Was lernen wir aus dem Ukraine-Konflikt?

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Seit Tagen und Wochen wurde über die Krise zwischen der Ukraine und Russland philosophiert, wurden Szenarien gezeichnet. Letztendlich kam es wie erwartet zu der Invasion. Russische Truppen marschierten in das territoriale Gebiet der Ukraine ein.

Russland hat vor den Augen der Weltgemeinschaft eine Invasion gestartet und damit alle Regeln und Normen des Völkerrechts gebrochen. Die Empörung über diese eklatanten Normen- und Rechtsverletzung können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Macht und Gewalt sich ihre Regeln und Normen selbst zurechtlegt, was uns die Vergangenheit oftmals bewiesen hat. Afghanistan, Jugoslawien, Jemen, Syrien oder der Irak sind nur die jüngsten Beispiele.

Wie in diesen Beispielen wurde von Russland im Ukraine-Konflikt das Recht zum Krieg (ius ad bellum) ins Absurdum geführt. Wie das Recht zum Krieg wird derzeit auch das Recht im Krieg (ius in bello) von Russland dehnbar ausgelegt. Nichts neues, wenn man sich die Konflikte allein der letzten 100 Jahre zur Gemüte zieht.

Was lernen wir daraus?

Kein Land, das sich souverän versteht, ihre territoriale Einheit wahrt und sich im Dunstkreis einer mächtigen Ordnung befindet, ist sicher. Keine weltliche Ordnung, Regel oder Norm ist bis heute in der Lage, solche Übertritte zu ahnden, geschweige denn zu unterbinden.

Insofern ist es auch verständlich, dass die politischen Lager in Drittstaaten zerstritten sind, sich nun einerseits die Augen reiben und ihrer Besorgnis Ausdruck geben, andererseits auf die Interessen Russlands hindeuten, um den Konflikt zu erklären bzw. zu legitimieren. Aber Letztere haben aufgrund des Regel- und Normbruchs Russlands einen schweren Stand. So stehen derzeit die Linken im Bundestag unter Beschuss, weil sie offensichtlich auf die russischen Interessen hinweisen, um die ukrainische Regierung wie auch die westliche Hemisphäre in Haftung zu nehmen.

Das Gleiche ist auch in der Türkei zu beobachten. Hier ist es nicht nur eine Partei, sondern die gesamte Opposition, die die türkische Außen- und Sicherheitspolitik hinterfragen und kritisieren.

Dabei hat sich in der Türkei eine fünfte Front gebildet, die gezielt die türkischen Interessen in der Außen- und Sicherheitspolitik torpedieren. Eine Regierung, die demokratisch gewählt wurde, wird u.a. als Regime bezeichnet, wenn es strategische Entscheidungen trifft, die die Wahrung der eigenen Interessen wie territoriale Integrität, Souveränität, Wohlstand und Sicherheit betreffen; ungeachtet dessen, dass das Land seit über 40 Jahren mit Terrorismus zu kämpfen hat, mit ihren Nachbarländern eine angespannte Beziehung unterhält.

Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die Türkei mit ihrer bisherigen Politik nach langer Terror- und Gewaltphase eine stabile, sichere und ökonomisch halbwegs ertragreiche Wende eingeleitet hat. Und nichtsdestotrotz gibt es im Land Stimmen, die aus dieser Komfortzone heraus den Eindruck erwecken, die Türkei sei eine Diktatur, eine durchweg auf Sicherheit und Repression getrimmtes Land.

Man mag sich kaum vorstellen, was los wäre, wenn diese Wende nicht eingeleitet, herbeigeführt worden wäre. Ich glaube kaum, dass dann solche Menschen tanzend und singend in irgendwelchen Kulturzentren, Parteibüros oder auf der Straße unbeschwert kritisch daherkommen, marschieren oder tanzen könnten.

Das Problem der Opposition ist die Regierung an sich

Es geht anscheinend nicht darum, was das Volk für Bedürfnisse hat, welche Ängste sie antreibt oder welche Visionen sie dazu verleitet, diese Regierung zu wählen. Offenbar geht es diesen Stimmen, dieser fünften Kolonne nur darum, die gewählte Regierung zu stürzen.

Gerade das ist oftmals sehr direkt zu spüren, wenn u.a. eine Oppositionsvorsitzende gegenüber einem ausländischen Medium ein Statement abgibt, in der die neu erworbenen Defensivwaffen wie S-400 als obsolet bezeichnet werden, weil man geradezu ausschließt, dass ein Nachbarland wie Griechenland einen Angriff starten würde.

