Das Zerfallsprodukt des Fethullah Gülen Netzwerks

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Aussteiger, Anhänger und nahe Verwandte von Fethullah Gülen sprechen von einer Geheimorganisation, der Unterwanderung des Staates, Korruption, Verrat an Sektenmitgliedern und der Absicherung durch Taqiyya.

Taqiyya bedeutet „Verstellung“, also das Verbergen von Gedanken, Gefühlen oder Absichten. Der Neffe von Fethullah Gülen, Ebuseleme Gülen, hatte bereits früh das ausgesprochen, was viele schon länger geahnt hatten: Das Fethullah Gülen Netzwerk ging raffiniert vor und ist immer noch in Staatsorganen aktiv. Das beweisen die jüngsten polizeilichen Razzias in der Türkei.

Ebuseleme Gülen und seine Offenbarungen

Der Sohn von Mesih Gülen, dem Bruder des Anführers der Gülen-Sekte, erhob nach dem gescheiterten Putschversuch schwerwiegende Vorwürfe gegen seinen Onkel selbst. Seit dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 haben viele ehemalige Mitarbeiter von einstigem Gülen-Netzwerk ausgepackt, darunter der ehemalige Journalist und ZAMAN-Redakteur Ahmed Dönmez. Seine Videobeiträge über die internen Auseinandersetzungen enthüllen teilweise auch den Werdegang zum Putschversuch, die von der Sekte bislang dementiert oder zumindest geleugnet wurde.

Bereits Anfang 2024 begann jemand aus Gülens Umfeld, jemand aus seiner Familie, sich gegen viele Dinge zu äußern, die lange geleugnet worden waren. Ebuseleme Gülens Vorwürfe waren vielleicht nicht umfangreich genug, doch mit ihm nahm es einen Anfang. Es sprach jemand aus demselben Umfeld wie dem engsten Kreis von Fethullah Gülen.

Wir dürfen nicht vergessen, dass interne ideologische Kritik, Demotivation und Desillusionierung maßgeblich zum Niedergang sektiererischer oder terroristischer Gruppen beitragen. Diese Faktoren können die interne Dynamik und Nachhaltigkeit von Organisationen direkt beeinflussen. Das Aufkommen unterschiedlicher ideologischer Ansichten innerhalb der Organisation und deren Konflikte können zu interner Kritik führen. Solche Konflikte können die Führungsstruktur und Integrität der Organisation gefährden. Insbesondere ideologische Widersprüche oder strategische Fehler in der Führungsebene können zu interner Kritik führen und bis hin zur Selbstauflösung führen.

Folglich kann Kritik an der Führung die Hierarchie und Autorität innerhalb der Organisation schwächen. Ein Beispiel hierfür ist die 1984 von Shoko Asahara in Japan gegründete Aum Shinrikyo-Gruppe, die zunächst mit dem Versprechen von Meditation und spiritueller Erleuchtung Anhänger anlockte und sich schließlich zu einem apokalyptischen Kult entwickelte. Nach den Sarin-Gasangriffen auf die Tokioter U-Bahn 1995, sah sich die Aum Shinrikyo-Organisation nicht nur polizeilicher Repression, sondern auch interner Kritik ausgesetzt. Hideo Murai, der bei Aum Shinrikyo für Wissenschaft und Technologie zuständig war, war einer von Asaharas engsten Beratern, missbilligte jedoch den Einsatz von Gewalt und wurde schließlich innerhalb der Organisation hingerichtet.

Ob es sich um terroristische Organisationen handelt, die von Anfang an offene Gewalt anwendeten, oder um Sekten, die sich radikalisierten und Gewalt anwandten – die meisten dieser Organisationen enden mit internen Abrechnungen und Geständnissen. Ähnliche Prozesse konnten wir bei der Scientology beobachten, gegründet in den 1950er Jahren vom Science-Fiction-Autor L. Ron Hubbard, oder bei Osho, gegründet von einem indischen spirituellen Führer und mystischen Guru. Mike Rinder, ein ehemaliger hochrangiger Scientology-Funktionär, deckte die Aktivitäten der Organisation auf. Auch Oshos persönlicher Sekretär Anand Sheela verursachte den Untergang der Organisation, indem er zahlreiche Skandale, darunter Schikanen und Korruption, innerhalb von Osho aufdeckte.

