Für oder gegen den Westen, das ist die entscheidende Frage, die man derzeit Armenien stellt. Der jüngst ausgebrochene Konflikt mit Aserbaidschan könnte ein Indikator dafür sein, weshalb Armenien die Grenzstreitigkeiten neu aufgeflammt hat, dabei zum willfährigen Gehilfen Russlands und des Irans wird.
Ukraine-Krieg verändert gloabale Lieferketten gravierend
Aufgrund des Krieges zwischen der Ukraine und Russland sucht der Westen nach alternativen Wegen, um Waren auf verkürzten Lieferwegen von Ost nach West zu transportieren. Der Sangesur-Korridor, manchmal auch als Nachitschewan-Korridor bezeichnet, ist in dieser Hinsicht ein wichtiges fehlendes Glied einer Transporttrasse, die man als Südlicher Korridor kennt. Über diesen Südlichen Korridor könnten Energie, Nahrungsmittel und Handelsgüter schneller und effektiver Europa erreichen und umgekehrt.
Die Unterbrechung des Nordkorridors aufgrund des Krieges in der Ukraine, zwingt die Europäische Union, nach Alternativen zu suchen und schnell umzusetzen.
EU sucht dringend nach Alternativen
Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, hatte im vergangenen Dezember nach trilateralen Gesprächen mit Armenien und Aserbaidschan angekündigt, zwischen den Parteien zu vermitteln. Michels Plan sah vor, dass jedem Land ermöglicht wird, den Teil des Korridors zu kontrollieren, der durch dessen Territorium verläuft.
Damit wollte die EU vor allem Moskaus Einfluss aus dem Kaukasus weiter zurück drängen, die seit der Unterzeichnung des Waffenstillstands von 2020 zwischen Armenien und Aserbaidschan die Verantwortung für den Sangesur-Korridor trägt.
Der jüngst ausgebrochene Konflikt könnte in diesem Lichte betrachtet werden, bei der die EU mit einigem Erfolg versucht, die Verhandlungen umzugestalten und die Versuche Moskaus abzuwehren, sich im Korridor festzusetzen. Interessanterweise hat sich in diesen Streit auch der Iran eingeschaltet und will diesen Korridor entlang ihrer Staatsgrenze nicht zulassen.
Iran droht Aserbaidschan
Das Säbelrasseln der Iraner hat die nationalistischen Parteien Armeniens beeindruckt, wie sie auch die aserbaidschanischen Bemühungen, mit Verhandlungen den Korridor zu öffnen, torpedieren. Auf der anderen Seite setzt Moskau darauf, dass die armenische Regierung ihrer Loyalität gegenüber Russland bewusst wird. Die Verweigerung der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO), Armenien nach den jüngsten Kampfhandlungen beiseite zu stehen, kann als Warnung verstanden werden, nicht aus der Reihe zu tanzen und mit dem Westen nicht zu kooperieren.
Drehbuchautor Russland, Darsteller Armenien
Laut Stephan Blank vom US-amerikanischen Think Tank Foreign Policy Research Institute, spielt Armenien nach dem Drehbuch Moskaus, wenn es den Sangesur-Korridor weiterhin blockiert. "Indem Armenien weiterhin den Sangesur-Korridor blockiert, spielt es nach Moskaus Drehbuch, die Weltwirtschaft im Würgegriff zu halten. Gleichzeitig haben Generationen populistischer anti-türkischer und anti-aserbaidschanischer Rhetorik den Spielraum eingeengt, der armenischen Politikern zur Verfügung steht, um die Beziehungen zu ihren Nachbarn zu normalisieren. Jetzt ist es jedoch für Armenien an der Zeit zu entscheiden, ob es ein Freund des Westens ist, wie seine starke und lautstarke Diaspora in den Vereinigten Staaten und Europa fest behauptet, oder nicht."