Warum wird die Frage, welchen türkischen Kandidaten die Gülen-Sekte (FETÖ) wählen würde, überhaupt nicht gestellt? Die FETÖ hat sich ja schließlich nicht in Luft ausgelöst und der Stimmenanteil, der sich der türkischen Justiz durch Flucht ins Ausland entziehen konnte, ist doch wahrlich nicht der Rede wert.
Wen hat die FETÖ - die Sekte von Fethullah Gülen - also zu Kandidaten für die türkischen Wahlen bestimmt, die im Juli nächsten Jahres ins Rennen geschickt werden? Wer von den Parlamentskandidaten wird dann in der Großen Nationalversammlung bevorzugt und wer wird gleichzeitig im Rennen zur Präsidentschaftswahl favorisiert?
Wen will man gegen Recep Tayyip Erdoğan, gegen die Koalition der AKP und MHP aufbieten und ersetzen, um die frühere Macht im Land zurückzugewinnen? Oder glaubt man wirklich, man wurde der Gefahr bereits habhaft, weil man alle Mitglieder dieser gefährlichen Sekte hinter Gittern gebracht hat?
Wer gegenwärtig behauptet, die Terrororganisation PKK habe bislang keine Kandidaten aufgeboten, der glaubt auch daran, dass die FETÖ geschwächt ist und keinen Einfluss mehr in der türkischen Politik, gar Staat ausüben kann. Mitnichten ist das so!
Am Beispiel des Oppositionschefs Kemal Kılıçdaroğlu kann man überaus gut dokumentieren, wie politisches Marketing kurz vor eines der wichtigsten Wahlen nicht funktioniert. Ich verstehe z. B. nicht, weshalb Kılıçdaroğlu von einem Fettnäpfchen ins andere tritt und dabei meint, die Wählerschaft würde das nicht bemerken oder schnell vergessen.
Mitten in einer Krise und während der Wahlkampfphase reiste Kılıçdaroğlu in die USA; jenem Land, die die CHP-Basis als imperialen Hort verkauft und im Volk sowieso keinen guten Ruf hat. Zu allem Überfluss tauchte Kılıçdaroğlu während der USA-Reise auch noch 8 Stunden am Stück unter, um dann mit einem angebissenen Hamburger und Grimassenschneidend sich in einem Imbiss ablichten zu lassen. Das einzige, was er als Antwort hierzu später parat hatte, war, sich in der Türkei erneut mit einem angebissenen Hamburger ablichten zu lassen. Gehts noch?
Und dann die Reise nach Großbritannien...
Erst vom schmutzigen Geld des Westens, von der Knechtschaft fremder Währungen faseln, katarische Riyals naserümpfend kommentieren, aber selbst in London von Fonds faseln, deren Milliarden Pfund Sterling die türkische Jugend erquicken würde; und obendrauf, ohne dass sie dabei abgeschröpft oder verschuldet werden. Wenn Fonds keine Gewinne abwerfen würden, gebe es sie schlichtweg nicht. Aber das scheint Kılıçdaroğlu nicht zu stören oder er bzw seine Berater sind tatsächlich strunzdumm, oder auch nicht.
Vergessen wir nicht, wie tief die FETÖ in der türkischen Politik wie auch im Staat vor dem Putschversuch Wurzeln geschlagen hat. Angefangen von der rechten Hand des Präsidenten bis hin zur linken Hand des Generalstabschefs; vom Hohen Rat der Richter und Anwälte bis hin zu Generälen, Ministerien und Rektoren; die FETÖ hatte sich überall eingenistet. Bis heute kann niemand mit Überzeugung vortreten und behaupten, dass die FETÖ insgeheim ausradiert worden ist.
Das ist auch in der Politik nicht der Fall. Wenn man ehrlich zu sich ist, hat als einzige Partei die AKP sowie die MHP sich einer halbwegs ernsthaften Kur unterzogen und mehr oder weniger offen, FETÖ-Elemente zumindest in das Abstellgleis gestellt. Das mag zwar auf den ersten Blick als zu gering erachtet werden, aber zumindest können sie auf dem Abstellgleis keine ernsthafte Gefahr für die Partei und die Politik der Koalition werden.
