
Recep Tayyip Erdoğan setzte den Wahltermin zum 14. Mai an, weil 73 Jahre zuvor die Demokratische Partei (DP) die 27-jährige Regierungszeit der CHP am 14. Mai 1950 mit einem fulminanten Sieg beendete. 10 Jahre später wurde die DP-Regierung vom Amt geputscht.
Was haben die bevorstehenden Wahlen und Atatürk miteinander zu tun? Nun, das Oppositionsbündnis um den 6er-Tisch sinniert seit ihrer Gründung mehr oder weniger darüber, die Amts- und Muttersprache türkisch aufzuweichen, manche Punkte in der Verfassung dahingehend verwässern zu wollen. Und weil das womöglich nicht für einen Wahlsieg reicht, ist man offensichtlich auch bereit, die völkisch-kurdische HDP mit ins Boot zu nehmen, sogar Stimmen von ihr einzufangen.
Was damals ein Streitpunkt zwischen Atatürk und Inönü war, ist heute ein Streitpunkt zwischen der Volksallianz (AKP/MHP Koalition) und dem Bündnis der Nation (türkisch Millet İttifakı, Bündnis zwischen der Republikanischen Volkspartei (CHP) und der Guten Partei (İYİ) sowie der Partei für Demokratie und Fortschritt (DEVA), der Zukunftspartei (GELECEK), der SAADET sowie Demokratische Partei (DP).
Zwischen diesen Bündnissen soll das türkische Volk zu einem historischen Termin wählen gehen, in der es eigentlich nur darum geht, ob man den Weg Inönü's oder Atatürk's geht. Lässt man einem Bündnis von 6 Parteien freie Hand, die Verfassung aufzuhebeln oder setzt man auf zwei Parteien, die an der Verfassung und Staatsideologie Atatürks festhalten wollen? Wählt man einen parteiischen Präsidenten wie Atatürk oder setzt man auf einen parteiischen Präsidenten Inönü?
Etwas komplex, nicht wahr? Aber, wenn man die Geschichte der Türkei kennt, vor allem in den schwierigen und wirren Zeiten während der Ära Atatürks, dann wird der Blick schärfer und die Wahl leichter. Man wählt einen Kandidaten der mit beiden Füßen auf türkischen Boden steht und türkische Interessen vertritt.