Ebenso offenbarte Ebuseleme Gülens Kritik an der Führung und seine Behauptungen, diese habe im Zusammenhang mit dem Putschversuch Fehler gemacht, den internen Konflikt innerhalb der Sekte selbst. Untersuchen wir nun, was Ebuseleme Gülen sagte, und versuchen wir anschließend zu verstehen, wie seine Worte innerhalb der Organisation aufgenommen wurden.

Welchen Eindruck kann Ebuseleme Gülen nicht beseitigen?

Man fragt sich dabei zuallererst, ob Ebuseleme Gülen nicht selbst Märchen erzählt, um sich vor der staatlichen Verfolgung zu schützen oder Menschen umzustimmen und auf seine eigene Wagenburg zu ziehen, somit Einfluss zu üben? Dagegen spricht, dass Ebuseleme Gülen augenscheinlich früh auf die Privilegien der Villa in Pennsylvania verzichten musste. Dem Komfort und dem Luxus den Rücken kehren, um dennoch nichts damit erreichen zu können, außer auf YouTube über die Sektenführung zu monieren und nicht ohne weiteres in die Türkei zurückkehren zu können? Oder ist er ein so guter Schauspieler, dass wir auch dieses Spiel nicht durchschauen? Es gibt noch weitere triftige Gründe: Entweder trieb ihn die Rache oder er wollte sein Gewissen befreien und das Erlebte durchspielen. Letzteres erscheint derzeit plausibler.

Ebuseleme gab dem ehemaligen Zaman-Redakteur Ahmed Dönmez ein sehr langes Live-Interview. Aus diesem Interview geht hervor, dass Ebuseleme nicht nur über Gülen spricht, sondern die Führungsspitze selbst; er hatte bereits früher darüber gesprochen. Doch er wurde von der Sektenführung ins Krankenhaus eingeliefert und es wurde behauptet, er sei psychisch instabil. Im Krankenhaus wurde er zunächst von einem ägyptischstämmigen Arzt untersucht, der ebenfalls an Treffen der Gülen-Sekte teilgenommen hatte und feststellte, dass er psychisch instabil sei. Später gelang es ihm, einen russischstämmigen Arzt, der ihn untersuchte, zu überzeugen, dass er innerhalb einer Sektenstruktur gefangen gehalten werde und dass dies unter Zwang geschehen sei, weshalb er entlassen wurde. Offenbar konnte Ebuseleme den russischen Arzt über die Unterdrückung der Mitglieder innerhalb der Sektenorganisation überzeugen, weshalb er einen entsprechenden Attest ausgestellt bekam, und nicht wie zuvor als „verrückt“ abgestempelt wurde.

Werfen wir nun einen kurzen Blick auf die Ereignisse, die Ebuseleme Gülen erlebt haben soll, und die Dinge, die er augenscheinlich nur schwer ertragen konnte. Ich halte zwei Ereignisse, die Ebuseleme schildert, für ziemlich wichtig: eines vor dem Putschversuch und das andere danach.

Der erste Vorfall zeigt, dass die Gülen-Sekte in Wirklichkeit viel mehr eine politische als eine religiöse Gemeinschaft ist. Ihr Ziel ist es weiterhin, sich direkt in die Politik einzumischen. Ebuseleme Gülen zufolge wurde er u. a. darum gebeten, ein Computerspiel zu entwickeln, das Recep Tayyip Erdoğan dämonisieren sollte. Dafür wurde sogar ein Budget von 20 Millionen Dollar bereitgestellt.

Noch interessanter ist die Enthüllung, dass die Gülen-Sekte eine Gaming-Abteilung ausgerechnet unter dem Dach der türkischen Streitkräfte (TSK) unterhielt. Außerdem erfahren wir, dass die Sekte einen Imam für eine digitale Plattform bereithielt. Ebuseleme Gülen wurde zum Leiter dieser Abteilung ernannt. Raten Sie mal, wer den Auftrag erteilt hatte? Adil Öksüz, der nach dem Putschversuch seine Beteiligung an der Sekte bestritt und der als sogenannter Imam der TSK sich mit Ebuseleme Gülen getroffen hatte, und seit dem Putschversuch sich außer Landes aufhält, vermutlich in Deutschland

Sein Schwager, Ali Sami Yıldırım, arrangierte selbst dieses Treffen zwischen Ebuseleme Gülen und Adil Öksüz. Das bestellte Spiel sollte bis zum 17. Juli 2016 fertig sein. Das dabei anvisierte Datum ist relevant. Es sollte wahrscheinlich unmittelbar nach dem Putschversuch in Umlauf gebracht werden, um im Falle eines erfolgreichen Putsches den öffentlichen Aufschrei zu unterdrücken. Ziel des Spiels sollte sein, Erdoğan als böse darzustellen und ihn vor jungen Menschen zu dämonisieren.

