Niederländische Analystin: PKK und Kurden sind zwei Paar Stiefel

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Die renommierte niederländische Politikanalystin Rena Netjes kämpft nicht nur gegen eine in Europa etablierte Meinung an, sondern auch gegen Drohungen der Terrororganisation PKK und deren syrischen Ableger. Gegenüber dem Nachrichtenportal NEX24 gab sie in einem Interview an, zusammen mit Menschenrechtsorganisationen auf breiter Flur nicht gehört zu werden.

Obwohl zahlreiche Menschenrechtsorganisationen, wie Human Rights Watch, der  Terrororganisation PKK Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen auch unter der kurdischen Bevölkerung vorwerfen, wird in den europäischen Medien kaum darüber berichtet. Ein Beispiel ist die Zwangsrekrutierung von Minderjährigen.

Aber auch assyrische Christen und Aramäer sind frustriert in Bezug auf die Medienberichterstattung in Europa über die PKK und deren syrischen Ableger, die YPG. Die Berichte spiegeln daher meist nicht die Realität wider. Jeder, der Fragen stellt oder Einwände erhebt, werde „in Europa ignoriert“, so die Feststellung von Rena Netjes, einer renommierten Politanalysten aus den Niederlanden. Der assyrische Journalist Dikran Ego etwa, Chefredakteur der in Schweden ansässigen Assyria TV, erklärte in einem Interview in diesem Zusammenhang: „Westliche Medien lassen keine kritischen Fragen über die PKK oder die YPG zu.“

Morddrohungen wegen PKK-Kritik

Rena Netjes ist eine der wenigen Experten in Europa, die kritisch berichten und Verbrechen der Terrororganisation PKK und dessen Ableger in Syrien aufdecken. Hierfür erhielt sie bereits zahlreiche Morddrohungen. „Ich zahle einen hohen Preis dafür, dass ich die Propaganda der PYD [dem politischen Arm der PKK in Syrien] entlarve“, so Netjes auf Twitter.

Die YPG wird als bewaffneter Arm der kurdisch-syrischen Partei der Demokratischen Union (PYD) betrachtet. Aufgrund der Gründungsgeschichte und der Satzung, gilt die PYD trotz eigener Beteuerungen als Schwesterpartei der PKK. Sie kooperiert ferner mit dem Regime in Damaskus. Laut Netjes habe die PYD bei zahlreichen Niederschlagungen von Protesten gegen das Regime eine außerordentliche Rolle gespielt. Netjes betont, dass jede Kritik am Regime mit Unterdrückung, Verhaftung oder Ermordung verbunden sei. Ferner war die PYD daran beteiligt, die syrische Metropole Aleppo, die von syrischen Oppositionskräften kontrolliert wurde, zu erobern und damit dem Regime einen entscheidenden Vorteil zu bescheren.

Netjes ist studierte Arabistin und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Fragen der Staatsführung und Sicherheit in Nordsyrien. Netjes befürwortet eine militärische Intervention und Befreiung Tal Rifaats von der YPG durch die Türkei. „Das Engagement der türkischen Streitkräfte in Nordsyrien könnte Tausenden von syrischen Binnenflüchtlingen sowie Flüchtlingen aus der Türkei die Rückkehr in ihre Heimat ermöglichen, nachdem sie von der YPG vertrieben wurden“, schreibt Netjes in einem Artikel, der vom Washington Insituts veröffentlicht wurde.

Im Westen gibt es starken Widerstand gegen eine neu geplante Militäroperation der türkisch-syrischen Nationalarmee (SNA) im Norden Syriens. Doch viele vertriebene Araber aus Tal Rifaat, Manbidsch und den umliegenden Dörfern begrüßen die Idee der Befreiung ihrer Städte und Dörfer. Tatsächlich fordern sie die von der Türkei unterstützte SNA schon seit Jahren auf, ihr Gebiet zu befreien.

