Türkei - Kavala muss lebenslang ins Gefängnis

Zu lesen in den Sprachen: GERMAN

Ein Istanbuler Gericht hat den türkischen Kulturmäzen Osman Kavala wegen des Vorwurfs des versuchten Umsturzes zu lebenslanger Haft verurteilt. War Kavala ein Werkzeug des geopolitischen Spionagewesens und Mächteinteressen?

Der türkische Kulturmäzen Osman Kavala ist vom 13. Istanbuler Strafkammergericht nach über vier Jahren im Hochsicherheitsgefängnis Silivri nahe Istanbul zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Die drei Richter erließen das Urteil gegen den 64-Jährigen wegen des Vorwurfs des versuchten Umsturzes der Regierung und Straftaten gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie ihrer Funktionsweise (Strafgesetz 312) und ohne Möglichkeit auf Bewährung.

Die Richter ließen die Anklagepunkte wegen Anstachelung zu Plünderung, Sachbeschädigung und Körperverletzung gegen Osman Kavala fallen. Im Anklagepunkt zu politischer und militärischer Spionage befanden die 3 Strafrichter, dass die Anhaltspunkte und Beweise nicht ausreichend seien, um eine Schuld festzustellen.

Sieben Mitangeklagte, die gleichzeitig mit dem Kulturmäzen und Milliardär vor Gericht erschienen, wurden ebenfalls wegen Beteiligung an den Gezi-Protesten von 2013 zu 18 Jahren Haft verurteilt. Ayşe Mücella Yapıcı, Şerafettin Can Atalay, Tayfun Kahraman, Ali Hakan Altınay, Yiğit Ali Ekmekçi, Çiğdem Mater Utku und Mine Özerden wurde vorgeworfen, Kavala unterstützt zu haben.

In Zusammenhang mit den auf der Flucht befindlichen Mitangeklagten Henri Jack Berkey, Ayşe Pınar Alabora, Can Dündar, Gökçe Yılmaz, Handan Meltem Arıkan, Hanzade Hikmet Germiyanoğlu, Mehmet Ali Alabora, Yiğit Aksakoğlu sowie İnanç Ekmekçi verfügte das Gericht, dass deren Anklageakten vom Hauptverfahren getrennt wird.

Schon zu Beginn der Untersuchungshaft von Osman Kavala sickerten erste Details von Ermittlungsergebnissen über mutmaßliche Unterstützung von Organisationen und Vereinen, die u.a. der Terrororganisation PKK im In- wie Ausland zugearbeitet haben sollen. So soll Kavala insbesondere Treffen zwischen den Jahren 2011 und 2016 organisiert haben, die entlang der türkisch-syrischen Grenzgebiete stattfanden und bei der Aktivisten, Vereine und Organisationen beteiligt gewesen seien. Diese hätten einerseits der Terrororganisation PKK sowie ihre syrische Schwesterorganisation YPG Hilfen und Unterstützung zugute kommen lassen, andererseits Informationen an Kavala weitergegeben, die ausländischen Nachrichtendiensten übermittelt worden sein sollen. Insgesamt sollen so über 1,5 Milliarden US-Dollar an Hilfen über Mittelsmänner und Vereinsgeflechte geflossen sein.

Neben den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) sowie Saudi Arabien soll vor allem die deutsche Beteiligung an Unterstüzungs- und Hilfsleistungen über die Stiftung Anadolu Kültür abgewickelt haben. Das ließ offenbar die nachrichtendienstlichen Abteilungen der türkischen Polizei aufhorchen. Nach 2013 wurde der Ton der türkischen Regierung offenbar deshalb gegenüber Abu Dhabi, Riad sowie Berlin aufgrund dieser nachrichtendienstlichen Erkenntnisse merklich schärfer, vor allem in Zusammenhang mit der PKK und deren Schwesterorganisation YPG, die in Nordsyrien inzwischen ein Rückzugsgebiet etabliert hatte.

In diesem Zusammenhang ist insbesondere auch jene Aussage interessant, in der der ehemalige Bundesaußenminister Sigmar Gabriel davon sprach, dass "wir die Amerikaner immer davor gewarnt haben, mit der YPG an der Grenze zur Türkei eine PKK-Proxy-Organisation zu züchten". Wie weit und ob die Bundesregierung hierbei die Schwesterorganisation der Terrororganisation PKK in Syrien, die YPG, politisch unterstützte oder gar Hilfen leistete, ist bislang detailliert nicht bekannt. Man hat aber im hiesigen Raum tatenlos zugesehen, wie PKK-nahe Lobbyisten in Politik und Medien die Hoheit über den damaligen Diskurs in Deutschland gekapert hatten.

Der Prozess gegen Osman Kavala und sieben Mitangeklagte begann im Dezember 2020, nach dem das Gericht Osman Kavala und weitere 15 Angeklagte in Zusammenhang mit dem Putschversuch von 2016 im Februar 2020 vom Vorwurf des Umsturzversuchs freigesprochen hatte. Die Staatsanwaltschaft forderte nun in Zusammenhang mit der Beteiligung an den Gezi-Protesten sowie des Spionagevorwurfs lebenslänglich. Im Januar 2021 hob die für Vergehen gegen die Verfassung zuständige 3. Strafkammer des Landgerichts Istanbul den im Februar 2020 erlassenen Freispruch für Kavala auf. Die Richter entschieden einstimmig, dass der Fall erneut von dem zuständigen Gericht geprüft werden solle. Auch der Freispruch für acht Mitangeklagte wurde aufgehoben.