Die deutschen Medien wissen offensichtlich mehr, als manch einer in der türkischen Opposition. Während das Oppositionsbündnis des „Sechser-Tisch“ die Vorstellung des Spitzenkandidaten auf den 6. März verlegt hat, rumort es innerhalb der IYI-Partei. Das sieht nach einem stürmischen Wochenende aus!
Die Suche nach dem Spitzenkandidaten gegen Erdoğan begann schon unter negativen Vorzeichen. Geradezu jede Oppositionspartei hatte etwas dagegen, dass der Spitzenkandidat kurioserweise aus einem der Parteien stammt, das am „Sechser-Tisch“ Platz eingenommen hat. Obendrein schaltete sich auch die völkisch-kurdische Partei HDP ein, um klarzustellen, wer nicht ihr Favorit sein werde: Meral Akşener oder der OB von Ankara, Mansur Yavaş. Manche gehässigen Kommentatoren zeigten gar auf Erdoğan als den einzigen Kandidaten, der für die Opposition infrage käme.
Am Donnerstagabend erwartete man also gespannt das Ende der zwölften Sitzung des türkischen Oppositionsbündnisses am „Sechser-Tisch“. Die Erwartungshaltung der Bürger, 72 Tage vor den Wahlen einen Spitzenkandidaten vorgestellt zu bekommen, erfüllte sich diesmal auch nicht. In den späten Nachmittagsstunden gab es nach der Sitzung lediglich eine knappe heitere Erklärung, in der man erklärte, wer nun der Spitzenkandidat sein werde, der bei den Wahlen gegen den amtierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan am 14. Mai antritt: konkret noch niemand. Aber einer hatte sich bereits stark dafür gemacht, u.z. Kemal Kılıçdaroğlu selbst.
Während alle Parteivorsitzenden bis auf Meral Akşener sich über den Ausgang der Übereinkunft sichtlich erfreut zeigten, richtete sich das Interesse auf die anschließend anberaumte Sitzung der IYI Parti („Gute Partei“). Offensichtlich ist Akşener oder das Parteigremium über das Ergebnis nicht glücklich, weshalb bis zur Stunde die Lichter in der Parteizentrale in Ankara brennen.
Unterdessen sind die Parteifunktionäre der IYI Partei schwer damit beschäftigt, ihre voreilig abgesetzten Warn-Tweets und Droh-Posts in sozialen Netzwerken wieder ganz schnell zu löschen. Man hatte nach der Sitzung am Donnerstag und nach der Erklärung des Sitzungsergebnisses vorschnell Akşener aufgefordert, das derzeitige Bild sofort zu korrigieren und den soeben unter der Hand bekannt gegebenen Spitzenkandidaten fallen zu lassen.
In den deutschen Medien wurde die Sitzung des „Sechser-Tisch“ ebenfalls rege verfolgt. Offensichtlich ist man stolz darauf, was das „Sechser-Tisch“ zustande gebracht hat. Überall in den Schlagzeilen sieht man lediglich den Oppositionsführer der CHP, Kemal Kılıçdaroğlu. Ob das Auswärtige Amt bei der nächsten Sitzung der Bundespressekonferenz ebenfalls den Spitzenkandidaten vorstellt? Oder gar Akşener, mit dem Kanzler derzeit im Gespräch ist und ausbaldowert, wer nun gegen Erdoğan antreten darf oder nicht?
Sicher ist man sich in der Türkei über eines: dieses Wochenende wird für den „Sechser-Tisch“ besonders lang vorkommen.