Gandhi: Ich dachte, Gott sei britisch, bis Atatürk sie besiegte!

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Vorab, die Aussage in der Titelschlagzeile über Mustafa Kemal Atatürk entstammt nicht von Mahatma Gandhi, dem indischen Führer der Unabhängigkeitsbewegung. Gleichwohl haben gleichlautende Sätze einen wahren Kern, der auch gegenwärtig im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern zum Tragen kommt.

Briten sind keine Götter

Als die indischen Muslime in den Reihen der britischen Besatzungsmacht im Ersten Weltkrieg entsetzt feststellen mussten, dass ihre Beteiligung am Krieg gegen das Osmanische Reich auch das Ende des Kalifats eingeläutet hatte, begann damit auch das Ende der britischen Vorherrschaft über 70 Millionen indische Muslime, die sich mit Mahatma Gandhi gegen die Europäer an sich auflehnten.

Wie die türkische Kampffront hinter Mustafa Kemal Atatürk in Anatolien gegen die europäischen Besatzungsmächte, formierten sich bald indische Glaubensbrüder hinter Mahatma Gandhi. Der Ausgang ist bekannt. Die Befreiungskriege der Türken und Inder erinnern einen daran, dass das Volk und keine Dynastie oder Herrschaft der Welt eine höhere moralische Kraft besitzt. Ob es auch auf die Palästinenser zutrifft? Das kommt auf ihren Willen an!

Die Instinktlosigkeit europäischer Politiker über fremde Befindlichkeiten hatte sie damals nach dem Ersten Weltkrieg schon um den Nimbus ihrer materiellen und geistigen Überlegenheit gebracht. Wie damals ist auch gegenwärtig dieselbe Instinktlosigkeit im langanhaltenden Konflikt in Palästina zu beobachten, die in der Konsequenz das Ende der europäischen Vorherrschaft im Nahen Osten besiegeln wird.

Europäer verlieren halt in der Welt

Schon jetzt hat es Frankreich schwer, sich in Nordafrika zu halten. In Libyen setzten europäische Führer auf das falsche Pferd - statt auf die UN-anerkannten Einheitsregierung, auf den libyschen Warlord Haftar - weshalb sich seit geraumer Zeit in Libyen nur die Türkei blicken lassen darf. Und in Somalia? Dieselbe Geschichte!

Als man mit US-amerikanischer Hilfe den ägyptischen General al-Sisi an die Macht verhalf und den einzigen frei gewählten Ministerpräsidenten Mohammed Mursi vorknöpfen ließ, hatte niemand die Demokratie im Blick, sondern vielmehr die Kontrolle über 100 Millionen Untertanen, die im Konflikt im benachbarten Palästina das Zünglein an der Waage sein könnten.

Heute erhebt sich ausgerechnet die Türkei mit 80 Millionen Stimmen gegen die Kriegsverbrechen der israelischen Regierung, gerade weil Ägypten mit seinem Führer dazu verdammt ist, ruhig zu bleiben, gerade weil die arabischen Herrscher seit dem Ende des Ersten Weltkrieges auf den Schutz der US-Obrigkeit angewiesen sind. Die Zurückhaltung der arabischen Welt zeigt aber, dass nicht nur der Gazastreifen und Westjordanland von einer Besatzungsmacht umringt ist, sondern dass die arabischen Nationen selbst besetzt sind. 

Vielleicht hat es auch mit der Situation an sich zu tun, in der sich die Türken in den Palästinensern wiedererkennen. Denn, vor 100 Jahren standen die Türken auch vor der Wahl zwischen Freiheit und Herrschaft, nahmen das Zepter selbst in die Hand. Nur ihren Glauben und die moralische Überlegenheit hinter sich, warfen sie die Besatzungsmächte im Alleingang aus Anatolien.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte Netanjahu zuletzt bei einer Rede in der Türkei als jenen bezeichnet, der in die Geschichte als "Schlächter von Gaza" eingehen werde. Damit spricht Erdoğan vielen Türken aus der Seele. Nach dem Holocaust hätten aber Europäer instinktiv reagieren müssen, statt einem Massenmord beizuwohnen, der mit der Entmenschlichung des Anderen vor Jahrzehnten begann.

Europäische Werte

Menschenrechte, Demokratie und Souveränität spielten für den Wertewesten zu keiner Zeit eine Rolle, wenn es um fremde Territorien ging. Als die westlichen Koalitionskräfte erst im Irak einmarschierten, sich dann in Syrien festsetzten, da waren die getöteten zivilen Menschenleben bereits wohlkalkuliert und großzügig eingeplant worden. Heute herrschen in diesen Regionen Elend und Hunger, obwohl man behauptete, die Demokratie wieder einführen zu wollen. Die Zahl der verlorenen Menschenleben kann bis heute nicht beziffert werden, sehr wohl aber, wieviel Tonnen Bomben über beide Länder abgeworfen wurden.

Wo unkontrolliert bombardiert wird, da sterben Menschen, und die scheinen groteskerweise in europäischen Gefilden noch hinter den europäischen Wertevorstellungen zu rangieren. Worum geht es eigentlich da? Um Werte? Wer Menschenleben hinter Vorstellungen stellt, die sich lediglich aus "Selbstverteidigung" und "Existenzrecht" speisen, was ist daran dann noch menschlich? Genau daran wird die israelische Regierung moralisch gemessen, und mit ihr das gesamte europäische Establishment, die sich schützend davor stellt!

Gandhi erklärte einst: „Ich mag deinen Christus, aber nicht dein Christentum.“ Derzeit glauben sehr viele im Nahen Osten, in Afrika und in Asien, dass die Europäer und US-Amerikaner auf ihre Kosten reich bleiben wollen und nicht vorhaben, ihre Werte zu teilen. Sie würden kommen, um zum eigenen Wohl das Land auszubeuten, ihren Wohlstand auf ihre Kosten aufrecht zu erhalten. Die Weltregionen verstehen langsam, dass dem Westen ihr Wohlstand weitaus wichtiger ist als das Leben, die Freiheit oder das Glück der anderen, die sie doch anpreisen und vor sich hertragen.

Hamas hat den Kampf längst gewonnen

Genau darum gibt es ja nur ein europäisches und US-amerikanisches verschmitztes Achselzucken über getötete Palästinenser im Gaza oder dem Westjordanland. Deshalb schwelt doch der Konflikt seit über 75 Jahren weiter. Deshalb hat auch die Hamas diesen Krieg zwar taktisch verloren, aber mental wird sie daraus stärker hervorgehen als sonst. Und dieser Krieg wird weiter schwelen und Israel immer mehr schwächen werden. Israel wird zu keinem Zeitpunkt ein friedlicher Ort für Juden und jüdische Siedler, so lange sich die israelische Regierung nicht an den Verhandlungstisch und einen Schlussstrich setzt.