Die Fallstricke Griechenlands und der Türkei

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Journalisten der italienischen Zeitschrift für Geopolitik, „Limes“, haben in der aktuellen Auflage die Krise zwischen Griechenland und der Türkei bewertet. Dabei sprechen Daniele Santoro, Fabrizio Maronta und Alfonso Desiderio von Fallstricken Griechenlands und der Türkei.

Der Istanbul-Korrespondent der „Limes“, Daniele Santoro, erklärt in Zusammenhang mit der Drohgebärde des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gegenüber Griechenland, „Eines Nachts können wir kommen“, es habe das ohnehin schon erhitzte Wasser der Ägäis weiter aufgeheizt. So sehr, dass es den griechischen Außenminister Nikos Dendias dazu veranlasst habe, einen besorgten Appell an die Europäische Union, der NATO und den Vereinten Nationen zu richten, um die Verbündeten davon zu überzeugen, der aggressiven Haltung der Türkei Einhalt zu gebieten. Dendias zufolge „laufen wir Gefahr, Zeuge einer ähnlichen Situation zu werden wie in einem anderen Teil unseres Kontinents“, notiert Santoro weiter.

Erdoğan mit Wladimir Putin gleichzusetzen, die Ägäis und ihre Inseln wie die sarmatische Steppe in der Ukraine zu vergleichen, sei aber den Autoren zufolge eine Überspitzung der Situation. Der ukrainische Parallelismus des griechischen Außenministers Dendias sei natürlich demagogisch, ein Teil dessen, was Ankara als „Schmutzkampagne“ bezeichne. Am Ursprung der wachsenden Spannungen in der Ägäis stehe demnach nicht die angebliche türkische Aggression im Vordergrund, sondern eine Reaktion.

Die Ungestümheit der Türkei sei eine Reaktion auf die immer häufigeren Provokationen Griechenlands, so die Autoren der „Limes“. Die Militarisierung der ägäischen Inseln vor der anatolischen Küste unter Verstoß gegen den Vertrag von Lausanne von 1923, der Ankara mittelfristig den Zugang zum Meer verwehren könnte, gehöre ebenso dazu, wie die Sticheleien in der Ägäis. Zu den feindlich-gesinnten Aktion Athens stehe sowohl die Behinderung des freien Schiffsverkehrs, als auch zuletzt die Zielerfassung von fünf türkischen F-16 Kampfjets durch griechische S-300, die sich während einer NATO-Mission in der Nähe Kretas befanden.

Offensichtlich habe Griechenland Angst vor dem spektakulären geopolitischen Aufstieg der Türkei, vor allem von der Fähigkeit Ankaras, als Protagonist an mehreren Tischen mitzuspielen, sich als unverzichtbarer Spieler in den USA und darüber hinaus in einer ständig wachsenden Zahl von Machtebenen zu etablieren. Von der Sahelzone bis zur ukrainischen Steppe, vom Balkan bis zum Kaukasus, die Türkei mutiere in atemloser Geschwindigkeit zu einem neuen Globalplayer. Das so angesammelte geopolitische Kapital könnte die Türken in die Überarbeitung des Status der Ägäis investieren und die Amerikaner zwingen, mehr oder weniger formell eine andere Teilung des „Mavi Vatan“ (deutsch: Blaue Meer) durchzusetzen.

Diese Angst verleite Griechenland zu diesen Aktionen, mit dem Ziel, die Ägäis weiter aufzuheizen und zu beschleunigen, die Türkei dabei in die Irre zu führen und zu provozieren. Indem Athen Ankara bei Tageslicht angreife, um eine Reaktion auszulösen und den Rivalen zu isolieren, versuche Griechenland die Türkei zu isolieren, sie von der Weltgemeinschaft abzuschneiden. Von Erdoğan herzlich aufgenommen, erwidere er die Athener Anstrengungen entsprechend. Mit der kriegerischen Rhetorik ziele Erdoğan darauf ab, die Griechen zu verärgern und sie selbst zu einem Fehler zu zwingen. Erdoğan verfolge nun dieselbe Strategie, mit Provokationen die Alarmstufe in der Ägäis zu erhöhen und der türkischen Öffentlichkeit Athen vorzuführen und damit eine gewalttätige Gegenreaktion zu rechtfertigen, so die Journalisten der „Limes“.

Kurzfristig sei es eher unwahrscheinlich, dass sich Türken und Griechen gegenseitig in die Falle tappen. Aber die Eskalationswelle, die die zwischen Athen und Ankara zugenommen hat, erhöhe exponentiell die Wahrscheinlichkeit, dass die Situation außer Kontrolle geraten könnte. Plötzlich. Nachts.