Israel begeht seit 22 Tagen eklatante Kriegsverbrechen im Gazastreifen. Die westliche Welt, von Politikern bis hin zu den Medien, habe sich für die Legitimierung eines monströsen Massakers mobilisiert, sagte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan am Samstag auf einer Massenkundgebung in Istanbul in Zusammenhang mit dem Gaza-Konflikt.
Das griechisch-orthodoxe Patriarchat in Jerusalem wirft Israel "Kriegsverbrechen" vor. Menschenrechtsorganisationen sprechen inzwischen von ethnischen Säuberung bis hin zum Genozid. Eine überwältigende Mehrheit der UN-Generalversammlung forderte jüngst einen „sofortigen und dauerhaften humanitären Waffenstillstand zwischen israelischen Streitkräften und Hamas-Kämpfern in Gaza.“ Unterdessen Netanjahu so:
Ich sage Ihnen, liebe Bürgerinnen und Bürger Israels, meinen Kolleginnen und Kollegen hier, und Ihnen allen die Worte des Propheten Jesaja: Ein jeder half seinem Nächsten, und ein jeder sagte zu seinem Bruder: 'Sei getrost'.
Das Volk Israel lebt - und gemeinsam werden wir siegen.
Recht hat also Erdoğan, was die Kriegsverbrechen Israels angeht, die vom israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und seinem Kabinett zu verantworten sind und von den USA wie auch vereinzelten Ländern der EU mitgetragen werden. Ich gehe sogar soweit und fordere die deutsche Generalstaatsanwaltschaft auf, nach dem Weltrechtsprinzip Netanjahu und sein Kabinett wegen Kriegsverbrechen anzuklagen. Das wurde ja in Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in Syrien praktiziert, das wird auch in Zusammenhang mit Gaza gehen. Anwälte hätten wir ja genug.
Mehr als 250 britische und niederländische Anwälte und Rechtswissenschaftler forderten jeweils ihre Regierung auf, in Gaza auf einen Waffenstillstand zu drängen. Die britische wie niederländische Regierung müsse „dringende Maßnahmen“ ergreifen, um sicherzustellen, dass sie ihren Verpflichtungen aus den Genfer Konventionen nachkommt, Verstöße gegen das internationale humanitäre Recht nicht zu fördern oder zu unterstützen.“
Weltweit fanden heute erneut Demonstrationen für einen Waffenstillstand und ein Ende der Gewalt statt. Nicht die größte wie z.B. in London oder Istanbul, aber die wohl mutigste überhaupt fand in Tel Aviv, bei der die Menschen einen Waffenstillstand, ein Ende der Blockade und die Freilassung der Geiseln forderten. Darüber verlieren deutsche ÖRR nur selten ein Wort. Jene Stimmen werden umgedeutet, um die peinliche deutsche Nullsummenvision von Israel-„Solidarität“ aufrechtzuerhalten,
Ich fordere daher auch alle auf, aus der Komfortzone heraus deutlich Stellung zu beziehen. Es bringt den gegenwärtig geschundenen palästinensischen Zivilisten in Gaza nicht viel, wenn man wie die Imamin der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin, Seyran Ates, die Tore der Moschee schließt und vorgibt einer Bedrohungslage ausgesetzt zu sein und stramm an der Seite Israels stehe. Denn, das ist geradezu zynisch und steht in keinem Verhältnis zu dem, was in Gaza seit 22 Tagen passiert. Die Palästinenser können keine Türen oder Tore verschließen, um sich vor Übergriffen zu schützen oder haben nicht die Möglichkeit, sich von Dritten schützen zu lassen, geschweige denn einen Iron Dome, der sie vor Raketen oder Bomben schützt. Sie sind potentiell gefährdet und berufen sich nicht bloß auf ein Magengefühl, es ist Realität. Die andere Realität heißt aber auch Hamas.
Hamas - Terrororganisation
Unrecht hat Erdoğan, wenn er trotzig die Hamas als "Widerstandsbewegung" bezeichnet, weil man seine Bemühungen um einen Waffenstillstand kategorisch in den Wind geschlagen hat. Wer Terror verbreitet, die Tötung von Zivilisten nicht nur in Kauf nimmt, sondern gezielt gegen Zivilisten vorgeht, den nennt man Terrorist und Hamas ist eine Terrororganisation. Da gibt es nichts zu beschönigen.
