Zum Tode von Shireen Abu Akleh

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Die langjährige Reporterin für den arabischsprachigen Kanal Al Jazeera, Shireen Abu Akleh, wurde heute bei einem Gefecht getötet - so titeln zumindest die bekanntesten westlichen Presseagenturen, die von europäischen Medienhäusern kommentarlos übernommen werden.

Zunächst einmal muss man bei Gewalttaten alle Seiten anhören: Augenzeugen, die betroffene Pressecrew sowie die israelische Regierung, die das Tun ihrer Verteidigungsstreitkräfte (IDF) zu verantworten hat. Danach folgen die Ermittlungen, die durch unabhängige Stellen erfolgen. Dann wird die Schuld festgestellt.

Aber hier sind die Beweise erdrückend. Erdrückender als z.B. der Mord am US-Journalisten Brent Renaud, der zusammen mit Kollegen im schwer umkämpften Irpin (Ukraine) unterwegs war und das erste Medien-Opfer im Ukraine-Konflikt wurde.

Seit 2010 wurden laut dem Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) bislang 11 Journalisten bei ihrer Arbeit in Israel bzw. in den besetzten Gebieten sowie in Westjordanland getötet 1. Im selben Zeitraum - nur um mal ein Gefühl dafür zu bekommen - wurden in der Türkei 5 Journalisten getötet; alle entweder während der gewaltsamen völkisch-kurdischen Unruhen zwischen 2015 und 2016, vor allem aber in Zusammenhang mit dem syrischen Bürgerkrieg 2.

Nun kommt ins Kerbholz Israels heute noch ein Medien-Opfer hinzu: die 51-jährige, aus Bethlehem stammende Shireen Abu Akleh. Laut ihren Kollegen und Kolleginnen der Pressecrew, die zum Tatzeitpunkt unmittelbar neben Shireen standen oder in nächster Nähe den gewaltsamen Tod miterlebten, ist die Schuldfrage längst geklärt.

Denn, alle Aussagen stimmen darüber ein, dass sich die Pressecrew kenntlich gemacht hatte, es in unmittelbarer Nähe keine Vorkommnisse gab, die die IDF hätte veranlassen können, unmittelbar zu schießen. Außerdem erfolgten die gezielten Schüsse auch nach dem, als der erste Reporter verletzt wurde und lauthals geschrien habe. Erschwerend kommt noch hinzu, dass die herbeieilenden Sanitäter von den IDF aufgehalten worden seien.

Die Tatsache, dass praktisch alle Menschenrechtsorganisationen Israel als Apartheidstaat bezeichnen; das nur mal nebenbei. Dass die US-Führung das ganze finanziert und deckelt, arabische Nationen sich klammheimlich von den Palästinensern abwenden, ist mal nebensächlich. Weshalb die israelische Regierung die aggressive Siedlungspolitik trotz allem vorantreibt, Gläubige mehrerer Religionsgemeinschaften schikaniert, ihre Meinungen unterdrückt, kann debattiert werden.

Nicht debattiert werden kann aber der moralische Bankrott des deutschen Establishments, dass sich „Nie wieder!“ geschworen hatte und dabei auch jeden Keim darin ersticken wollte. Sie sind kläglich gescheitert oder haben - und das wäre sogar geradezu kriminell - einen verschwiegenen Deal mit der israelischen Regierung.

Im Bundestagmilieu herrscht auch diesmal konsequentes Schweigen, während über den Tod von Brent Renaud der Bundestagsausschuss ausgiebig informiert wurde, um die russische Aggression entsprechend scharf zu verurteilen. In sozialen Netzwerken wird derzeit über die ach so gefährliche Bandenkriminalität in NRW fabuliert, während der Hashtag #ShireenAbuAkleh durch die Decke schießt. Manche haben offenbar einen starken Magen, um das bewusst auszublenden.

Wir erinnern uns: Cem Özdemir hatte von der Bundesregierung die Erwartungshaltung, den „Journalisten und Journalistinnen in der Türkei volle Rückendeckung“ zu geben und dabei die „Verschärfung der Reisewarnung, Bereitschaft zur Einschränkung der Hermesbürgschaften und Einbestellung des türkischen Botschafters“ als Mittel einzusetzen.

Und was macht unser Deniz Yücel, aka Besser_Deniz? Auch er übt sich im Schweigen, genauso wie sein elitärer Verein PEN Germany. Es gibt aber auch Ausreißer. Zum Beispiel hält es Eren Güvercin von der Alhambra Gesellschaft für amoralisch, wenn der Vorsitzende der türkischen DITIB, Kemal Ergün, den „schrecklichen Tod“ - wie es Eren Güvercin nennt - an Shireen der IDF anlastet, aber die Pressefreiheit der Türkei nicht anspricht oder ausspricht. So etwas würden jene machen, die den „schrecklichen Tod einer Journalistin nur ideologisch ausschlachten und Feindbilder bedienen“, so Güvercin weiter.

Der Bursche kennt nicht einmal mehr den Unterschied zwischen Mord und Verhaftung, um eine moralische Bewertung abzugeben, aber darum geht es ihm ja auch gar nicht. Er verfolgt, wie Besser_Deniz, eine ganz andere Agenda.

Lassen Sie mich eins klarstellen: man kann nicht allen Journalisten und Journalistinnen in Israel, im Westjordan oder in den Palästinensergebieten ins Gesicht schießen. Man kann auch nicht die ganze Welt mit Taschenspielertricks blind machen! Die Bundesregierung wird sich mit dieser schäbigen Politik noch selbst viel Kopfschmerzen bereiten, weil sie die Ohnmacht und den Zorn im Land nicht unter Kontrolle bringen wird; weder mit dem Netzwerkdurchsuchungsgesetz, noch mit Verboten von Demonstrationen.

Quellen:

1) Journalisten die in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten zwischen 2010 und 2022 getötet wurden - bestätigte Fälle

2) Der syrische Journalist Fares Hamadi wurde zusammen mit seinem Kollegen Ibrahim Abd al-Qader am 30. Oktober 2015 in einer Wohnung im türkischen Urfa im Südosten der Türkei getötet. Zwei Tage nach den Morden veröffentlichte der Islamische Staat (IS) ein Video, in der sie sich für die Tat bekannten.

Naji Jeff wurde im türkischen Gaziantep ermordet. Wenige Tage später bekannte sich eine islamistische Gruppierung der IS zum Mord.

Rohat Aktaş, Nachrichtenredakteur der kurdischsprachigen Tageszeitung Azadiya Welat, wurde zuletzt am 30. Januar 2016 in der südosttürkischen Stadt Cizre gesehen. Tage später wurde die Leiche aus einem ausgebrannten Gebäude mit anderen Leichen geborgen. Ein DNA-Test bestätigte daraufhin die Identität. Zum Zeitpunkt des Verschwindens kämpften im belagerten Cizre Sicherheitskräfte, unterstützt mit Panzern, mit der verbotenen völkisch-kurdischen PKK.

Der syrische Journalist Zaher al-Shurqat starb im Krankenhaus, nachdem ihn ein maskierter Mann in einer Straße in der südtürkischen Stadt Gaziantep laut Nachrichtenberichten in den Kopf geschossen hatte. Die Gruppe Islamischer Staat übernahm die Verantwortung für den Mord und machte Al-Shurqat zum vierten syrischen Journalisten, den die Gruppe seit Oktober 2015 in der Türkei getötet haben soll.