Die türkische Opposition tut sich weiterhin schwer damit, grundlegende Probleme der Türkei anzugehen, geschweige denn Lösungen anzubieten oder im Parlament auszudiskutieren.
Stattdessen versteift man sich in Schuldzuweisungen gegen die Koalitionsregierung, hält sich in Bezug zur Kandidatur des Staatspräsidenten überaus bedeckt. Hier geht es offensichtlich nur darum, die Macht zu erringen, nicht um die grundlegendsten Fragen, die das Land und das Volk beschäftigen.
Willkommen bei der Fragestunde von Erdoğan und Kılıçdaroğlu
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hat mit einem einfachen, aber brillanten Schachzug die Opposition in Bedrängnis gebracht. Er stellte dem Vorsitzenden der Republikanischen Volkspartei CHP Kemal Kılıçdaroğlu vor Tagen zehn simple Fragen.
Um es kurzzufassen: Erdoğan fragte, ob Kılıçdaroğlu die Terrororganisationen PKK, YPG, DHKP-C, TIKKO oder die IS vollumfänglich verfluche, ob er die Auslandseinsätze gegen die PKK und YPG unterstütze; ob er die außenpolitische Linie in Bezug zur NATO-Beitrittswünschen Schwedens und Finnlands teile; ob er mit der Politik Ankaras im Mittelmeer und in der Ägäis konform gehe oder dagegen sei; ob er angesichts der Pandemie-Krise und Ukraine-Krieg, die weltweit negativen Einfluss auf die Wirtschaft übe, zumindest im Kern Ankaras Bemühen unterstütze; ob er statt mit gerichtlich attestierten Lügen, sich politisch um die wichtigsten Belange des türkischen Volkes einsetzt oder nicht; ob er sich von ausländischen Vertretungen abwende und in der eigenen Partei oder unter dem Volk Ansprechpartner finde; ob er sich mit den kulturellen, gesellschaftlichen und geschichtlichen Errungenschaften und Werten identifiziere und akzeptiere; ob er fähig sei, sich Parteimitgliedern zu entledigen, die mit Betrugs-, Vergewaltigungs- oder Vetternwirtschaftsvorwürfen konfrontiert wären; ob er 2023 als Kandidat gegen ihn antrete oder nicht.
Erdoğan stellte dem Oppositionsführer Kılıçdaroğlu diese einfachen und konkreten Fragen und wurde nicht enttäuscht. Enttäuscht wurde aber das Volk. Das wurde aber nicht erst mit diesen zehn Fragen deutlich, sondern mit den zehn Gegenfragen von Kılıçdaroğlu, die einen Tag danach über das soziale Netzwerk Twitter geteilt wurde. Kılıçdaroğlu übte sich wie üblich mit Schuldzuweisungen und Vorwürfen, die mit den zehn Fragen von Erdoğan nur in Bezug zum Friedensprozess mit der PKK, mit den grundlegenden Fragen der Türkei aber nichts zu tun hatten.
Das ist niederschmetternd! Der türkische Staatspräsident, der – ob richtig oder falsch sei mal dahingestellt – die Wirtschaftslage des Landes stabilisieren will, den Lira-Verfall stoppen und die Inflation bekämpfen will, kann nicht auf die Opposition zählen. Der türkische Staatspräsident kann nicht sicher sein, dass die innere und äußere Sicherheit des Landes von der Opposition vollumfänglich geteilt wird. Der türkische Staatspräsident kann in keinem Punkt mit der Opposition eine politische Lösung eruieren. Hat man so etwas schon erlebt? Klar, seit mehr als 20 Jahren verfolgt das Volk dieses Schmierentheater und es wird von Jahr zu Jahr schlimmer.
So eine Opposition, ein 6’er Tisch mit der CHP, IYI, DEVA, DP, Saadet- und Gelecek-Partei, hat sich die Türkei wirklich nicht verdient. Wenn ein Oppositionsbündnis es nicht zustande bringt, konkrete Probleme der Türkei anzugehen, Antworten auf grundlegende Fragen zu liefern, sich politisch einzubringen, die das Volk und das Land beschäftigen, wie zum Teufel will diese Opposition einen Kandidaten aufstellen und was noch wichtiger ist, wie will sie die Türkei weiterbringen?
Erdoğan führte die zehn Probleme an, signalisierte Bereitschaft zu politischen Debatten, forderte die Opposition auf, sich einzubringen und das Land vorwärtszubringen. Das Volk muss angesichts des Lira-Verfalls und der hohen Inflation die Gürtel enger schnallen. In der Ägäis verschärft sich der Ton mit Griechenland. Im Mittelmeer ist die Lage nicht besser. Im Grenzgebiet wird die innere Sicherheit belastet, im Äußeren die Interessen der Türkei konterkariert.
Aber der Vorsitzende der größten und ältesten Partei der Türkei, der CHP, hat nichts anderes zu bieten, als mit Schuldzuweisungen und Vorwürfen um sich zu werfen. Darin ist der Oppositionsführer geübt, deshalb zahlt er ständig einen nach dem anderen einen Obolus an seinen größten und einzigen Kontrahenten, dem er sich nicht stellen will, dem er in den dringlichsten Themen nicht beistehen, ja in seine Entscheidungen beisteuern will.
Der Posten der CHP ist so tragisch besetzt, dass sich nicht einmal mehr im Oppositionsbündnis ein Kandidat finden lässt, der diese dringenden Fragen beantworten kann. Alle bislang zur Diskussion stehenden Kandidaten innerhalb des Bündnisses wollen mit diesen offenen Fragen genauso wenig konfrontiert werden, wie sie sich jetzt offen als Kandidaten darbieten wollen. Sie alle warten ab, sitzen die Probleme bis zum nächsten Jahr aus, um die Regierung dann wie gehabt mit Schuldzuweisungen und Vorwürfen kurz vor der Wahl anzugreifen.
Ist es das, was das Volk von einer Opposition oder einem Bündnis gegen die Regierung erwartet? Wohl kaum! Es gibt wohl weltweit sehr wenige Parlamente, in denen Oppositionsparteien es darauf abgesehen haben, mit allen Mitteln die Regierung zu Fall zu bringen. Und dabei nimmt man in Kauf, dass das Volk und Land unter die Räder gerät. Wenn das Land an die Wand gefahren werden wird, dann ganz sicher nur wegen und mit der Opposition