Die Hamas ist terroristisch und das nicht erst seit dem 7. Oktober. Auch die vielen Selbstmordattentate in israelischen Städten in den Neunzigern waren Terrorismus. Und meines Erachtens auch der wahllose Beschuss israelischer Städte durch Raketen, die schon aufgrund ihrer Bauart nicht zielgenau zwischen militärischen oder zivilen Zielen unterscheiden können. Die Hamas-Ideologen haben auch nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie Zivilisten angreifen, sondern das Ganze mit einem theologisch-intellektuellen Taschenspielertrick gerechtfertigt.
Man hat kurzerhand den Umstand, dass die israelische Gesetzeslage jeden Bürger unbesehen des Geschlechts zu einem dreijährigen Militärdienst verpflichtet, jeden israelischen Staatsbürger zu einem militärischen Ziel erklärt. Mit einer solch verqueren Logik kann man praktisch jedes Kind als künftigen potenziellen Soldaten betrachten.
Israelische Regierung und Gaza als Petrischale
Eine ganz anderer Antrieb der Terrorismus begünstigt ist natürlich die, dass auf der anderen Seite eine israelische Staatsräson existiert, die in den letzten zwei Jahrzehnten gar kein Interesse daran hatte, der Hamas einen Weg zurück aus dem Terrorismus zu ermöglichen. Israel kennt es aus seiner eigenen Geschichte, dass Terroristen - die Gründerväter Israels waren steckbrieflich gesuchte Terroristen - einen Wandel zu Staatsmännern durchlaufen können. Und die Möglichkeit hätte durchaus auch in Palästina bestanden. Nur hatte man daran kein Interesse.
Ex-US-Präsident Jimmy Carter erklärte 2013 in einem TV-Interview, er habe sich mehrmals mit der Hamas-Führung getroffen und sie sei bereit gewesen, die Existenz Israels zu akzeptieren. Aber Netanyahu habe die die „Ein-Staaten-Lösung“ verfolgt, was die Verhandlungen hierzu unmöglich gemacht habe und „eine Katastrophe“ für Israel“ bedeuten würde.
Gaza als Petrischale zur Heranzüchtung eines permanenten kontrollierten Bedrohungsszenarios kam den israelischen Regierungen der letzten zwei Jahrzehnte also sehr gelegen, wenn nicht gar gewollt, um unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung eine expansionistische Siedlungspolitik so weit voranzutreiben, dass eine Zwei-Staaten-Lösung faktisch verunmöglicht wird. Israelischer Staat und terroristische Hamas standen also bislang in einem symbiotischen Verhältnis.
Datenleak - Umsiedlung und endgültige Ansiedlung der gesamten Gaza-Bevölkerung
Das geht auch aus einem Bericht hervor, die die israelische Denkfabrik Misgav-Institut mit Verbindungen zum israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu am 17. Oktober veröffentlichte, in dem sie die „einzigartige und seltene Gelegenheit“ für die „Umsiedlung und endgültige Ansiedlung der gesamten Gaza-Bevölkerung“ in Ägypten befürwortete. Das durchgesickerte Dokument wurde für eine Organisation namens „The Unit for Settlement – Gaza Strip“ erstellt und war eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.
Es geht also um die Ausweitung von israelischen Siedlungsgebieten auf fremdem Territorium, die man laut dem Bericht für wenige Milliarden US-Dollar umsetzen könne und kaum der Rede wert sei. Der Plan, Ägypten als willigen Aufnahmeland für 2,3 Millionen Palästinenser aus dem Gazastreifen zu gewinnen und im Gegenzug die marode ägyptische Wirtschaft zu stützen, den Sessel des ägyptischen Diktators al-Sisi zu sichern, fiel jedoch trotz des immensen Drucks und Besuchsaufkommens aus den USA und Europa ins Wasser.
Nun scheint der israelische Ministerpräsident die Palästinenser aus Gaza herausbomben zu wollen, ungeachtet dessen, was so alles im Bombenhagel getroffen wird, während al-Sisi sich mit aller Macht dagegenstemmt, weil 110 Millionen Ägypter genau das von ihm erwarten. Dabei zündelt Netanjahu nicht nur, er will offensichtlich alle bedrohen, die nicht Spuren, inklusive al-Sisi.
Wenn aber Gazastreifen als solches eine Bedrohung für Israel darstellt, was ist mit dem Westjordanland, in der die palästinensischen Fatah-Bewegung die Kontrolle ausübt und bereits jetzt unter der israelischen Siedlungs- und Apartheidspolitik leidet? Welche Gebiete in Palästina, in Syrien bzw. Jordanien wären als nächstes im Visier israelischer Denkfabriken, die Netanjahu eine weitere Prophezeiung aus der Thora in die Wiege legen?