Ein „Sechser-Tisch“ voller Narren?

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Was für ein Klamauk, wie solche Witzfiguren des türkischen Oppositionsbündnisses vom „Sechser-Tisch“ noch daran glauben, über das Wochenende sich auf einen Spitzenkandidaten einigen zu können, der am 14. Mai gegen den amtierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan antritt.

Halten wir fest: Gestern traf sich der „Sechser-Tisch“ zum zwölften Mal seit ihrem einjährigen Bestehen, um einen Spitzenkandidaten zu küren, der am 14. Mai nach O-Ton von Meral Akşener (IYI-Partei) die „Freaks“ dahinfegt. Das Ergebnis des Treffens wurde auf Papier gebracht, alle sechs Parteivorsitzenden segneten es per Unterschrift ab. Der Spitzenkandidat sollte am kommenden Montag offiziell vorgestellt werden. Damit kündigte sich aber zugleich ein langes Wochenende an.

Heute, nach dem IYI-Parteivorsitzende Meral Akşener gestern das Gipfeltreffen verließ und anschließend eine Nacht in der Parteizentrale mit dem Parteigremium verbracht hatte, fegt die 66-Jährige den noch unausgesprochenen Spitzenkandidaten Kemal Kılıçdaroğlu (CHP) geradezu vom Tisch. Sie ruft die Oberbürgermeister Mansur Yavaş (CHP) sowie Ekrem İmamoğlu (CHP) zur Konterrevolution gegen ihren eigenen Parteichef auf.

Jetzt herrscht am „Sechser-Tisch“ genervte Gereiztheit, wenngleich das Groß des Oppositionsbündnisses noch gute Miene zum bösen Spiel macht. Die richtungslose Wechselstimmung des Oppositionsbündnisses hat nicht nur die eigenen Wähler gegen sich aufgebracht, sondern die erheblichen Risse am Tisch offenbart.

In den wenigsten Fällen brillierte der „Sechser-Tisch“ mit Positionen, die die Wähler hätte vom Hocker reißen können. Mit dem Offenbarungseid der Verachtung gegenüber den Politgegnern AKP und MHP konnte man auch keinen einzigen Wähler hinzugewinnen, weder von der verachteten Konkurrenz, noch von Nichtwählern. Mit dem Hinauszögern der Kandidaten-Entscheidung, hat man sich selbst in eine aussichtslose irre Situation gebracht; zumindest in den Augen der Wähler.

Und noch etwas spielt als Zünglein an der Waage eine erhebliche Rolle, wie die Wähler sich entscheiden: das Sextett, mit dem sich Wähler viel weniger erhoffen, als der Regierungskoalition. Mit diesem „Sechser-Tisch“, das von sich behauptet, ein Land aus der Krise zu dirigieren, kann man keinen Blumentopf gewinnen, heißt es schlichtweg. Jetzt bekommen sie recht, denn der „Sechser-Tisch“ hat ja nicht einmal sich selbst im Griff, wie soll sie ein Land in den Griff bekommen?

Ist ja nicht unbegründet! Sechs unterschiedliche politische Strömungen, dazu noch ein stiller Teilhaber, wollen dieselben Rechte am Ruder. Vor allem, wenn da auch noch ein Krawallmacher wie die völkisch-kurdische HDP ins Spiel kommt, hat das eine ungeahnte Sprengkraft für beinahe alle im Sextett und für das zu steuernde Staat. 

Noch hofft der „Sechser-Tisch“, dass die HDP als stille Teilhaber ihre Stimmen geben, ohne viel Aufhebens drum zu machen, was man im Gegenzug an Positionen und politischen Zugeständnissen erwartet. Jetzt munkelt man schon darüber, dass die Kommunisten und Linksextremen die Lücke füllen könnten, die Meral Akşener aufgerissen hat. Aber nehmen es die Wähler auch so ab?

Meral Akşener erklärte jetzt, entweder Geschichte zu schreiben oder Geschichte zu werden... Fürwahr, für Akşener und Kılıçdaroğlu sowie die zwei OB´s steht einiges auf dem Spiel. Die zwei Vorsitzenden würden eine weitere Politpleite nicht verkraften und die zwei Oberbürgermeister halten sich an die Parteiordnung und haben inzwischen signalisiert, nicht gegen ihren Parteivorsitzenden opponieren zu wollen. 

Aus gutem Grund: sie sind noch grün hinter den Ohren, um gegen Erdoğan anzutreten. Sie wollen sich nicht aufopfern, wie einst Muharrem Ince (einst CHP, jetzt Memleket-Partei), der 2018 inmitten derselben Querelen gegen Erdoğan erlag.

Der Aufruf von Meral Akşener an die beiden OB´s scheint vielmehr ein letzter verzweifelter Versuch zu sein, die eigene Parteidisziplin aufrechtzuerhalten und die Parteilinie zu retten, in dem man die beteiligten Bündnispartner zu weiteren Nachverhandlungen zwingt. Ob das jemand noch abkauft, um sich einer ungewissen politischen Neuordnung auszusetzen?