Zurück zu Ebuseleme Gülens Interview: Nachdem sie den Auftrag von Adil Öksüz erhalten hatten, reisten sie nach Pennsylvania, um Fethullah Gülen selbst zu treffen. Ziel war es, Gülens Zustimmung zu dem geplanten Vorhaben zu erhalten. Bei diesem Treffen sagte Gülen zu Ebuseleme: „Freunde, sie haben etwas geplant. Bald werden alle Institutionen in der Türkei den Besitzer wechseln, und ihr werdet in sehr wichtige Institutionen berufen. Wenn das passiert, lasst nicht zu, dass unsere Freunde trotz alledem ihre wahre Identität preisgeben.“

Das ist ebenfalls eine entscheidende Passage des Interviews. Sie werden sich erinnern, dass die Putschisten in der Nacht des Putschversuchs sich als „Friede im Inland“ präsentierten und damit suggerierten, die Hüter des säkularen Staates selbst zu sein. Es scheint, dass die Sekte, selbst wenn der Putsch erfolgreich gewesen wäre und alle Institutionen unter Gülens Kontrolle gebracht worden wären, niemals die Verantwortung für den Putsch selbst übernommen und weiterhin versucht hätten, den Eindruck zu erwecken, dass kemalistische Offiziere es zu verantworten haben.

Was geschah nach dem Putschversuch?

Der zweite Vorfall ereignete sich nach dem Putschversuch. Als dieser scheiterte, zog sich Ebuseleme Gülen in die Villa zurück. 2018 forderte die Gaming-Einheit der Sekte ein weiteres Spiel von ihm an. Diesmal wurde die Einheit von Hüseyin Dalan angeführt, einem von Mustafa Özcans Männern, einem engen Verwandten von Konteradmiral Mustafa Zeki Uğurlu, der sich derzeit im Ausland aufhält und ein enger Verwandter eines sogenannten Imams der Marine war.

Dieses Mal wurde Ebuseleme beauftragt, ein Spiel namens „Tickle Meral“ zu entwickeln, das Meral Akşeners (ehemalige Parteichefin der IYI-Partei) politische Karriere und das angestrebte Koalitionsbündnis mit der Opposition aufs Korn nehmen sollte. Dieses Spiel, das einen offenen psychologischen Angriff auf Akşener beinhaltete, sorgte in den sozialen Medien sogar zeitweise für Schlagzeilen. Diese unmittelbaren Eingriffe in die Politik sollen auch in Zusammenhang mit dem Spitzenkandidaten der letzten Präsidentenwahl, Muharrem Ince, vollzogen worden sein. Ince machte nach kurzem Wahlkampf daraufhin einen Rückzieher, auch weil er dem Druck aus sozialen Medien nicht mehr standhielt. 

Ziel war es, das Spiel als von der AKP in Auftrag gegeben darzustellen und Hass gegen die AKP selbst zu schüren. Mit anderen Worten: Die Sekte verfolgte auch nach dem gescheiterten Putschversuch weiterhin politische Ziele, bei der politische Verschwörungen heraufbeschworen, Parteichefs, Kandidaten oder ganze Parteilandschaften gegeneinander ausgespielt oder gestürzt werden sollten.

Ebuselemes Rebellion

Genau hier offenbart sich Ebuselemes offensichtliche unerträgliche Belastung und seine Rebellion gegen die Sekte selbst. Obwohl Fethullah Gülen all dies wusste, weigerte sich diese religiöse Persönlichkeit bis zum Ableben, den Ebuseleme als „Onkel“ und „Lehrer“ selbst verehrte, sich einzugestehen, was wirklich los war: „Moment mal, was macht ihr da?“ 

Im Gegenteil, er bestätigt es und leugnete neben Ebuseleme im Nachgang des gescheiterten Putschversuchs noch, dass er Adil Öksüz kenne und behauptete sogar, dieser könne ein Agent des türkischen Nachrichtendienstes MIT sein. Adil Öksüz, den Gülen stets bestritt und behauptete, nicht zu kennen, war aber mehrfach in die USA geflogen und hatte die Organisation des Putsches mitgeplant. Ebuselemes Anschuldigungen decken sich daher perfekt mit den Informationen, die in der Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft von Ankara vorkommen. Laut Ebuseleme wurde Adil Öksüz ihm als Imam der türkischen Streitkräfte vorgestellt; die beiden hatten sich bereits vor dem Putsch kennengelernt. Warum leugnete aber Fethullah Gülen dies?

