Ein Akt des Vandalismus an der Hagia Sophia in Istanbul oder die Klagen über die Schmach von 1453? In der Süddeutschen verteidigt jedenfalls Tomas Avenarius das Abendland vom Fußschweiß der Türken.
Es ist kein Geheimnis, dass kulturelle Bauwerke so ziemlich in jedem Land einem Akt des Vandalismus zum Opfer fallen. In einem Land mehr, in einem anderen weniger. Aber dass der Fußschweiß von Menschen, die Substanz der Hagia Sophia in Istanbul angreift, diese subtile Schuldzuweisung ist neu.
Seit die Hagia Sophia vor etwas mehr als zwei Jahren wieder für das Gebet geöffnet wurde, streiften 6,5 Millionen Besucher ihre Schuhe ab vor den Toren.
Quelle: Süddeutsche Zeitung, „Fußschweiß von Millionen“ vom 15. September 2022
Schließlich besuchten auch zuvor, bevor die Hagia Sofia in eine Moschee umgewandelt wurde, im Schnitt 2 bis 2,5 Millionen Besucher das Raumwunder und bestaunten die prächtige große Zentralkuppel mit und ohne Schuhe.
Vor allem im vergangenen und diesem Jahr sprengten die Besucherzahlen die magische 3-Millionen-Grenze. Im Ergebnis waren also die zahlreichen Schweißfüße samt Fuß- und Zehenpilzen in der Moschee, Pardon ehemalige Kirche.
Und diese Plagegeister sind bekanntlich nicht so wählerisch, ob es sich dabei um europäische, arabische oder asiatische Füße handelt. Vielleicht sollten Ausländer sich selbst angewöhnen, ihre Füße ausreichend zu lüften oder noch besser, luftdurchlässige Schuhe ohne weiße Socken zu verwenden?
Das geht mal gar nicht, bereits bei ästhetischer Hinsicht, mit weißen Socken und Turnschuhen an der Promenade zu schlendern oder gar vor der Hagia Sofia erst stundenlang am Eingang zu stehen und dann mit durchnässten Socken heiligen Boden zu betreten. Das macht man einfach nicht.
Worum geht es dann eigentlich, wenn man mit einer Erhabenheit im Vorspann auf die Stinke- und Schweißfüße sowie im Mittelteil des Artikels auf die Gebetsmütze oder Takke sowie das weiße lange Bart eines Türken aufmerksam macht? Wirklich nur um die Substanz der Hagia Sophia oder doch um weitaus tiefgründigeres?
Sicherlich gibt es in der Türkei Vandalen und Kulturbanausen, die nicht nur gegenwärtig in der Hagia Sophia wüten, sondern in jeder Ecke des Landes zu finden sind.
Man könnte sicherlich auch messen und berechnen, wieviel Harnstoff das Fundament der Hagia Sophia in den Jahrhunderten bisher aufgenommen und in sich konzentriert gebunden hat. Das müsste eine ordentliche Menge sein, die da Männer, Frauen oder Katzen bislang hinterlassen haben.
Bemerkenswert finde ich aber, dass Avenarius sich einen ordentlichen, arbeitssamen und ausgereiften Türken sowie einen alten Rentner mit Takke und Bart herauspickt, um die Differenzen vorzustellen; in einem Tonfall, den man überaus als jahrhundertealte Angst vor dem Islam und Überfremdung ansehen kann. Das geht nämlich auch anders.
Der türkische Historiker İlber Ortaylı war entgegen Avenarius in der Lage, das Grundproblem ohne Bezug zu Türken oder Europäern sachlich darzulegen, was auch Anerkennung findet. Er sprach von einer Katastrophe, 3 Millionen Menschen im Jahr den Zutritt zu erlauben. Es müsse dahingehend Beschränkungen geben, wie man sie weltweit bei ähnlichen Objekten mit Terminbuchungen handhabe, so Ortaylı.
Ist es etwa doch nur die Trauer des Hellenismus, des Abendlandes, dass da von Tomas Avenarius zu vernehmen ist? Schließlich denken die Hellenen, 1453 habe das Entsetzliche mit den Osmanen begonnen und halte bis heute an; und nicht etwa seit der Nutzung als Moschee seit Juni 2020.