Was hat aber die Opposition bislang unternommen? Weshalb favorisieren FETÖ-Größen insgeheim die Opposition, suchen die Nähe der Oppositionsparteien, während sie die Koalitionsregierung in der Versenkung, ja sogar hinter Gittern sehen wollen?
Noch entscheidender ist aber die Frage, weshalb ein alter politischer Hase wie Kılıçdaroğlu selbst so offen ins Messer läuft. Die letzten Dutzend Auftritte waren ein reines Fiasko. Dass Kılıçdaroğlu kein guter Redner ist, geschenkt! Dass Kılıçdaroğlu manchmal komische und widersprüchliche Sachen von sich gibt, geschenkt! Aber ständig irrationalen Blödsinn verzapfen?
Wen alles hat Kılıçdaroğlu da denn um sich gescharrt, wer gibt ihm die Tipps und Tricks des Tages? Wer bestimmt in diesem Kılıçdaroğlu-Team, was Kılıçdaroğlu zu sagen hat, oder auch nicht? Schließlich glaube ich nicht, dass Kılıçdaroğlu strohdumm ist, dass er sich selbst ständig blamiert. Es muss also jemand sein, der ihn überzeugt, der mehr Einfluss hat, auf ihn einwirkt. Vielleicht wollen einflussreiche Parteigenossen auch, dass Kılıçdaroğlu sich selbst abserviert, die Wahl vergeigt?
Die aktuellen Reisen von Kılıçdaroğlu in die USA und nach Großbritannien trieben seine Umfrageergebnisse nicht etwa nach oben, sondern immer weiter nach unten. Spätestens jetzt mussten doch die Alarmglocken läuten, aber nichts davon ist bei Kılıçdaroğlu, seinem Team oder dem Fußvolk der Partei zu spüren! Wenn aber die Umfrageergebnisse fallen, was sagt das uns?
Stellen wir uns doch vor, die FETÖ favorisiert Kılıçdaroğlu nicht, sondern einen anderen Kandidaten! Wäre es da nicht logisch, Kılıçdaroğlu von einem Fettnäpfchen ins andere stürzen zu lassen? Man munkelt in der Bevölkerung bereits, dass Kılıçdaroğlu Erdoğan geradezu zuarbeitet. Sprich, Kılıçdaroğlu leistet Erdoğan gewollt Wahlkampfhilfe. Kann das sein? Möglicherweise! Möglicherweise sieht Kılıçdaroğlu vielleicht auch das Land in Gefahr und folgt dem Slogan: „Wenn es um das Vaterland geht, ist alles andere Nebensache.“ Zwar wäre damit seine politische Karriere beendet, aber das Land weiterhin in Sicherheit; unter der jetzigen Koalitionsregierung.
Wenn Kılıçdaroğlu aber Erdoğan nicht zuarbeitet, dann gibt es zwei logische Schlussfolgerungen: Kılıçdaroğlu soll erst gar nicht gegen Erdoğan antreten, sondern ein anderer genehmer Kandidat. Einer, der gegenüber einer bestimmten Gruppe offener gegenüber steht, sie ebenso berücksichtigt, ja sogar hofiert: der FETÖ. Oder aber, Kılıçdaroğlu sucht die Stimmen der FETÖ, um an die Macht zu kommen oder zumindest den Sechser Tisch mit in die Regierung aufzustellen. Wenn dem so ist, hat die CHP so oder so ein ernsthaftes Problem, und all die Parteien, die sich um den Sechser Tisch versammelt haben.
Es sind zwar meine Beobachtungen, meine Schlussfolgerungen, aber jener Art, die bei vielen anderen ebenfalls Zweifel aufkommen lassen. Zweifeln, hinterfragen ist gut, denn sie kommen der Wahrheit näher als blinder Partei-Gehorsam.