Netjes weiter: „Im Jahr 2016 wurde die gesamte arabische Bevölkerung in Tal Rifaat, einer historisch mehrheitlich arabischen Stadt auf der Westseite des Euphrat, in einer koordinierten Militäroperation von Russland, dem syrischen Regime und Kämpfern der Volksverteidigungseinheiten (YPG) aus Afrin vertrieben.“

„Handlanger, Rebell, Demokrat, Terrorist“

In ihrem umfassenden Bericht „Henchman, Rebel, Democrat, Terrorist“ (Handlanger, Rebell, Demokrat, Terrorist) gemeinsam mit Erwin van Veen, behandelt Netjes das Erstarken, die Ziele und organische Verbindung der YPG sowie PYD zur PKK in Nordsyrien. Dabei decken die beiden Experten die strategisch wechselnde Allianz der YPG mit dem Assad-Regime, dem iranischen Mullah-Regime, der russischen Führung sowie den USA auf. In ihrem Bericht zeigen sie differenziert auf, welche unterschiedliche geostrategische Politik die am syrischen Bürgerkrieg beteiligten Staaten in Nordsyrien verfolgen. Auch begangene Kriegsverbrechen der PYD und YPG bleiben nicht unerwähnt. Zum Schluss zeigt der Bericht anhand von Szenarien auf, wie brüchig die gewaltsam erreichte Autonomie der PYD ist.

„Sie versuchen, uns zum Schweigen zu bringen“

In einem Interview mit NEX24 erklärt die Expertin, dass sie in einigen Medien über die PKK/YPG zwar relativ frei Berichten könne, hintern den Kulissen jedoch auch schon eingeschüchtert oder abgewiesen worden sei.

„Mein Kollege Jan Jaap de Ruiter und ich wurden hinter den Kulissen von Nederlands Nieuwsuur und Trouw ziemlich eingeschüchtert. Sie versuchen, uns zum Schweigen zu bringen“, so Netjes.

Da ich mich seit 2016 mit dem Thema beschäftige, fühle ich mich wohl genug, um über das Schlechte und das Gute zu schreiben, wie ich es vor Ort und nach zahlreichen Interviews mit hauptsächlich syrischen Kurden und auch Assyrern, Arabern, Turkmenen, Jesiden, Tscherkessen.

„Überwältigenden Propagandamaschinerie“

Die niederländische Forscherin stimmt dem assyrischen Journalisten Dikran Ego zu, dass das Bild der Terrororganisation PKK, im Westen von ihrer „überwältigenden Propagandamaschinerie und von der mangelnden Kenntnis des Terrains einiger, aber nicht aller westlicher Journalisten und Politiker geprägt ist“.

Ich selbst begann, mir ein anderes Bild von der YPG zu machen, als ich es aus den westlichen Medien kannte, nachdem ich ganz andere Geschichten von Einheimischen gehört hatte, die aus Nordsyrien geflohen waren. Im März 2016 traf ich mehrere Syrer, die aus Tal Rifaat und Umgebung geflohen waren und die Grenze am Grenzübergang Bab al-Salama, einige Kilometer nördlich von Azaz [Aʿzāz], überquerten. In der anfänglichen Annahme, dass sie vor den russischen und regimetreuen Bombenangriffen aus Ost-Aleppo fliehen, war es überraschend zu erfahren, dass sie flohen, weil „YPG-Kämpfer ihre Häuser eingenommen haben“. Später an der türkisch-syrischen Grenze und in Kilis sowie Gaziantep erzählten andere Binnenflüchtlinge viele ähnliche dramatische Geschichten.

Netjes findet zwar für ihre Expertisen und Berichte neue Verbreitungsplattformen, aber sie bestätigt, dass die allgemeine Medienberichterstattung im Westen im Einklang mit der PKK-Propaganda ist. Netjes erwähnt etwa die Assoziierung der PKK und der YPG mit „den Kurden“. Nach jahrelangen Recherchen und Gesprächen mit syrischen Kurden wisse sie, dass die ständige Behauptung der YPG, die Repräsentanten der Kurden zu sein, überhaupt nicht stimme. Die syrischen Kurden sähen sich in erster Linie als Syrer, als syrische Staatsbürger mit kurdischen Wurzeln. Sie seien auch nicht empfänglich für PKK-Propaganda und die zwangsweise angesetzte Wehrpflicht der YPG lehnten sie im Grunde ab.

