„Ganz Deutschland wäre erschüttert worden“ hieß es vor Tagen in der BILD in Zusammenhang mit dem verheerenden Erdbeben in der Türkei. Inzwischen fahren Mainstream-Medien ihre besonderen Geschütze auf, um die türkische Regierung an den Pranger zu stellen. Eine Bestandsaufnahme:
Ein Gebiet von 110.000 km² wurde innerhalb von 9 Stunden mit zwei unabhängigen starken Erdbeben mit Epizentrum in Kahramanmaraş heimgesucht. Bisher wurde die Region von insgesamt 1.400 Nachbeben erschüttert, darunter Beben mit der Stärke von bis zu 6.
AFAD reagierte schnell und entschieden
Die Katastrophenschutzbehörde der Türkei AFAD stufte am Tag des Erdbebens am 6. Februar bereits um 5:43 Uhr, also knapp zweieinhalb Stunden später, den Katastrophenfall auf 4, was unter anderem bedeutet, dass die türkische Regierung Hilfe aus dem Ausland beanspruchen wird.
Seit diesem Zeitraum informiert die AFAD fortlaufend über soziale Medien sowie über ihre Internetseite die Bevölkerung, wie sie sich zu verhalten hat, wie die Hilfskräfte eingesetzt werden, wo noch Bedarf herrscht und vor allem, wo, wie viel und was auf den Weg gebracht wurde. Die AFAD arbeitet seitdem mit den Provinzgouverneuren und Landräten zusammen, weshalb es kaum verwundert, dass bereits am Nachmittag erste Zahlen über betroffene Gebäude eingingen und bekannt gegeben wurden.
Nur wenige Minuten später, um 4:46 Uhr, meldete der türkische Generalstab, in Koordination mit der AFAD auszurücken. Bereits am frühen Vormittag starteten erste Sanitätsflugzeuge und Transportflugzeuge der türkischen Streitkräfte TSK mit Suchmannschaften und Material in Richtung Erdbebengebiet, während im betroffenen Malatya erste Feldküchen ausgebaut wurden. Dasselbe Bild bei der Gendarmerie, dem nationalen medizinischen Such- und Rettungskräfte UMKE, den Polizei und Berufsfeuerwehren des Landes sowie der Diyanet.
Bislang 17.000 Todesopfer
Nach dem verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet wird die Gesamtzahl der Todesopfer allein in der Türkei mit derzeit 17.000 angeben. Man geht davon aus, dass die Zahl noch rasant ansteigt, da noch zahlreiche Gebäude geräumt werden müssen. Insgesamt wurden bislang 6.444 Gebäude gezählt, die eingestürzt sind.
Und dennoch sträubte sich die Opposition, den im Parlament vorgelegten Entwurf zum Ausnahmezustand für 3 Monate, so abzusegnen. Während die CHP ein kategorisches Nein aussprach, kritisierte deren Oppositionsbündnis-Partner IYI die Dauer des angesetzten Ausnahmezustands. Die Blockadehaltung kommt zu einer Zeit, bei der die Opposition der Regierung vorwirft, nicht alles unternommen zu haben. Dabei ist die Ausrufung des Ausnahmezustands ein Instrument, um bestimmte Befugnisse auf die regionale bzw. nationale Regierung oder einzelne Personen wie Katastrophen-, Militär- und Polizeiführung zu übertragen.
Fakenews überfluten soziale Netzwerke
Bereits kurz nach dem Erdbeben wurden soziale Medien regelrecht mit Fakenews überflutet. Namhafte Fact-Checking Seiten kommen seitdem nicht hinterher, die Flut an eingereichten Nachrichten und Meldungen gesichert zu überprüfen.
Das Hauptaugenmerk der Fakenews richtet sich vor allem auf die Bausubstanz der Gebäude, die eingestürzt oder beschädigt wurden.
