Die Weltranglistenersten aus der Türkei haben sich bei der Volleyball-Europameisterschaft der Frauen den Titel nach einem Fünfsatzkrimi gesichert. Ein Grund zum Jubeln, nicht aber für Politverdrossene, die das eine wohlkalkuliert Betonen, das andere jedoch klammheimlich übergehen.
Die türkischen Volleyball-Nationalspielerinnen machten durch das gesamte EM-Turnier hinweg eine gute Figur und sicherten sich am Sonntagabend in Brüssel den EM-Pokal. In der Heimat und im Ausland ist die Euphorie der Türken über den Sieg der türkischen Volleyballspielerinnen im EM-Finale selbstverständlich groß.
Bis auf manche unnötigen, bisweilen unschönen Zwischenrufe, die über soziale Medien bislang geteilt wurden, bleibt alles im Rahmen, der Freude tut es keinen Abbruch. Der Fokus liegt dabei auf der Nationalspielerin Ebrar Karakurt, die einerseits eine der besten Angreiferinnen ist, andererseits offen mit ihrer Homosexualität umgeht. Das schmeckt manchen nicht.
Schnappschuss von Ebrar Karakurt mit Freundin
Der Grund: Im August 2021 machte Karakurt mit einem Foto von sich und der Freundin auf sich aufmerksam, was die konservative Zeitung Takvim zum Anlass nahm, ihre Offenheit zur sexuellen Orientierung als skandalös zu bezeichnen. Der türkische Volleyball-Verband solidarisierte sich daraufhin demonstrativ mit Ebrar Karakurt. So schnell wie der Wirbel aufkam, so schnell kehrte auch wieder Ruhe ein.
Karakurt nimmt auch sonst kein Blatt vor dem Mund, vor allem wenn es um Politik geht. Vor der Parlaments- und Präsidentenwahl favorisierte Ebrar Karakurt offen das Oppositionsbündnis. Nach der Wahl erklärte sie neckisch, "wir sind jung, knackig und beginnen von vorn!".
Erdoğan verfolgt den Sport, nicht die sexuelle Orientierung
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hält sich von solchen Geplänkeln fern, was ihn jedoch nicht davon abhielt, der Volleyball-Nationalmannschaft zum Sieg am Sonntagabend zu gratulieren und ein Machtwort zu sprechen. Erdoğan hält viel davon, wenn die Jugend sich für Sport begeistert. Entsprechend tatkräftig unterstützt der Staat dabei die Jugend, was auch an den internationalen Erfolgen messbar ist.
2023 CEV Avrupa Şampiyonu olarak hepimize büyük bir gurur yaşatan A Millî Kadın Voleybol Takımımızı, Filenin Sultanları’nı canıgönülden tebrik ediyorum. 🏐🇹🇷
— Recep Tayyip Erdoğan (@RTErdogan) September 3, 2023
Grauer Wolf
Karakurt ist auch bekannt dafür, mit dem Symbol der Türken wettzueifern. Als Halsschmuck, in Bildern von Ihr, in sozialen Beiträgen in Form von Smileys, überall springt der Graue Wolf einem markant ins Gesicht. Aber weshalb auch immer, scheint diese Seite von Karakurt in Deutschland niemand wirklich zu interessieren.
Weder die aufkeimende Karakurt-Fanmeile quer durch die Anti-Türkische Front hinweg, noch der deutsche Journalistentross, wollen das kommentieren; sie übergehen es geflissentlich. Ein Paradoxon tut sich da auf.
Traum vom großtürkischen Reich vs. Homosexualität
Erst jüngst veröffentliche Marion Sendker einen Bericht im Deutschlandfunk über Ebrar Karakurt und der erlebten Angriffe aus streng islamischen Gruppen. Aber es wurde darin kein Wort darüber verschwendet, womit sich die Volleyball-Angreiferin gern schmückt und zur Schau stellt. Sendker ist eigentlich sehr interessiert daran, was die Grauen Wölfe in der Türkei wie im Ausland im Schilde führen, darunter doch den Traum vom großtürkischen Reich verfolgen. Die sexuelle Orientierung von Karakurt, die scheint aber angesichts des Nachrichtenwertes in Zusammenhang mit Erdoğan wichtiger zu sein, weil man von dieser Art der Polarisierung am meisten profitiert.
Massive Hetze von #Erdogan-Anhängern und -medien gegen die Frauen-Nationalmannschaft der #Türkei: Trikots „zu knapp“, Kopftuch-Forderung, Rauswurf-Appell gegen Spielerinnen, weil sie lesbisch sind.
Der #Volleyball-EM-Sieg ist deshalb auch ein Triumph für alle Frauen und Mädchen,… pic.twitter.com/Bunrg0thf3
— Metin Gülmen (@GuelmenM) September 4, 2023
Besonders interessant ist da der X-Post von Metin Gülmen, dem Funke-Medien Journalisten, der eigentlich jede Gelegenheit wahrnimmt, die Grauen Wölfe so richtig schön und bei jeder Gelegenheit ins Rampenlicht zu rücken. Aus welchen Gründen auch immer, Gülmen will partout nicht darauf eingehen, beschäftigt sich vielmehr mit Karakurt und ihrem Lesbendasein in der Türkei sowie stets in Verbindung mit Erdoğan. Karakurts Graue Wölfe stören da offensichtlich nur...
Da der deutsche Journalistentross nach dem türkischen Sieg offenbar entschieden hat, so zu tun, als hätte es diese Europameisterschaft, bei der Deutschland ja immerhin Co-Gastgeber war, gar nicht erst gegeben, können und wollen sie natürlich auch nicht auf Meldungen wie diese eingehen.
Ebrar Karakurt, eine bekennende LGBT-lerin, weltanschaulich sicherlich im links-alternativen Spektrum angesiedelt, verwendet den Grauen Wolf, wie Mesut Özil. Sowas bringt deutsche Journalistendarsteller natürlich in Erklärungsnot, haben sie doch viel Aufwand betrieben, um das türkische informelle nationale Wappentier in das Monopol von Rassisten und Faschisten zu stellen.