Nach der Erdbebenkatastrophe im Südosten der Türkei hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine einwöchige Staatstrauer ausgerufen. Unterdessen sind die Hilfsangebote für die betroffene Region überwältigend.
Das Erdbeben fand in einer Region statt, die größer ist als der Inselstaat Irland, in dessen Einzugsgebiet rund 10 Millionen Menschen leben. Um 4:15 Uhr wurden die Menschen zum ersten Mal mit einer Erdbebenstärke von 7,7 aus dem Schlaf gerissen. Ein weiteres unabhängiges Beben erschütterte die Region ein zweites Mal mit derselben Intensität von gut 7,5 auf der Richterskala rund 9 Stunden später. Bislang kamen 2.400 Menschen ums Leben. Mehr als 5300 Menschen wurden verletzt.
Wenige Stunden nach dem ersten Beben löste der türkische Katastrophenschutz AFAD die Alarmstufe 4 aus, was unter anderem bedeutet, dass die Türkei auf ausländische Hilfe angewiesen ist. Derweil setzten sich der türkische AFAD, der Rote Halbmond, die Polizei, Feuerwehr, Gendarmerie sowie Armee in Bewegung, um Erste Hilfe zu leisten.
Die Helfer versuchen seit mehr als 14 Stunden rund um die Uhr unter erschwerten Bedingungen im Einzugsgebiet Menschen aus den Trümmern zu befreien, sie vor der Kälte zu schützen, mit Nahrungsmitteln zu versorgen und moralisch beizustehen. Sie werden bei ihren Einsätzen von Kälte, Regen und Schnee sowie über 200 Nachbeben mit bis zu 5,5 auf der Richterskala begleitet.
Das heißt, die Helfer und Einsatzkräfte setzen sich der Gefahr bewusst aus, dabei selbst verschüttet zu werden. Die Not ist dennoch groß, die Hilfeschreie unüberhörbar. Aus über 5.600 Häusern, teils mehrstöckigen Hochhäusern, werden Stimmen wahrgenommen, werden Notrufe abgesetzt, empfangen Angehörige und Verwandte Nachrichten über Social-Media-Nachrichten oder SMS.
Es fehlt vor allem an schwerem Gerät, Maschinen, Generatoren, sprich Mensch und Material, weil das betroffene Gebiet groß ist, die Anzahl der Hilfsbedürftigen schier unendlich ist, Straßen zerstört sind, Gleise und Flughäfen in Mitleidenschaft gezogen wurden. Zudem erschweren Schneeschauer und Eisglätte die Anlieferung von Mensch und Material.
Selbstverständlich erwartet jeder einzelne Verschüttete oder Hilfsbedürftige sofortige Hilfe. Angesichts der vorherrschenden Nachbeben und der harschen Umweltbedingungen ist das auch kaum verwunderlich. Vor allem sind die Menschen moralisch am Boden, haben Angehörige verloren, Hab und Gut ist zerstört, Ungewissheit und Angst breitet sich aus.
Jedes Land ist mit so einer Katastrophe mitten im Winter heillos überfordert und benötigt Unterstützung; die die Türkei auch recht schnell vom Ausland beansprucht hat. Jetzt kommt es darauf an, die Hilfen koordiniert voranzutreiben und Mensch sowie Material schnell an Ort und Stelle zu bekommen. Auch ausländische Hilfe ist unterwegs, aus Israel, aus Saudi-Arabien oder Aserbaidschan. Rund 45 Länder haben ihre Hilfen angeboten und das Land nimmt dies und die Solidaritätsbekundungen dankbar an.
Aber jede Hilfe muss auch gezielt vor Ort eingesetzt werden und dafür braucht man eine funktionierende Infrastruktur. Brücken sind teils eingestürzt, Straßen sind aufgebrochen, Landebahnen zerstört und das Wetter macht es den Helfern auch nicht leicht. Verzögerungen sind unvermeidlich.
Inzwischen haben sich Busunternehmen gemeldet, um Helfer in die Regionen zu transportieren. Die Turkish Airlines THY setzt Maschinen ein, um Maschinen und Fahrzeuge an Ort und Stelle zu bringen, wo es möglich ist. Die türkische Armee setzt Hubschrauber und Transportflugzeuge ein, um Mensch und Material schnellstmöglich an Ort und Stelle zu bekommen. Die ersten 48 Stunden sind wichtig und entscheiden über Leben oder Tod.
In den Zentren der 10 Provinzen wurden mehrere Container-Wohnsiedlungen aufgebaut, Zeltstädte errichtet. In den Straßen verteilen Helfer des Roten Halbmonds Zelte, die anschließend von Soldaten aufgebaut werden. Feldküchen versorgen die Menschen mit warmen Mahlzeiten, während Nahrungsrationen in entlegenen Gebieten verteilt werden. Auch die Solidarität in der Bevölkerung ist groß. Hilfsaktionen wurden in zahlreichen Städten und Gemeinden gestartet. Es werden Decken, Kleidung und Nahrungsmittel gesammelt, um sie mit Lastkraftwagen an Lager zu transportieren, wo sie anschließend sortiert und verteilt werden.