Nur wenige Tage später greift dieselbe Person namens Meral Akşener das Thema erneut auf und schießt nebenbei auf die türkische Politik in der Frage der Atomenergie; in einer Zeit, in der die Energiepreise sprunghaft angestiegen sind und Europa die Atomenergie geradezu für „Green" erklärt.

Die Türkei hat in den letzten Jahren vorausschauend auf diese kommenden Krisen reagiert und Eigenverantwortung übernommen. Die Regierung stärkte die Wirtschaft, um eigenständige Ideen und Produkte zu entwickeln. Bekommen hat die Türkei inmitten einer geostrategisch umstrittenen und unsicheren Region Sicherheit und Wohlstand. Das ging auch an Europa und den USA nicht spurlos vorbei. Sie selbst sind von dieser Stärke und Macht irritiert, was sie über ihre politischen Kreise wie auch „freien“ Medien zum Ausdruck bringen.

Drohnen: Sie töten oder verteidigen, je nach Blickwinkel

Noch vor Wochen stänkerten Europa und die USA gegen die türkischen Kampfdrohnen, weil sie ja zum Töten gedacht seien; jetzt kann die Ukraine nicht genug davon bekommen, wird die türkische TB-2 in höchsten Tönen erwähnt. Weshalb zeigt sich aber die türkische Opposition, zeigen sich oppositionelle kritische Stimmen wie Bülent Mumay oder Erk Acarer so brüskiert, in dem sie gezielt den Entwickler dieser Drohne mit Erdogan in Verbindung bringen? Sind diese Burschen nun Putin-Befürworter wie die Linke Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen?

Während also die Ukraine um ihre eigene Lufthoheit im eigenen Luftraum bemüht ist und dabei auch auf türkische Kampfdrohnen setzt, darf nach lautem Denken der Meral Akşener der türkische Luftraum von eigenen Drohnen und von russischen S-400 nicht gesichert werden. Wenn wir das weiterspinnen, soll also die Terrororganisation PKK in einem souveränen Land weiterhin Terror betreiben können, soll ihre syrische Schwesterorganisation YPG im Grenzgebiet putinistischer Manier Fakten schaffen, nur damit die Opposition an die Macht kommt.

S-400 vs. Patriot

Was kann man gegen die S-400, gegen russische Atomenergie haben, was man gegen die US-amerikanische F-35 oder Patriot bislang nicht haben konnte? Hat irgend einer von der Opposition sich genauso entschieden gegen den Erwerb von F-35 gezeigt oder den Vorschlag unterbreitet, man möge doch die F-16 einfach in den Sand vergraben? Wieso übergeht man geflissentlich den russischen Gaskorridor über die Türkei? Sollen alle russischen Verbindungen nun gekappt werden oder nicht?

Scheinbar haben wir es hier mit einer Opposition zu tun, die mit allen Kräften der Westachse zuarbeitet. Gerade jetzt wird es allzu deutlich, was es bedeutet souverän zu bleiben; die Ukraine macht es ja vor. Sie lässt sich von Russland nicht vorschreiben, was sie zu sein hat, welche Bündnisse sie eingeht oder welchen Block sie wählt. Und diese Ukraine wird von der NATO wie auch den USA dafür gefeiert, weil sie ihre Souveränität behält, sich nichts von Russland diktieren lässt. Das unterstreichen die NATO und die USA auch noch einstimmig.

Sanktionen gegen Russland und der Türkei

Das wirft unweigerlich die Frage auf, weshalb dann die USA ein souveränes Land wie die Türkei mit Sanktionsmaßnahmen belastet, weil sie unabhängig und frei sich für ein anderes ausländisches defensives Waffensystem entschieden hat. Was unterscheidet nun Biden von Putin, wenn Ersterer vor Monaten bei Amtsantritt live verkündete, mit Freunden in der Türkei Erdogan stürzen zu wollen? Letzterer ist doch kurz davor, Wolodymyr Selenskyj, den Präsidenten der Ukraine, vom Amt zu jagen.

Wer führt wen zur Schlachtbank?

Der Konflikt in der Ukraine zeigt uns allzu deutlich, dass man sich nicht auf Worte und Solidaritätsbekundungen, schon gar nicht auf Mächte verlassen darf. Es zeigt, dass letztendlich nur die eigene Doktrin verlässlich ist, man seine Sicherheit und Souveränität selbst erlangen und verteidigen muss; wenns sein muss auch gegen die eigene Opposition. Oder anders ausgedrückt: Mit jenen, die noch nie ein Lamm in die Schlachtbank geführt haben und dennoch sich daran laben wollen, um in Not oder im Krieg nicht zu verhungern.