Erst vor wenigen Tagen erklärte der griechische Außenminister Nikos Dendias in Richtung Recep Tayyip Erdoğan, dass die Tage von Sultan Süleyman dem Prächtigen vorbei seien und mit ihm die Vision von eroberten Ländern, die der türkische Präsident so fest im Griff zu haben scheine.
Fast zeitgleich erklärte Erdogans Koalitionspartner Devlet Bahceli, Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis verhalte sich wie seine Vorfahren, dass er sich erlaube, zur Marionette ausländischer Mächte zu werden und sich dabei Mut antrinke. Bahceli warf dem griechischen Ministerpräsidenten auch vor, „ein Klima des Konflikts zu schaffen“. Bahceli beschuldigte den griechischen Premierminister im Grunde, an demselben Syndrom wie Venizelos zu leiden. Dieser habe die schrecklichen Folgen des Feldzugs in Kleinasien für die Griechen und den griechischen Staat zu verantworten, woran sie heute noch nagen würden.
Eleftherios Venizelos, der ehemalige griechische Premierminister, hatte sich angesichts der Lage des zerfallenden Osmanischen Reiches sehr viel Mut angetrunken und angestachelt von den Westmächten, einen Feldzug gestartet. 1923 saß aber Venizelos mit am Tisch, um den Vertrag von Lausanne zu unterschreiben. Inmitten des internationalen Aufgebots war Venizelos aber nur noch eine Bauernfigur, wie es der Mannheimer Historiker Heinz. A. Richter beschreibt:
„Das geschlagene Griechenland war in dem bevorstehenden diplomatischen Schachspiel kaum mehr als eine Bauernfigur, der man Opfer abverlangen konnte.“
Wenn man die historischen Referenzen aus der aktuellen Gleichung der griechisch-türkischen Beziehungen herausnimmt, bleibt ein Element übrig, dass die jüngste Krise zwischen den beiden Ländern definiert: die verbale Unterstützung, die von den USA, Frankreich und schließlich Deutschland kommt.
Für Ankara ist natürlich die Schützenhilfe aus Washington das Maß aller Dinge, und nicht Athen oder irgendein europäisches Land selbst. Die groteske Haltung von US-Präsident Joe Biden gegenüber Erdogan ist in der Tat beispiellos, denn während der Amtszeit von Barack Obama und Donald Trump mag es Probleme gegeben haben, aber nie ein solches Maß an Entfremdung.
Diese Entwicklung freut Athen natürlich sehr. Die ernste Lage, in der Griechenland aber steckt, ist, dass die Türkei den Druck auf Athen auf unterschiedlichste Weise erhöhen kann, um nicht erst gegen die USA anzutreten. Das heißt, der Stellvertreterkonflikt würde Athen selbst hart treffen, während die USA sich gekonnt aus der Affäre ziehen würden.
Mitsotakis hat wiederholt davor gewarnt, dass die Reaktion Griechenlands „überwältigend“ sein werde, wenn die Türkei sich zu einem militärischen Vorgehen gegen die umstrittenen ägäischen Inseln entschließe – und dies einen totalen Krieg bedeuten könnte. Offensichtlich fühlt sich Athen wie in Texas, wo nicht das Gesetz herrscht, sondern der rauchende Colt.
Athen hat sich mit diesen ausufernden verbalen Attacken und Drohungen ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt. Ankara hat es aber nicht nötig, hier mitzuziehen. Sie müsste lediglich die Vereinten Nationen anrufen und Griechenland beschuldigen, gegen den Vertrag von Lausanne und Paris zu verstoßen. Schon alleine das würde den Ruf Athens schädigen. Mehr noch: Mitsotakis müsste sich gegenüber dem eigenen Volk rechtfertigen, wie die „verrückten Türken“ auf so eine Schnapsidee kommen konnten, die Athen diplomatisch schwach aussehen lässt.
Allerdings sollte Athen sich auch daran erinnern, dass das Paradigma des „verrückten Türken“ keine Beleidigung, sondern ein Symbol der Tapferkeit der Türken über Generationen hinweg ist. Man sollte daher ihre Geduld nicht über die Maße strapazieren.