Türkische Zentralbank senkt überraschend Leitzins

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Die türkische Zentralbank hat den Leitzins trotz hoher Inflation entgegen der allgemeinen Regeln von derzeit 14 auf 13 Prozent gesenkt. Was hat diese überraschende Leitzins-Senkung zu bedeuten und weshalb ist die Inflation so hoch?

Die türkische Wirtschaft ist auch nach dem weltweiten Einbruch in der Corona-Krise auf einem weiterhin steigenden Ast und wächst. Doch gleichzeitig steigt auch die Inflation rasant an - das heißt, viele Güter werden vor allem für das produzierende Gewerbe wie auch die türkische Bevölkerung teurer.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte in den Tagen zuvor eine Reihe von Entlastungsmaßnahmen in die Wege geleitet, um die sinkende Kaufkraft der Bevölkerung abzufedern. Vor allem die Ankündigung und Einführung einer neuen Verordnung,  Grundnahrungsmittel drastisch senken zu wollen, ist dabei in den Fokus der Medien gerückt.

Genossenschaften bieten günstige Grundnahrungsmittel an

Laut Experten handelt es sich bei der Preissenkung der Genossenschaftsprodukte um einen Wink mit dem Zaunpfahl, die vor allem den türkischen Lebensmittel- und Einzelhandelsketten gilt. Der türkische Industrie, Wirtschafts- und Technologieminister Mustafa Varank wurde vergangene Wochen noch deutlicher und zeigte dabei öffentlichkeitswirksam auf bestimmte Lebensmittelketten, die die Preise nach wie vor über das Maß hinaus nach oben treiben würden, so Varank.

Inflation in Zusammenhang mit der türkischen Geopolitik

Und noch ein Problem tut sich dabei auf, die bislang immer als schnöde Verschwörungstheorie abgetan wird: die hohe Inflation in Relation zum Wirtschaftswachstum und die Verbindung zu geopolitischen sowie geostrategischen Entscheidungen der Türkei. Darüber hinaus die Abhängigkeit vom US-Dollar als Leitwährung, vor allem in Bezug zu deren Inflation.

Die hohe Inflation in der Türkei hat nicht nur ökonomische und politische Gründe, die in der Türkei zu suchen sind. Die weltweite Weltwirtschaftskrise, die Corona-Pandemie, jetzt der Ukraine-Konflikt; das treibt die Inflation in der Türkei ebenso nach oben, wie auch die geopolitischen und geostrategischen Entscheidungen, die die Türkei bislang verfolgt.

Schon Inönü, Ecevit und Demirel hatten damit zu tun

Als der türkische Ministerpräsident İsmet İnönü infolge der Zypern-Krise von 1964 auf eine breite Ablehnung der NATO-Verbündeten stieß, gründete die Türkei ihre erste Stiftung zur Stärkung des Militärs. Als die Sanktionsmaßnahmen der NATO-Verbündeten nach der Operation Atilla im Jahre 1974 noch einmal verschärft wurden, setzte Bülent Ecevit durch, dass die Stiftung und weitere Organisationen sich im Jahre 1975 zur gegenwärtigen ASELSAN zusammenschließen. Heute gilt der türkische Rüstungskonzern zum größten Rüstungshersteller der türkischen Streitkräfte.

Wenn man die geopolitischen Entscheidungen der Inönü-, Ecevit- oder Demirel-Regierung im zeitlichen Kontext mit der Inflation der Türkei betrachtet, stellt man unschwer fest, dass die Inflation mit den Entscheidungen der türkischen Regierungen sehr wohl in Zusammenhang stand. Die Inflation stieg, wenn der Westen mit Entscheidungen der Türkei nicht zufrieden war, sank, wenn die Türkei dem Westen entgegenkam oder zumindest in dieser Zeit das Land geopolitisch oder geostrategisch gefragt war.

Allen türkischen Staatschefs wurde die selbe Frage gestellt

Genauso wie bei Ecevit im Jahre 1978, stellt man heute Erdoğan derzeit dieselbe Frage, ob der Verbleib der Türkei in der NATO noch einen Sinn ergibt, wenn sich das Land der UDSSR bzw. Russland zuwendet. Und das, weil die Türkei unter anderem an ihren Grenzen enorme Probleme mit ihren Nachbarn hatte oder wie jetzt wieder hat; weil die Zypern-Krise nicht gelöst wurde und heute ungelöst erneut zum Streitpunkt erhoben wird; weil die Ägäis-Frage damals schon Reibungspunkte schaffte und gegenwärtig wieder zum Tagesordnungspunkt zurückgekehrt ist.

Das heißt, die türkischen Regierungen hatten immer wieder Inflationsphasen zu meistern, die unmittelbar mit Konflikten in der Nähe des Landes zusammenhingen und an deren Ende immer die NATO oder der Westen dies mit unerklärlichen Sanktionsandrohungen, ja sogar eingeführten Sanktionen gegen die Türkei befeuerte. Die derzeitige Erdoğan-Regierung hat genau wie die Inönü-, Ecevit- oder Demirel-Regierung mit einer Inflation zu kämpfen, die kaum mehr mit innerpolitischen oder wirtschaftlichen Gründen erklärt werden kann.

Lackmustest?

Die türkische Regierung hat nun den Leitzins von 14 auf 13 Prozent gesenkt. Damit wird einerseits den türkischen Banken ermöglicht, günstig an Geld zu kommen und günstige Kredite auszuteilen. Es wird auch ein Signal an die Welt gesendet, in die Türkei zu investieren; in Anbetracht der steigenden Wirtschaftszahlen eigentlich ein verlockendes Angebot. Die Frage stellt sich jedoch, ob dieses Angebot wahrgenommen wird oder nicht. Hier wird sich zeigen, ob der Westen auf diesen Zug aufsteigt oder bewusst vorbeifahren lässt. Ob die Erdoğan-Regierung das jetzt testen will?

Türkische Kartellbehörde soll Preisabsprachen aufdecken

Etwas Interessantes passiert derzeit, was in diesem Zusammenhang nicht aus den Augen verloren werden darf: Die türkische Kartellbehörde (Rekabet Kurulu) reagiert derzeit viel öfter und viel energischer, als bis jetzt - ein Novum. Offensichtlich ist die Rekabet Kurulu aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht. Aber wieso erst jetzt? Hat die Regierung hier auf den Knopf gedrückt, um die großen nationalen wie internationalen Banken, Lebensmittel- und Einzelhandelsketten, Dienstleister und Unternehmen bei ihrer Preisgestaltung genauer unter die Lupe zu nehmen? Offensichtlich!