„Die meisten syrischen Kurden wollen auch keinen eigenen Staat, denn die syrischen Kurden leben hauptsächlich in drei Enklaven im Norden, im nördlichen Teil der Provinz Hasaka, in Kobanê [Ain al-Arab] und in Afrin. Andere Teile Nordsyriens sind arabische (turkmenische Gebiete) und kurdische Gebiete, nicht groß genug für einen eigenen stabilen Staat. Daher wollten sie große Teile der nicht-kurdischen Gebiete zwischen Afrin und Kobanê sowie zwischen Kobanê und Ras al-Ayn beherrschen. Sie beherrschen jetzt nicht-kurdische Gebiete wie Tal Rifaat, Manbidsch, Ar-Raqqa und Deir Ezzor“, so Netjes.

Die „andere Seite der YPG“

Die YPG hat zwar gegen den IS gekämpft, die Organisation hat jedoch noch eine weitere, im Westen unbekannte Seite, hält Netjes fest:

„Am problematischsten ist vielleicht die anhaltende Entführung von Minderjährigen, Mädchen und Jungen, Kurden, Assyrern und Jesiden. Sogar jenseits der Grenze habe ich zwei Teenager interviewt, die gerade von einer Entführung aus der Südtürkei nach Syrien zurückgekehrt waren. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele im Westen davon nichts wissen oder es nicht glauben. Aber nicht die niederländischen Diplomaten. Für die Niederländer war dies schon immer ein Grund, sie (die YPG, Anm. Red.) nicht zu unterstützen, was einige niederländische politische Parteien bis heute verärgert.

Ein weiterer problematischer Punkt ist die Zwangsverpflichtung in Milizen und der PKK-Lehrplan, der nicht von Universitäten oder internationalen Organisationen anerkannt wird. Die Abschlüsse werden weltweit nicht anerkannt und daher gibt es keine Chance, damit an irgend eine Universität im Ausland zu gehen. Dies sind Gründe, die vor allem junge Menschen dazu veranlassen, das Gebiet zu verlassen und die Zukunft in die eigene Hände zu nehmen. In der kurdischen Region des Irak gibt es etwa 250.000 syrische Flüchtlinge, die meisten von ihnen sind Kurden. Und es gibt auch, und das ist viel weniger bekannt, nach Angaben des syrisch-kurdischen Politikers und Forschers Bedir Mulla, etwa 400.000 syrische Kurden in der Türkei, hauptsächlich in der Südtürkei, die vor dem IS, aber auch vor der syrischen PKK geflohen sind.

Diese Menschen kehren nicht zurück, wollen auch nicht zurück, so lange die Missstände anhalten. Außerdem lassen die PYD und YPG Oppositionspolitiker nicht frei arbeiten, einige wurden sogar von PKK-Kämpfern getötet, wie Mashal Tammo, Nasredine Burheik und mehrere andere. Andere wurden inhaftiert oder sind unter Todesdrohungen geflohen, wie die KNC-Führer Abdel Hakim al-Bashar und Ibrahim Biro. Sie lassen keine freien Medien zu, auch keine westlichen oder arabischen Medien oder Forscher, die sich zuvor kritisch geäußert haben. Die meisten Journalisten und Experten machen dies jedoch nicht öffentlich, wahrscheinlich in der Hoffnung, wieder Zugang in die kontrollierten Gebiete zu erhalten.

