Berlin muss noch Tel Aviv fragen

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Die Europäische Union beansprucht zwar eine Führungsrolle für das Nachkriegs-Gaza im Konflikt zwischen Israel und der Hamas, doch Berlin lehnt jedweden Waffenstillstand, ja sogar eine Waffenruhe, kategorisch ab. Damit gibt sie den Standpunkt der israelischen Regierung unter Benjamin Netanjahu wieder.

Wenn es nach dem Willen von EU-Außenbeauftragten Josep Borrell geht, müssen "sofortige Feuerpausen" für humanitäre Hilfen den Boden für ein langsames Abklingen der Feindseligkeiten eingeleitet werden. Doch dabei prallen in der EU Welten zusammen. Einerseits betonen u.a. Berlin oder Wien, man müsse nicht nur Israel, sondern vor allem die Hamas auffordern, sich an das Völkerrecht zu halten. Auf der anderen Seite zeigten Deutschland und Österreich mit ihren Verbotsverfügungen, was sie von der Hamas halten.

Im Grunde stehen Ansprüche und Realität in Berlin oder Wien konträr gegenüber. Einerseits fordert man die EU zur Einigkeit auf, dass nicht nur Israel im Konflikt mit der Hamas zum Respekt des Völkerrechts aufgefordert wird. Andererseits verhängte u.a. Bundesinnenministerin Nancy Faeser Anfang November ein Betätigungsverbot für die Hamas. In Politik und Medien hat sich die Hamas in Deutschland und Österreich zur Terrororganisation gemausert, während in der EU und der Welt diese Ansicht nicht gänzlich geteilt wird. 

Doppelmoral der EU

Diesen Eindruck muss auch Josep Borrell gewonnen haben, weshalb er sich veranlasst sah, zu erklären, weshalb der Vorwurf der "Doppelmoral falsch" sei. Tatsächlich werde man von vielen Ländern im sogenannten globalen Süden als Menschen wahrgenommen, die hinsichtlich des Völkerrechts in der Ukraine und im Gazastreifen mit zweierlei Maß messen, so Borrell. Man müsse durch Taten und Worte beweisen, dass diese Anschuldigung falsch sei. Aber das scheint noch nicht bei allen durchgedrungen zu sein.

Deshalb gerät die Bundesregierung international gemeinsam mit einer Gruppe weitestgehend westlicher Staaten in zunehmendem Maße in die Isolation. Bemerkbar macht sich das vor allem am Umgangston. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sprach von einer Widerstandsgruppe in Palästina und betonte das vergangene Woche auch beim Gipfeltreffen arabischer und muslimischer Länder in Riyad, während er Europa vorwarf, den Massenmord an Zivilisten im Gazastreifen zu unterstützen. Sogar in der EU opponieren diverse Länder, darunter Frankreich, Spanien und Belgien, offen gegen den deutschen Kurs. Südafrika und Brasilien, die im globalen Machtkampf gegen Russland und China von der Bundesregierung hartnäckig umworben werden, haben sich scharf gegen die israelische Kriegführung positioniert.

Borrells Plan für den Gazastreifen

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat derweil einen Plan für die Zukunft des Gazastreifens nach dem Krieg zwischen Israel und der Hamas vorgestellt. Darin forderte Borrell vor allem die arabischen Länder auf, eine größere Rolle in einer künftigen palästinensischen Verwaltung zu spielen. Die internationale Gemeinschaft habe „politisch und moralisch“ dabei versagt, eine dauerhafte Lösung für den lang andauernden Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern zu erreichen, sagte Borrell gestern Abend in Brüssel zu Journalisten, ohne dabei die etlichen UN-Resolutionsvotierungen zu berücksichtigen, die der EU insgesamt einen schlechten Ruf einbringen. Vor allem das "Nein" der Bundesaußenministerin Annalena Baerbock bei der UN-Abstimmung zu einer kurzzeitigen Waffenruhe, stieß bei vielen sauer auf.

Aber offensichtlich ist all das nicht mehr von Bedeutung. Es sei nun an der Zeit, die Bemühungen um eine Zweistaatenlösung zu verstärken, so Borrell. Den Plänen von Borrell zufolge, dürfe es keine Zwangsvertreibung von Palästinensern aus dem Gazastreifen, keine dauerhafte Wiederbesetzung durch das israelische Militär und keine Veränderung der Größe des Gazastreifens sowie keine Rückkehr der Hamas geben.

Es müsse eine „palästinensische Behörde“ geben, die vom UN-Sicherheitsrat definiert und beschlossen werden müsse. Die arabischen Länder müssten die palästinensischen Behörden dann stärker unterstützen, und die EU solle sich ebenfalls stärker in der Region engagieren, insbesondere beim Aufbau eines palästinensischen Staates.

Netanjahu blockiert und hat selbst keinen Plan

Unterdessen äußerte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Sonntag weitere Zweifel an der Zukunft des Gazastreifens und erklärte, dass die Palästinensische Autonomiebehörde in ihrer derzeitigen Form nicht die Verantwortung für die Küstenenklave übernehmen könnten.

Unklar bleibt aufgrund dieser Äußerungen Netanjahus weiterhin, wie die Europäische Union im Hinblick auf ihre innere Zerstrittenheit weiter vorgehen will. So konnten sich die EU-Außenminister am Montag lediglich darauf einigen, „Pausen“ in den israelischen Angriffen auf Gaza zu verlangen; die Forderung nach einem Waffenstillstand sowie die Feststellung, die immense Zahl ziviler Opfer im Gazastreifen sei nicht mehr vom Recht auf Selbstverteidigung gedeckt, scheiterten insbesondere am Widerstand Berlins und Roms. 

Differenzen zwischen den EU-Staaten wachsen

Große Differenzen bestehen weiterhin zwischen Berlin und Paris. Präsident Emmanuel Macron hatte in einem Interview mit der BBC mit Blick auf die überaus hohe Anzahl ziviler Todesopfer im Gazastreifen geäußert: „Es gibt keine Rechtfertigung dafür, Zivilisten anzugreifen. Wir fordern Israel dazu auf, damit aufzuhören.“ Kanzler Olaf Scholz kanzelte Macron dafür ab und unterstellte ihm, die Forderung nach einem Waffenstillstand heiße, „dass Israel die Hamas sich erholen lassen soll und wieder neue Raketen anschaffen lassen soll“: „Das wird man nicht akzeptieren können.“