Bauverordnung einhalten
Die türkische Bauverordnung ist inhaltlich nicht anders als in europäischen Ländern. Das heißt, Baugenehmigungen sind bei den Bürgermeisterämtern einzureichen. Für den Bau selbst ist wie in Deutschland der Errichter bzw. Architekt verantwortlich, die an die gesetzliche Bauverordnung gebunden sind. Auch Hersteller von Bauprodukten sind an die Bauverordnungen gebunden, das vorschreibt, welche Eigenschaften ein Produkt haben muss.
Insofern ist der Hype um die Verantwortung der Regierung beim Thema „Pfusch am Bau“ deplatziert. Hier sind Bürgermeisterämter, Bauherren (privater wie auch unternehmerischer Natur), Baufirmen, Hersteller sowie Architekten in der Verantwortung.
Das wirft die Frage auf, wer sich verantwortlich fühlen muss, ob innerhalb der Bevölkerung die Korruption, Gleichgültigkeit oder Betrug mit ein Grund für die teils desolate Bausubstanz ist. Es ist offensichtlich, dass das eines der größten, wenn nicht das überwiegende Problem in der Türkei ist. Da die Türkei nicht ausschließlich von der Regierungspartei AKP/MHP bevölkert ist, kann der Vorwurf jedoch nicht erhärtet werden, sie wären direkt dafür verantwortlich. Auch zieht das Argument nicht, die Regierung hätte stärkere Überwachung oder Ausweitung der Bauvorschriften nicht in Angriff genommen. In erster Linie wären Bürgermeisterämter, Architekten, Hersteller und Baufirmen in der Verantwortung gewesen, die bestehenden Normen umzusetzen, zu überwachen, Handlungsmöglichkeiten entsprechend einzusetzen und wenn möglich, Bauten aus dem Verkehr zu ziehen.
Offensichtlich stehen persönliche Interessen im Vordergrund, sicherheitsrelevante Punkte werden so lange verdrängt, wie sie einen wieder einholen.
Erdbebensteuer veruntreut
Der nächste Vorwurf lautet, die Regierung habe Erdbebensteuer in Milliardenhöhe veruntreut. Bereits 2020 legten Medienberichte dar, wieviel an Steuern eingenommen und wie viel für den Ausbau des Katastrophenschutzes und der Erdbeben-Prävention allein zwischen 2003 und 2016 ausgegeben wurden. Das heißt, der Vorwurf ist nicht neu, es wird nur immer wieder aufgewärmt. Demnach beliefen sich die Steuereinnahmen bis 2016 auf über 66 Milliarden Türkische Lira, während die Ausgaben 625 Milliarden Türkische Lira betrug, sprich, beinahe das 10-fache.
Von daher ist die Schnappatmung, die derzeit in der Türkei und aus unerfindlichen Gründen auch in Deutschland zu beobachten ist, kaum nachvollziehbar. Hier ist vor allem ein Umdenken in der Bevölkerung nötig.
Haustürkenalarm
Derzeit kommen in den deutschen Leitmedien vermehrt Personen zu Wort, die keinen Hehl daraus machen, wie sie zur türkischen Regierung stehen. Entsprechend hanebüchen sind die Vorwürfe, die keinem fundierten Sach- und Fachwissen standhalten.
Von der Verlangsamung von Twitter durch die türkische Regierung ist die Rede, während in zeitnahen Berichten über Twitter von weltweiten Störungen die Rede ist. Kaum verwunderlich, dass die Vorwürfe dahingehend ausgeübt werden, die türkische Regierung wolle Regierungskritik zum Verstummen bringen.
Spaltpilze gibt es zuhauf, sie warten nur auf den richtigen Zeitpunkt. Es verwundert die meisten Türken nicht mehr, wenn Personen ihre Stimme erheben und erklären, türkische Such- und Rettungsmannschaften würden „in Städten mit mehrheitlich alevitischer und alevitischer Bevölkerung“ unter den Trümmern liegen lassen. Wie die Sortierung vonstattengeht, bleibt natürlich ihr Geheimnis. Wie man aber auf so eine Idee kommt, lässt sehr tief blicken.