Ebuseleme konnte das Schweigen des Onkels offensichtlich nicht länger ertragen und schrieb ihm daher einen Brief, den er zu Lebzeiten persönlich überreichte. Ahmed Dönmez veröffentlichte den gesamten Brief nach Ableben Gülens. Darin fragt Ebuseleme kurz: „Sie sagten, Sie kennen Adil Öksüz nicht. Sie sagten, Sie hätten nichts mit dem Putsch zu tun. Aber wir haben diese Angelegenheiten mit Ihnen besprochen. Was ist also los? Warum haben Sie geschwiegen?“ Natürlich erwähnt er auch die Schläge und Schikanen, die er und sein Bruder in den Gemeinschaftsunterkünften der Sekte erlebt hatten. Gülen antwortet: „Was kann ich tun? Sie haben mich auch ausgetrickst, und ich kann nichts tun.“ In einem Interview mit dem Reporter Ruşen Çakır behauptete Ebuseleme, Gülen sei nicht getäuscht worden, sondern die Führungsspitze sei nach dem Scheitern des Putsches abgesprungen und habe ihren eigenen Weg fortgesetzt.

Vielleicht war dies der Grund für seine Revolte gegen den Onkel: Die hochrangigen Führungskräfte der Organisation waren, nachdem sie das Scheitern des Putschversuch erahnen konnten, auf Nummer sicher gegangen und hatten sich sprichwörtlich aus dem Staub gemacht. Die große Mehrheit der Sekte selbst wurde über Nacht zurückgelassen bzw. sprichwörtlich sitzen gelassen. Zudem waren es dieselben hochrangigen Führungskräfte, die für den Putschversuch verantwortlich gemacht und sich ins Ausland abgesetzt hatten. 

Wie Ebuseleme wiederholt betont hat, erhielten sie trotz allem weiterhin ihre "Umschläge". Anders ausgedrückt: Die ins Ausland geflüchteten Führungskräfte erhielten ihre Gehälter weiterhin aus den gesammelten Spenden der Sektenmitglieder und führten ihr alltägliches Leben unbeschwert weiter, während die in der Türkei verbliebenen Sektenmitglieder entweder inhaftiert wurden oder es in der Mitte der Gesellschaft schwer hatten und deshalb behaupteten: „Wir haben den Putsch selbst nicht zu verantworten; wir wurden verleumdet.“ Offenbar konnte Ebuselemes Gewissen genau das nicht weiter ertragen. Tatsächlich nahm er später die Führungsspitze der Sekte im Ausland einzeln aufs Korn, die heiter und fröhlich auf Fotos posierten und diese in sozialen Netzwerken teilten: „Was macht ihr, wenn eure Mitmenschen bei der Flucht ins Exil im Meriç-Fluss ertrinken oder im Gefängnis Krebs bekommen?“, sagte er.

Der Führungskampf nach Fethullah Gülen

Ebuselemes Proteste blieben innerhalb der Sekte unberücksichtigt und unbeantwortet, und Fethullah Gülen, der Anführer, er schwieg. Dann erkrankte er schwer, die Sekte traf Vorkehrungen, damit er sich nicht weiter äußern oder etwas ausplaudern konnte. Lange Zeit war Gülen gar nicht mehr zu sehen. Ebuselemes Aussage, „Sie haben meinen Onkel aus der Villa entführt“, unterstreicht dies.

Nach Fethullah Gülens Ableben scheint Cevdet Türkyolu der stärkste Kandidat für die Führung zu sein, dass er weiterhin aus der Villa heraus fortsetzen will. Türkyolu ist Gülens rechte Hand, Leibwächter und Sekretär zugleich. Gülen stand bis zu seinem Ableben unter seiner Kontrolle. Auch Mustafa Özcan, Barbaros Kocayurt, Ekrem Dumanlı und die ehemaligen Zaman-Kolumnisten Metin Yıkar, Abdülhamit Bilici und Adem Yavuz Arslan scheinen Cevdet Türkyolu zu favorisieren und fühlen sich mit ihm verbunden.

