Türkei: AKP zog die Lehre, Volk zieht noch ihre Lehren

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Bei den vergangenen Kommunalwahlen verlor die amtierende Regierungspartei AKP mehrere Großstädte in der Türkei. Die Partei hat von dieser Wahlniederlage ihre Lehren gezogen, während die Bevölkerung von Istanbul und Ankara noch ihre Lehren ziehen müssen.

Wahlversprechen der CHP von 2018 noch offen

Vollmundig versprach Oppositionschef Kemal Kılıçdaroğlu (CHP) während der Wahlkampfpropaganda für die Parlaments- und Kommunalwahl am 24. Juni 2018 bzw. 31. März 2019, für jeden Bauern einen Traktor; kostenlos versteht sich. Bekommen haben die Bauern in den Großstädten Istanbul, Izmir oder Ankara aber bislang nichts.

Schlimmer noch: Allein die jğngsten Anhebungen der Preise für städtisches Wasser bringen die meisten Bewohner von Istanbul und Ankara zur Weißglut. In der Hauptstadt Ankara erhöhte der Oberbürgermeister Mansur Yavaş (CHP) die Preise in der Stadt selbst abrupt um sage und schreibe 352 Prozent. In den umliegenden Gemeinden um 211 Prozent und für Betriebe um 250 Prozent.

Proteste bahnen sich an

In den umliegenden Dörfern und Gemeinden ziehen die ersten Bewohner ihre eigenen Schlüsse. Yavaş unterstütze zwar die Bauern mit 130 TL Hühnerhaltungsgeld, ziehe aber auf der anderen Seite mit den neuen Wasserpreisen über das Zehnfache wieder ein, klagt Şahin Güneşdoğmuş. Das klingt fast schon zynisch.

Seit 12 Jahren zahle er monatlich zwischen 30 und 40 TL und nun sei eine Rechnung eingetrudelt, die 1.700 TL betrage, sagt Güneşdoğmuş.

Wie diesem Bauern ergeht es vielen in Ankara und dem Umland. OB Mansur Yavaş hatte 2019 während des Wahlkampfs noch ganz anders geklungen. Von niedrigen Wasserkosten war die Rede, von einer Preisgestaltung, bei der das städtische Wasserwerk keinen Kuruş hinzuverdienen würde.

Güneşdoğmuş erlag wie viele andere den wohlklingenden Wahlversprechen und Wahlkampfzusagen. Inzwischen ist er und sind viele andere tief enttäuscht. „Haben wir deshalb unsere Stimmen gegeben“, heißt es aus der Runde der Bauern, die allesamt ihre Wasserrechnungen hochhalten. Viele drohen gar mit dem Nichtbezahlen der Rechnungen; man könne sie auch nicht bezahlen, selbst wenn man es wolle, heißt es weiter.

Kılıçdaroğlu tritt auf die Schuldenbremse

Kemal Kılıçdaroğlu forderte vor zwei Wochen Privatschuldner öffentlich auf, ihren Verpflichtungen bei der Schuldentilgung gegenüber Inkassounternehmen nicht mehr nachzukommen. Er werde mit den Unternehmen direkt sprechen, sagte Kemal Kılıçdaroğlu kämpferisch.

Über 6 Millionen Privathaushalte haben sich während der Corona-, dann während der Inflationskrise mit kleinen Beträgen verschuldet. Viele klagen über die Vorgehensweisen der Inkassounternehmen, die ihre Schuldentitel, die sie von Telekommunikationsunternehmen, Wasser- oder Gaswerken übernommen haben, eintreiben wollen. Die Regierung hat inzwischen ein Maßnahmepaket geschnürt, die diese Kleinschuldner von der Restschuld befreien, Unternehmer teils direkt, teils steuerlich entschädigen soll.

Verschuldung CHP-geführter Metropolen ecken an Schuldenquote an

Ob Kılıçdaroğlu die Bauern von Ankara dazu einlädt, ihre Rechnungen nicht zu bezahlen? Wohl kaum! Untätig ist Yavaş zwar nicht, aber die Stadt ist wie Istanbul hoch verschuldet, neue Kredite sind kaum möglich, weil langsam die Schuldenbremse greift. So entzieht Yavaş auf der einen Seite Geld von den Bewohnern, um sie auf der anderen Seite tröpfchenweise wieder auszuteilen.

So gab Yavaş am Freitag bekannt, dass jedem Inhaber der Ankara-Karte einmalig 300 TL aufgeladen werde. Das sind Karten, die den Sozialhilfeempfängern ausgestellt werden. Ein Tropfen auf dem heißen Stein, wenn man bedenkt, welche Kosten auf der anderen Seite auf die Sozialhilfeempfänger monatlich an Wasser-, Strom- und Gasrechnungen zurollen.