Da hilft nun keine noch so überspitzt dargestellte Situationsbeschreibung oder sarkastische Randbemerkung von sogenannten Experten, die wie Pilze aus dem Boden sprießen und die Regierung verantwortlich machen. Aber sie sind nicht allein. Auch bestimmte TV-Kanäle, Medien, Parteien, Politiker oder Aktivisten nutzen die Gunst der Stunde aus, um ihre politischen Narrative zu verbreiten.
Vor allem wachsen manche über sich hinaus und beginnen die Katastrophe mit Verschwörungstheorien zu bereichern, die weder hilfreich sind, noch etwas dazu beitragen, künftige Erdbeben glimpflich verlaufen zu lassen. So geht das Gerücht umher, die USA hätten in Kanada mit dem Forschungsprojekt HAARP die Erde zum Beben gebracht; Radiowellen, mit der man angeblich gezielt Beben verursachen könne.
Oder, man hat Lichterscheinungen ausgemacht, kurz vor oder während dem Erdbeben... Dabei handelt es sich tatsächlich um ein Phänomen namens „Erdbebenlicht“. Diese Randerscheinung ist noch nicht abschließend wissenschaftlich geklärt, aber weltweit beobachtet worden, weshalb es Ansätze gibt, dieses Phänomen zu erklären.
Ein weiteres beliebtes Stilmittel ist, die marode Bauweise sowie die korrupte Bauindustrie in den Schmutz zu ziehen. Selbstverständlich sind solche Vorwürfe an sich nicht unberechtigt, jedoch greifen sie zu kurz, ziehen über einen ganzen Sektor hinweg und sind nicht sachgemäß. Es liegt schlichtweg an den Menschen selbst, wie sie wohnen wollen oder welche Häuser und Wohnungen sie erwerben. Zuallererst gilt immer, sich selbst zu vergewissern, was man sich erwerben will oder wo man zukünftig sicher wohnen wird. Danach ist es die Aufgabe des Staates, Kontrollmechanismen weiterzuentwickeln, die den Baufortschritt enger überwachen, schwarze Schafe konsequent aus dem Verkehr ziehen. Da hilft kein einschneidiges Schwert, um dem Problem heer zu werden, sondern da sind alle gefragt: Bevölkerung und Politik.
Politisch betrachtet ist es auch ein einschneidendes Vorhaben, wie ganze Städte niederzureißen und neu aufzubauen. Das ist kaum durchsetzbar und wird auch von keiner Regierung konsequent verfolgt werden können. Es gibt Ansätze, ganze Viertel neu zu entwickeln und erdbebensicher zu bauen, so unter anderem in Istanbul oder Diyarbakir, aber auch da trifft die Politik und Verwaltung stets auf heftigen Widerstand der Bevölkerung. Nur mit eiserner Durchsetzungskraft und Verlust an Image sind solche Vorhaben durchsetzbar. Welche Partei oder Regierung will das also konsequent durchsetzen und welcher Häuslebauer, Eigentümer, Mieter befürwortet das auch in eigenem Fall?
Der Druck auf die Regierung wird jedenfalls künstlich aufgebauscht. Ja, es sind Menschen gestorben, sehr viele sogar. Angesichts des Ausmaßes war das jüngste Erdbeben aber im Vergleich zu den vorherigen Katastrophen mit annähernd gleichen Ausmaßen jedoch noch recht glimpflich. Das erkennt man an der Burg von Gaziantep, einer Festung aus dem 2. und 3. Jahrhundert n. Chr., die im 12. und 13. Jahrhundert ausgebaut wurde und über 16 Jahrhunderte lang allen Beben trotzte; zuletzt dem großen Beben im 15. Jahrhundert. Diese Burg ist nun beinahe zerstört.
Wenn in sozialen Medien Bilder geteilt werden, in denen aufgerissene Straßendecken gezeigt werden und die Regierung dafür verantwortlich gemacht wird, haben diese Menschen noch nicht erlebt, was Erdbeben an Zerstörungskraft entwickeln können. Wenn rund ein Dutzend Atombomben zeitgleich und 5 Kilometer unter der Erdkruste explodieren, bleibt nicht mehr viel von Asphalt, geschweige denn Gebäuden übrig; schon gar nicht, wenn das Beben über einer Minute anhält und ein zweites 9 Stunden später mit derselben Intensität folgt.
Offensichtlich klammern manche Zeitgenossen das und vieles mehr konsequent aus, um ihrem politisch-ideologischen Kampf eine besondere Note zu geben. Dabei wäre jedem geholfen, wenn sie konstruktive Kritik vortragen würden, statt ideologisch-verbrämt scharf zu schießen. Das hilft niemanden weiter, vor allem den Helfern nicht, die hier unter Einsatz des eigenen Lebens Menschenleben retten wollen.