Ähnlich wie im Fall Ebuseleme, wirft auch der Fall Osman Şimşek einen Schatten auf die Villa in Pennsylvania. Osman Şimşek beschuldigte Cevdet Türkyolu der Korruption, woraufhin dieser gewalttätig wurde und Şimşek von der Villa verwies. Auch Önder Aytaç, ein ehemaliger Polizeichef und Sektenmitglied, erhebt seit langen Vorwürfen gegen Ahmed Dönmez selbst sowie gegen die Sekte, wegen deren Korruption, Schikanen und illegalen Aktivitäten innerhalb der Organisation. Aytaç behauptet, dass Spendengelder aus dem Ausland von der Verwaltung gestohlen worden seien. 

Ebuselemes Vorwürfe waren also nur das jüngste Echo eines anhaltenden internen Streits, der inzwischen in Rebellion mündet. Doch wie schon im Fall Osman Şimşek, versuchen die Beschützer der etablierten Ordnung der Sekte, die nicht wollen, dass darüber gesprochen wird, ihn zum Schweigen zu bringen, indem sie ihn für verrückt und geistesgestört erklären.

Das Feuer des Zweifels brennt an der Basis selbst

Doch nun sprach mit Ebuseleme einer aus der internen Perspektive heraus, aus der Perspektive der Familie, und schürte somit Misstrauen innerhalb der Sektenbasis, insbesondere im Ausland. So sehr, dass sich Millionen in dem von İsmail Sezgin im sozialen Netzwerk X eröffneten Spaces versammelten, um Ebuselemes Vorwürfe konkret zu diskutieren. Bei diesem virtuellen Treffen sagte ein Mitglied der Sekte, das alles am Gülen-Kult verloren sei und er nun seinen Lebensunterhalt als LKW-Fahrer verdiene: „Wir haben alles für diese Struktur namens Dienst geopfert, und jetzt erfahre ich, dass diese Struktur gegen Politiker konspirierte, und das kann ich nicht akzeptieren“, sagte er auf X-Spaces.

Sie als Leser werden nun denken: „Das wissen wir doch alles.“ Und Sie haben Recht. Viele Informanten in der Türkei haben sich zu den Vorgängen innerhalb der Sekte bereits geäußert. Doch die Sekte hatte diese Informanten jahrelang selbst beschuldigt, Agenten oder Abtrünnige zu sein, und damit versucht, sie zu diskreditieren, um die eigenen Reihen geschlossen zu halten. Wenn nun jemand von außerhalb der staatlichen Kontrolle und nicht aus der Türkei, dasselbe aus eigener Überzeugung heraus behauptet, verliert die Anschuldigung, ein Agent oder Abtrünniger zu sein, ihre Aussagekraft. Wenn jemand, der nicht der Agententätigkeit beschuldigt werden kann, diese Anschuldigungen erhebt, werden sie von der Basis möglicherweise als richtig wahrgenommen. Das Feuer des Misstrauens innerhalb der Sektenbasis, die lodert immer höher und sichtbarer. Eine weitere Zunahme dieser Stimmen wird den Zerfall der Sekte beschleunigen. Deshalb versucht die neue Sektenführung, solche Stimmen zu unterdrücken.

Trotz eines mehr als 10-jährigen Kampfes gegen die Sekte, ist es der Türkei immer noch nicht gelungen, die psychologische Barriere der Sekte zu durchbrechen und sie vollständig aufzureiben. Dies liegt vor allem daran, dass es ihr nicht gänzlich gelungen ist, die Bindungen aufzubrechen, mit der die ideologische Basis zusammengehalten wird. Auch und vor allem aufgrund des politischen, medialen, gesellschaftlichen und juristischen Drucks, rückt die Sektenbasis in der Türkei immer enger zusammen und versucht, irgendwie über die Runden zu kommen.

Sollten Stimmen wie Ebuseleme und Osman Şimşek zahlreicher und lauter werden, wird der schützende Kokon der Sektenführung zusammenbrechen und sichtbar für die Sektenbasis. Das bedeutet, dass die Sekte in interne Konflikte geraten wird und mehr Menschen ihre Stimme erheben wollen oder der Sekte den Rücken kehren. Ebuseleme Gülen wird jedenfalls nicht der letzte sein, der redet.