Die Delegierten der größten türkischen Oppositionspartei CHP, Umut Şenol und Berat Çağrı Kapki, die im Rahmen der Korruptions- und Bestechungsermittlungen gegen den ehemaligen Oberbürgermeister von Istanbul und Präsidentschaftskandidaten Ekrem İmamoğlu festgenommen wurden, haben ebenfalls von der Kronzeugenregelung gebrauch gemacht. Damit steigt die Anzahl der „Genossen“ oder „Freunde“, die im Rahmen der Ermittlungen gegen İmamoğlu und der "kriminellen Organisation" festgenommen wurden und von dieser rechtlichen Bestimmung Strafmilderung erhoffen, auf rund 40. Ihre vollumfänglichen Aussagen zu den gegen ihnen erhobenen Vorwürfen, belasten Ekrem İmamoğlu schwer.
Gefangen im Netz betrügerischer Machenschaften
Mit Beginn der Razzia gegen den ehemaligen OB von Istanbul, Ekrem İmamoğlu, am 19. März, verstärkt sich nicht nur der Druck auf den "Kopf" der "kriminellen Organisation", sondern auch auf die Oppositionspartei CHP selbst, die bislang stoisch İmamoğlu in Schutz nimmt. Der Vorwurf, die Spitze der größten Oppositionspartei tue nicht genug für ihren Präsidentschaftskandidaten, beginnt mit der halbgarenen Verteidigung. Man staunt u. a. darüber, dass kein einziger der bisherigen Kronzeugen von der Partei wegen Verleumdung angezeigt wurde. Auch İmamoğlu selbst, hat laut Medienberichten davon bislang abstand genommen. Das führt sichtlich zur Erosion der eigenen Glaubwürdigkeit, nicht nur innerhalb der Partei, sondern vor allem gegenüber der eigenen Wählerschaft.
Kritiker erklären hingegen, damit werde der Spitzenpolitiker vom politischen Prozess ausgeschlossen und ihren Wählern letztlich das Stimmrecht genommen. İmamoğlu und sein Parteivorsitzender Özgür Özel sprechen von einer politischen Verfolgung, das man eher in einem autoritären Regime erwarte. Das Ziel sei einzig und allein, ihn von der Präsidentschaft auszuschließen. Die nächste Präsidentschaftswahl findet spätestens 2028 statt.
Star-Generalstaatsanwalt Akin Gürlek
Der Istanbuler Generalstaatsanwalt Akin Gürlek lässt sich davon nicht beirren und weitet die Ermittlungen ständig aus, auch aufgrund der knapp 40 Kronzeugen von insgesamt und bislang 130 in Untersuchungshaft genommenen Personen aus dem Umkreis des ehemaligen Istanbuler OB´s. Dabei sind inzwischen auch Personen aus dem unmittelbaren Umfeld von Imanoğlu selbst, die sich aus Delegierten, Beamten aus Gemeinde- wie Stadtämtern und Unternehmern zusammensetzen. Sollten die Vorwürfe in der noch nicht verfassten Anklageschrift vom Strafgericht angenommen werden, drohen den Inhaftierten wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder, Korruption, Bestechung und Drohung im Amt nicht nur mehrjährige Haftstrafen, sondern ihnen wird auch für Jahre das passive Wahlrecht entzogen. Bliebe es dabei, könnte İmamoğlu bei der Präsidentschaftswahl auch wegen seinem aberkannten akademischen Grad nicht antreten. Experten zufolge werden die Ermittlungen noch Monate dauern, die Gerichte noch Jahre damit beschäftigt sein, bis ein unanfechtbares Urteil gefällt ist.
CHP steht vor der Zerreißprobe
Derweil steht die größte Oppositionspartei vor einer weiteren großen Herausforderung: Gegen die Partei selbst läuft seit einigen Monaten ein brisanter Prozess. Am 30. Juni 2025 wird ein zuständiges Verwaltungsgericht in Ankara wahrscheinlich die Entscheidung darüber fällen, ob die Wahl des aktuellen Parteivorstandes unter dem Vorsitz von Özgür Özel vom 38. Parteikongress im November 2023 nichtig zu erklären ist oder nicht.
Der Vorwurf, dass die Wahl des Parteivorstands nicht mit rechten Dingen zu tun hatte, Delegierte bei der Stichwahl mit Geldern, Zuwendungen, Reisen und Immobilien bestochen worden sein sollen, wurde aus den eigenen Reihen, vor allem durch den damals abgesetzten Vorsitzenden Kemal Kılıçdaroğlu in den Raum geworfen. Kurz nach der Wahl des neuen Parteivorstands, sprach Kemal Kılıçdaroğlu von einem Dolchstoß aus unmittelbarer Nähe. Daraufhin stellten mehrere Mitglieder der Partei Strafanzeige gegen die Partei selbst.
Gegenwärtig herrscht daher innerhalb der Oppositionspartei Chaos. Nach der Ankündigung Kemal Kılıçdaroğlus, bei Nichtigerklärung des Gerichts den Vorsitz wieder übernehmen zu wollen, um einer bis zur nächsten Wahl des Parteivorstands der treuhänderischen Regelung zuvorzukommen, rief der OB von Ankara Mansur Yavas (CHP) die Partei dazu auf, diesen Schritt zu beherzigen, bis die "Wogen geglättet" sind. Damit ist das Chaos perfekt: İmamoğlu ließ aus der Untersuchungshaft kurz darauf verlauten, man solle Zusammenhalten und zum gegenwärtigen Vorsitzenden Özgür Özel stehen. Damit zeichnet sich ein Kampf innerhalb der Flügeln in der Partei ab, der in den sozialen Medien bereits voll entbrannt ist.
Bis zur Wahl des Parteivorsitzenden Özgür Özel im Gespann mit İmamoğlu unternahm man alles, um sicherzustellen, dass Muharrem İnce und Kemal Kılıçdaroğlu dieses Land von Erdogan übernehmen. Betrachtet man die Lage jetzt, scheint man nun gänzlich einer anderen Meinung zu sein. Das zeigt sich in den sozialen Medien, in der jetzt derart unter die Gürtellinie geschlagen wird, dass man sich schon fremd schämen kann.