In Afrin haben die PYD/YPG viele Kurden an das Assad-Regime ausgeliefert, weil diese Menschen sich auch kritisch gegenüber der PKK geäußert hatten oder Demonstrationen organisiert hatten. Nur wenige haben es raus aus dem Land geschafft. Die PYD und deren Milizen der YPG drohen außerdem assyrischen christlichen Schulen, weil sie wollen, dass sie den Lehrplan der PKK anwenden. Kurzum, sie regieren al-Hasaka und Kobanê – und davor Afrin -, insbesondere die kurdischen Gebiete, mit eiserner Hand. Das können sie nicht in allen arabischen Gebieten tun, weil die Stämme das einfach nicht zulassen und aufbegehren würden. Hinzu kommt, dass derzeit etwa 70 Prozent der von ihnen beherrschten Gebiete arabische Gebiete sind, die sich selbst regieren und nicht wollen, dass der Reichtum wie Öl, aus ihren Gebieten genommen und ein Teil davon an das syrische Regime verkauft wird.“

„Die Mehrheit der syrischen Kurden mag die PYD nicht“

In ihren Berichten betont Netjes immer wieder, dass die Mehrheit der kurdischen Bevölkerung eine Herrschaft durch die PYD ablehnt:

„Kurz gesagt, die von der PYD kontrollierten Gebiete sind besser als die Gebiete des syrischen Regimes, aber aus den oben genannten Gründen und wegen der extrem schlechten wirtschaftlichen Lage verlassen die Menschen auch diese Gebiete. Nun mag die Mehrheit der syrischen Kurden die PYD nicht, sie sehen sie als ein gewalttätiges Regime, aber sie haben auch ihre schlechten Erfahrungen mit einigen SNA-Brigaden* gemacht, die nicht ihre Kinder, sondern ihr Geld stehlen. Das ist sehr bedauerlich.

Ein Unterschied ist jedoch, dass Kurden, die 2018 zunächst vor der türkischen Militäroperation geflohen waren, ungefähr die Hälfte, mittlerweile wieder nach Afrin zurückgekehrt sind. Sie hatten eigentlich eine ‚Dschihadisten-Invasion‘ befürchtet. Aber man muss auch anmerken, Araber, die aus den von der YPG gehaltenen Gebieten geflohen sind, können nicht wieder zurückkehren, zum Beispiel die Bevölkerung von Tal Rifaat, weil die YPG sie daran gewaltsam hindert. Die Situation in Afrin ist gemischt, in einige Regionen ist es gut, in einigen anderen mittelmäßig und in anderen ist die Situation schlecht. Und leider lässt die PYD Kurden aus Afrin, die in das Gebiet von Tal Rifaat zurückkehren wollen, nur nach Zahlung hoher Summen zurückkehren“, betont die niederländische Analystin.

„Mütter von Diyarbakir

Seit Jahren sitzen Eltern kurdischer Herkunft vor dem Parteigebäude der oppositionellen HDP und beschuldigen die Partei, mit Hilfe der PKK „ihre Kinder zu entführen“. Weder die HDP noch die PKK sprechen für die Kurden, erklärt Netjes.

Nein, ich würde eher sagen, sie schadet der kurdischen Sache, vor allem in Syrien. Sie sprechen für sich selbst und präsentieren sich im Westen als die Stimme der Kurden, was viele westliche Politiker und Medien nicht ausreichend verstehen und deshalb darauf hereinfallen.

Wegen Ihrer PKK-kritischen Berichterstattung wurde die renommierte Expertin von mutmaßlichen Mitgliedern oder Sympathisanten der Terrororganisation PKK mit dem Tode bedroht. Netjes betont daher wie wichtig es sei, trotzdem weiter zu machen und sich nicht einschüchtern zu lassen.

Sie haben sich selbst entlarvt und zeigen, dass die Arbeit, die ich mache, notwendig ist. Ich werde weitermachen. Was ich erlebe, ist wenig im Vergleich zu dem, was viele syrische Kurden, Assyrer und Araber erleben. In Syrien, aber auch in Europa.


*Die Syrische Nationale Armee (SNA), war der Vorgänger der Freien Syrischen Armee (FSA), auch bekannt als die von der Türkei unterstützte Freie Syrische Armee (TFSA). Sie ist eine Koalition bewaffneter syrischer Oppositionsgruppen im syrischen Bürgerkrieg. Sie setzt sich aus verschiedenen Rebellengruppen zusammen, die zu Beginn des Krieges im Juli 2011 entstanden sind. Seit 2017 wird die FSA offiziell von der Türkei unterstützt, die dadurch finanzielle Mittel, Ausbildung und militärische Unterstützung erhält.