Wahlschlappe und die Lehren

Dafür hat die amtierende Regierungspartei AKP ihre Lehren von der Wahlschlappe gezogen und unternimmt alles, um ihre Großstadt-Bewohner zufriedenzustellen. Mit Subventionen versuchen Oberbürgermeister der AKP, die Preise halbwegs stabil zu halten. Auch sie sind wie Istanbul, Ankara oder Izmir an die gesetzliche Schuldenquote gebunden, arbeiten aber offensichtlich effizienter, beanspruchen staatliche Aufbauprogramme und investieren diese direkt auch in Infrastrukturprojekte. Das wirkt sich wiederum positiv auf die Kosten der Verbraucher und ihrer Lebensqualität aus.

Über 20 Jahre Erfahrung in städtischer Führung zahlt sich eben aus, auch wenn man im Jahre 2019 bei den Kommunalwahlen 5 Metropolen verloren hat. Die CHP ist geradezu ins kalte Wasser gesprungen und muss zusätzlich die Auswirkungen der Corona-Pandemie und Inflation stemmen.

Mehr Geld als zuvor

Das heißt aber nicht, dass den CHP-geführten weniger Geld als den AKP-geführten Metropolen zur Verfügung steht, womit sie nun einmal auskommen müssten. Die Metropolen Istanbul, Ankara oder Izmir erhalten sogar mehr Geld als sonst, vom Staat selbst. Je mehr der Staat einnimmt, desto mehr erhalten die Städte und Metropolen. Allein im Jahr 2020 erhielt die Metropole Istanbul über die Haushaltszusage hinaus nach einem komplizierten Schlüssel mehr als 17 Milliarden TL vom Staat, umgerechnet 938 Millionen Euro; mehr als 104 Prozent dessen, was eigentlich Anfang des Jahres noch veranschlagt wurde. Das Haushaltsjahr von Istanbul im Jahre 2021 war sogar höher als die von 10 Ministerien, darunter dem Justizministerium oder Ministerium für Transport und Infrastruktur.

Rekordverschuldung bei OB´s der CHP

Dennoch brilliert die CHP-geführte Metropole seit zweieinhalb Jahren mit negativen Schlagzeilen. Die CHP-geführte Metropole Istanbul verabschiedete das Haushaltsjahr 2021 mit einer Rekordverschuldung von 44 Milliarden TL bei einem Haushalt von knapp 29 Milliarden TL. Das heißt, in nur zweieinhalb Jahren während der Amtszeit von Ekrem İmamoğlu (CHP), wuchs die Schuldenlast um weitere 19 Milliarden TL an, während in der AKP-Ära von 1994 bis 2019 die Schulden um lediglich 25 Milliarden anwuchsen.

Nicht anders sieht es in der Küstenmetropole Izmir aus. Hier wuchs die Schuldenlast während der Regierungszeit von OB Tunç Soyer (CHP) um das Fünffache auf 12 Milliarden TL an. In Ankara sieht es nicht anders aus. Als Mansur Yavaş 2019 auf den Posten des OBs der Hauptstadt gewählt wurde, stand die Schuldenuhr bei knapp 1 Milliarde TL. Nur zweieinhalb Jahre später sind es bereits Stand heute über 3 Milliarden TL.

Den Schuldenrekord in der Türkei führt wieder eine CHP-geführte Stadt: Eskişehir. Hier hat die symbolhafte Provinzhauptstadt der CHP ihre Verschuldung auf über 2 Milliarden TL anwachsen lassen. Die Verschuldungsquote nimmt also zu, je weiter das Alphabet sich dem „C“ der CHP nähert.

Keine Lehren gezogen? Wahlvolk zieht noch ihre Lehren daraus!

Dennoch, jetzt stehen erneut Wahlen bevor und die CHP propagiert erneut, welche Vergünstigungen, welche Geschenke, welche Offerten man umsetzen werde, wenn das Volk sie an die Macht bringe. Weil gerade die PKW-Preise immens angezogen haben, vor allem im Gebrauchtwagensektor, will Kemal Kılıçdaroğlu nun jedem, zu einem Gebrauchtwagenpreis, einen Neuwagen andrehen. Man müsse sich nur einige Monate gedulden, erklärte Bay Kemal jüngst. Er werde es in die Wege leiten; versprochen. Ob die Wähler ihm das ein zweites Mal abkaufen?