Dortmund und der strukturelle Rassismus

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Vier Tote durch Gewalt innerhalb einer Woche. Das ist die Bilanz der Polizeiarbeit. In Frankfurt, Recklinghausen, Köln und zuletzt in Dortmund tötet die Polizei innerhalb weniger Tage vier Menschen. Das letzte Opfer, ein 16-jähriger Senegalese, wird mit fünf Schüssen niedergestreckt.

Wie Medien übereinstimmend berichten, waren elf Polizisten und Polizistinnen in der Jugendhilfeeinrichtung anwesend, in der angeblich der 16-jährige psychisch auffällige Junge ein Messer bei sich getragen haben soll. Nach bisherigen Berichten hätte der Junge die Polizisten und Polizistinnen angegriffen, die wiederum mit Reizgas und Elektroschocker reagiert hätten. Schließlich seien mindestens fünf Schüssen in Bauch, Schulter, Unterarm und Gesicht nötig gewesen, um den Jungen zu stoppen.

Nun wurde der Fall zwecks Neutralitätsgebot einer auswärtigen Polizeibehörde übergeben, während die Dortmunder Polizei im selben Moment einen anderen Fall eben dieser Polizeibehörde überprüfen soll. Das alleine ist schon an sich fragwürdig.

Noch fragwürdiger ist die Reaktion des Beamten, der die tödlichen Schüsse abgab und die der umherstehenden zehn weiteren Kollegen und Kolleginnen. Offensichtlich war man trotz alledem nicht fähig, einen 16-jährigen Jungen unter Kontrolle zu bringen und dabei Leib und Leben zu schützen.

Gab es keine Möglichkeit, die Räumlichkeiten zu evakuieren, den Jugendlichen zu isolieren, auf Experten zu warten, die dafür ausgebildet sind? Etwa Psychiater, kompetenten Experten, die deeskalierend eingreifen können?

Das ist natürlich im Nachhinein leicht gesagt, sollte aber in Zukunft vielleicht doch berücksichtigt werden; schon alleine des sozialen Anspruchs willen. Berücksichtigt werden muss, trotz der noch offenen Fragen, ob denn hier struktureller Rassismus in der Polizei vorliegt.

Das Problem ist, dass man niemals Rassismus beim einzelnen Polizisten oder Polizistin wie in diesem Fall feststellen kann. Der Rassismusvorwurf ist aber hier dennoch klar und strukturell begründet.

Die gesellschaftlich konstruierte Dominanz von „Kultur“ und „Werten“; die angeblichen Erfahrungswerte der Polizei; die vorherrschenden Stereotype gegenüber Minderheiten, Schwarze, Roma oder Sinti u.a.; die übermäßige Angst vor einem schwarzen Jugendlichen; die daraus begründeten Handlungsweisen - das alles muss im Lichte des Rassismus betrachtet werden.

Rassismus ist also weit mehr als das Problem einzelner Menschen. Es kann auch nicht damit relativiert oder in Abrede gestellt werden, 11 ausgewachsene, stramm im Leben stehende Polizistinnen und Polizisten, hätten in der Masse keinen Fehler begehen könne, gerade weil sie ja alle darauf trainiert sind, sich auf den anderen zu verlassen und aufzupassen.

Darauf verlassen heißt, den einzelnen Menschen so zu kennen, wie er sich gibt. Nur, wie gibt jeder Einzelne sich gegenüber dem anderen? Das steht doch im Raum! Zum anderen: Aufpassen heißt, dass der andere erst keinen Fehler macht, also vorausschauend handelt. Initiative ergreifen, deeskalierend wirken, die Situation entschärfen; das sind die Maßstäbe, womit ja auch Zivilcourage gemeint ist.

Leider herrscht in Deutschland eine konstruierte Dominanzkultur, die rassistische Strukturen und Prozesse in der Gesellschaft begünstigt, statt sie abzubauen. Und diese Dominanz wird in Debatten in der Politik wie auch in der Gesellschaft befeuert, weshalb Courage geradezu untergeht.