Türkei: Die "demokratische" Revolution frisst ihre Kinder

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Was für Hoffnungen setzten Oppositionsanhänger in der Türkei auf Kemal Kılıçdaroğlu; dem türkischen Präsidentschaftskandidaten, der in den Wahlen gegen Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan mit Demokratie sowie Tugenden antrat. Die Ereignisse der letzten Monate schlagen jedoch ins Negative um.

Am 28. Mai wird der türkische Präsidentschaftskandidat und Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu in einer Stichwahl gegen Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan antreten. Auf dem Weg in die erste Wahlrunde zog der einstige Weggefährte Kılıçdaroğlu's, Muharrem Ince, die Kandidatur um das Präsidentenamt zurück. Jetzt hat Sinan Oğan vom nationalistischen Bündnis ATA seine Unterstützung zugunsten von Erdoğan bekannt gegeben. Die Nerven liegen bei der Opposition blank.

Murat Bardakçı, ein türkischer Buchautor der türkischen Geschichte, Journalist und Fernsehmoderator fasste die Situation so zusammen:

„Wenn Sie auf die Straße wollen, gehen Sie vorsichtig. Denn eine Horde wilder Raubtiere, die aus ihren Käfigen im Zoo entkommen sind, streift durch die Straßen. Das ist ein Gemenge, die sich in ihre Machtträume vertieft hat, aber den Verstand verliert, wenn ihre Träume nicht wahr werden.“

Bardakçı spricht hier von Oppositionsanhängern, die nach Strich und Faden betrogen und belogen wurden. Einer der Gründe: Noch während der Stimmenauszählung polterte der OB von Istanbul, Ekrem İmamoğlu, zusammen mit dem Ankaraner OB Mansur Yavaş insgesamt viermal, die Wahl sei faktisch entschieden; und zwar für Kılıçdaroğlu. Nun erklärt Ekrem İmamoğlu in einer TV-Talkshow, man habe sich um 4,5 bis 5 Prozentpunkte geirrt. Noch vor kurzem sprach man von massiven Wahlmanipulationen. Ja was denn nun? Das fragen sich zunehmend auch die Wähler.

Kommen wir zurück auf Muharrem Ince, der keine Anstalten hegt, irgendeinem Präsidentschaftskandidaten seine Unterstützung zuzusichern. Ince ist offenbar immer noch tief gekränkt, vor allem über die Hetzkampagne der Oppositionsanhänger, die ihn mit Vorurteilen, Gerüchten und schließlich mit einem angeblichen Sexskandal malträtierten. Letzteres war für Ince ausschlaggebend dafür, das Handtuch zu werfen.

Aber die Oppositionsanhänger beließen es nicht nur dabei, politische Kontrahenten auszuschalten. Auch mit eigenen politischen Parteikadern oder parteinahen Journalisten verfuhr man so. Sobald Kritik an der Wahlkampftaktik geübt wurde, stürzten sich die Oppositionsanhänger auf die Kritik. Das spürten vor allem oppositionsnahe Medien, die vorsichtig seichte Kritik übten, darunter auch die Halk TV. Zuletzt vermuteten Oppositionsanhänger, darunter auch nahmhafte TV-Moderatoren oder Journalisten, von Verrätern umgeben zu sein.

Den Anfang dieser reflexartigen Schizophrenie markierte u. a. der Eklat der Vorsitzende der İYİ-Partei Meral Akşener mit dem Sechser-Tisch des Oppositionsbündnisses. Akşener hatte den Tisch nach einem Zerwürfnis erbost verlassen, um nach Tagen an den Tisch zu trotten. Während dieser Zeit knöpfte sich genau derselbe schizophrene Mob Akşener vor, um sie sozusagen ans Tisch zurück zu prügeln.

Nach den Wahlen herrscht Panik innerhalb des oppositionellen Bündnisses, vor allem je näher der Termin zur Stichwahl naht. Man tritt in alle Richtungen, auch gegen Flüchtlinge, wie es Kılıçdaroğlu tat. Aus 3,8 Millionen syrischen Flüchtlingen werden 10 Millionen, um unter Beweis zu stellen, dass Boot sei voll. Dabei ist der Begriff Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention klar definiert. Wer den Unterschied zwischen Flüchtlingen, illegalen Einwanderern und Asylanten mit vorläufigen Schutzstatus nicht beherrscht, der greift offenbar willkürlich und panisch in die Wahlkampfkiste.

Das am meisten breitgetretene Wahlkampfthema war jedoch der Bündnispartner von Erdoğan, die islamistisch-kurdische Hüda Par. Sofort wurde die Hüda Par als politischer Ableger der türkischen Hizbullah verklärt, während der Vorsitzende Zekeriya Yapıcıoğlu gegen Windmühlen antrat und sich offen von der Hizbullah wie auch Terrorismus distanzierte. So eine beherzte Ansage seitens der völkisch-kurdischen HDP bzw. der jetzt neu gegründeten YSP (Yeşil Sol Parti) wünscht man sich seit Jahren, während der Terror der PKK anhält. Die der türkischen Hizbullah hat seit Ende der 90er ein Ende gefunden.

Darauf angesprochen reagieren weder Oppositionsanhänger noch die wahlkampftrunkenen Vorsitzenden des Oppositionsbündnisses, die zuletzt selbst die Nähe zur Hüda Par suchten, um sie vor den Wahlen für das Bündnis zu gewinnen. Dieses konsequente Ausblenden der Realitäten hat nun schwerwiegende Folgen; für die Opposition und ihre Anhänger selbst. Denn mit Realitäten kommt man früher oder später wieder in Kontakt. Und dann ist die Panik groß, greift man nach jedem Strohhalm, das sich anbietet. Letztendlich endet es in Hoffnungslosigkeit, Angst und Hass.

Das Einzige, was die türkische Opposition zu leisten imstande war.

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