Nach einem Besuch in Armenien flog Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nach Aserbaidschan, um sich mit dem aserbaidschanischen Amtskollegen Jeyhun Bayramov in Zusammenhang mit Bergkarabach auszutauschen. Fazit: Die feministische Außenpolitik der Bundesregierung ist dem Völkerrecht nicht gewachsen, dem eigenen Chauvinismus gewichen.
Annalena Baerbock reiste am Samstagabend nach Baku, um sich mit dem aserbaidschanischen Amtskollegen Jeyhun Bayramov zu treffen. Während Baerbock zuvor sich mit armenischen Flüchtlingen in Armenien traf um erschüttert auf den Ararat zu blicken, am Mahnmal in Jerewan traurig dreinzuschauen, die vor wenigen Monaten aus Bergkarabach ausgereist waren, verweigerte sich die Völkerrechtlerin, aserbaidschanische Binnenflüchtlinge zu besuchen, die vor über 30 Jahren aus ihrer Heimat Bergkarabach beim armenischen Angriffskrieg vertrieben wurden.
Baerbock erklärte am Samstagabend bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit ihrem aserbaidschanischen Amtskollegen Jeyhun Bayramov nüchtern:
"Ich habe immer gesagt, dass Karabach aserbaidschanisches Territorium ist, und Deutschland die territoriale Integrität Aserbaidschans konsequent unterstützt hat."
Baerbock reiste nach Armenien mit der Absicht, Solidarität zu demonstrieren, sich mit dem Leid der Menschen zu identifizieren, während sie nach Aserbaidschan reiste, um als nüchterne Völkerrechtlerin rein geschäftliches zu besprechen. Das Konzept der feministischen Außenpolitik konnte man in Armenien hautnah mitfühlen. Die Perspektiven aller Menschen – unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung und Identität, Hautfarbe, Religion, mit oder ohne Behinderung – berücksichtigen zu wollen, Menschen als Individuum in den Fokus zu rücken und Gerechtigkeit als zentralen Mittelpunkt zu vermitteln, davon war in Baku nichts mehr zu spüren. Es ging schlichtweg um die Sicherung der eigenen Perspektiven, um die trockenen Verpflichtungen nach dem Völkerrecht, um wirtschaftliche Interessen, die aus der Region erwachsen.
Von einer wertebasierten und feministischen Außenpolitik kann also keine Rede sein; nicht nur in Bezug zum Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien, bei der man zuvor noch ein EU-Gasembargo gegen Aserbaidschan forderte (Anton Hofreiter).
Im Gaza-Konflikt will die Völkerrechtlerin Baerbock wiederum keinen Appell an Israel richten, wie sie es für den besetzten Bergkarabach von Aserbaidschan forderte. Damals galt der Appell an Aserbaidschan, einen humanitären Zugang zum abgeriegelten Bergkarabach zu sorgen, den Latschin-Korridor freizuhalten, für "humanitäre Hilfe" versteht sich, und ganz vorne dran: Waffenstillstand. Die Menschen in Bergkarabach seien in einem katastrophalen Zustand, so die Völkerrechtlerin damals.
Wie würde man als gerechte Außenministerin den Zustand im Gazastreifen bezeichnen? Katastrophal? Was würde man als Völkerrechtlerin von Israel fordern? Uneingeschränkten Zugang über den Grenzübergang nach Ägypten bei Rafah? Waffenstillstand?
Nichts von alledem erfahren die Palästinenser in Gaza. Baerbock verteidigt sogar Israels Vorgehen im Gazastreifen, denn Israel habe – wie jeder Staat auf der Welt – die Pflicht, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen und sich gegen Angriffe zu verteidigen. Man ist nicht einmal fähig, eine Waffenruhe einzufordern.
Was Baerbock am Samstagabend als Völkerrechtlerin zähneknirschend von sich geben musste, wird man auch in Zusammenhang mit dem Gazastreifen hören; sogar früher als erhofft, denn die Bundesregierung braucht Zeit, um ihre Schneise der diplomatischen Verwüstungen zu kaschieren.
Währenddessen versucht die Bundesregierung im eigenen Land die Gerechtigkeitsfloskeln der feministischen Außenpolitik konsequent zu verleugnen, weil es ihr auf die eigenen Füße fällt. Die Perspektiven aller Menschen berücksichtigen zu wollen, Gerechtigkeit walten zu lassen, war wohl doch nicht so eine gute Idee. Also wieder zurück zum Chauvinismus!
Das heißt, die Gleichstellung der Menschen, der individuelle Mensch, ist nicht mehr gefragt. Gefragt ist wieder der Drang zur Überlegenheit der eigenen Kultur und Religion, glaube über die Überlegenheit der eigenen Gruppe, sprich exzessiver Nationalismus. Deshalb gibt es wieder vermehrt Verbotsforderungen gegen alles, was Deutschlands, Israels Image schaden könnten.