Der Vorsitzende der größten türkischen Oppositionspartei CHP, Özgür Özel, spricht nicht wie ein politischer Führer - er spricht wie ein Krisenmakler, der versucht, Korruption und Bestechlichkeit innerhalb des Parteikaders mit Provokationen gegen die amtierende Regierung zu vertuschen. Hat die CHP, haben die Mitglieder und Wähler diesen Mann verdient?
Dieser Diskursstil, der mit marktschreierischen Straßenappellen und Andeutungen zur Rebellion die Regierung ins Visier nimmt, zeigt vielmehr, dass die Parteiführung politisch erschöpft ist und keine Handhabe gegen die rechtstaatliche juristische Aufarbeitung hat.
Im Raum steht zudem die Frage, weshalb Özgür Özel immer noch verzweifelt versucht, den wegen Korruption und Bestechung inhaftierten Bürgermeistern stoisch beizustehen, zumal die Beweislast sehr schwer wiegt.
Wenn z. B. der Oppositionschef Özgür Özel in einer öffentlichen Rede davon spricht...
Unsere Bürgermeister sagten: „Da Sie die Ausschreibung gewonnen haben, spenden Sie doch für die Suppenküche dort!“ - Özgür Özel
… dann ist es für den Tatbestand der Erpressung nicht erforderlich, dass das Geld in die Tasche eines Amtsträgers wandert - auch jeder Vorteil, der einer dritten Person oder Institution gewährt wird, nach dem ein Behördengang erledigt wurde, fällt in den Tatbestand der Bestechung oder Erpressung.
Was lernen wir daraus? Wie man es auch dreht und wendet, der Straftatbestand kann nicht negiert werden.
Weil aber das allein die Gesellschaft nicht aufzuwiegeln vermag, setzt Özgür Özel während seiner Rede noch einen darauf:
Sie konnten nicht den geringsten Beweis, den geringsten Beleg oder einen einzigen konkreten Hinweis gegen unsere Freunde vorlegen, die sie festhalten.
Offensichtlich konnten die "Money-Tower", die rund 40 Kronzeugen aus den Reihen der eigenen Partei, darunter ehemalige Bürgermeister, Abgeordnete, Delegierte und Unternehmer, die 110.000 Euros in einer Baklava-Schachtel, die Strafanzeigen eigener Parteimitglieder gegen die Wahlen beim 38. Parteitag, den Parteivorsitzenden selbst immer noch nicht überzeugen, wie ernst es um die inhaftierten Genossen, und vor allem um ihn selbst eigentlich steht.
Denn, es gibt da Kronzeugen wie Adem Soytekin, Geschäftsführer der Baufirma ASOY. Der scheint mit dem ehemaligen Oberbürgermeister von Istanbul, Ekrem İmamoğlu, ein Kapitel schließen und reinen Tisch machen zu wollen. Soytekin war einer der ersten, der sich nach der Inhaftierung mit der Kronzeugenregelung eine Strafmilderung erhofft hat, weshalb er schrittweise mit Bankbelegen und Notarbeurkundungen nachwies, wie sich İmamoğlu bereichert habe.
Turan Taşkın Özer bat uns um eine Spendenquittung. Für eine Spende, die wir nie getätigt hatten. Er sagte deutlich verständlich, es sei eine Anweisung von Ekrem İmamoğlu. Wir haben die "Anweisung" befolgt. Ich habe zwei gefälschte Spendenquittungen über 5 Millionen türkische Lira und 1,7 Millionen Euro ausgestellt. Mein Freund İlhan Akbayır hat ebenfalls ähnliche gefälschte Quittungen ausgestellt. - Adem Soytekin
Und dennoch, trotz dieser Tatsachen, verteidigt Özgür Özel selbst vehement seinen Partner, mit dem er seinen Ziehvater und ehemaligen Vorsitzenden der CHP, Kemal Kılıçdaroğlu, entthront hat.
Es bringt auch nichts mehr, zum Befreiungsschlag auszuholen. Denn das endet zeitnah im Fiasko: Wenn z. B. der CHP-Abgeordnete Mahmut Tanal während eines Interviews in der Öffentlichkeit in Izmir versucht, die Inhaftierungen von CHP-Bürgermeistern als politisch motiviert darzustellen, dann darf er sich nicht wundern, dass in dem Augenblick Geschädigte in das Interview hineingrätschen und lautstark erklären, Tunç Soyer habe als OB von Izmir zwischen 2019 bis 2024 zivile Baukooperative um das Geld gebracht. Der Mann, Vorsitzender der Kooperative selbst, behauptet, persönlich Strafanzeige wegen Betrug erstattet zu haben.
Das eigentliche Problem an dieser größten kriminellen Organisationsstruktur in der Geschichte der Republik ist: Die Personen, die um Bestechung gebeten, die Bestechung gefordert haben, waren CHP-Mitglieder. Die Personen, die sich beschwert haben, die Strafanzeigen gestellt haben, waren auch CHP-Mitglieder oder Wähler dieser Partei - aber die CHP werde von der amtierenden Regierungskoalition designt!?
Die Inhaftierung unseres Bürgermeisters von Manavgat, Niyazi Nefi Kara, und von 35 Gemeindeverwaltern ist keine rechtliche, sondern eine politische Entscheidung. - Ali Mahir Başarır, CHP-Abgeordneter der Provinz Mersin
Das ganze erinnert mich derzeit an einen türkischen Filmausschnitt von "Ne Olacak Şimdi" mit Şener Şen. Şener Şen sitzt in dieser Szene im Unterhemd vor einer leicht bekleideten Frau, während die Ehefrau hereinstürmt. Als Notlösung gibt Şener Şen vor, er diktiere der Sekretärin eine Bestellung:
Schreib, mein Mädchen!
Gebäck im Wert von 142 Millionen aus Hakkari
Baklava im Wert von 94 Millionen aus Muş
Schwarzes Klebeband zum Abkleben von Kameras
Störsender im Koffer
110.000 Euro in Baklava-Schachteln...
Aber wie immer gibt es auch eine andere Seite der Medaille: das öffentliche Bewusstsein für Korruption hat sich verstärkt, ebenso wie die Diskussionen und Debatten sowohl in der Gesellschaft wie Politik. Es wäre der ideale Zeitpunkt, dass sich unabhängige Gruppen bilden, Nichtregierungsorganisationen, die Zivilgesellschaft, die Medien und viele mehr, die ein Interesse daran haben, Korruption sowie Bestechung und die Informationen darüber, freizusetzen, offensiv politisch auszunutzen. Der unrechtmäßigen Verwendung von anvertrauter Macht, sei es in der Politik, Wirtschaft oder anderen Bereichen, um sich oder anderen unrechtmäßige Vorteile zu verschaffen, muss ein Riegel vorgeschoben werden.