Kenan Güngör - Wo Türken sind, ist die Türkei

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„Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht!“ Das hatte die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel vor einigen Jahren gesagt und dennoch, ausgespäht wird weiter. In der Causa Kenan Güngor soll nach dem Willen der NEOS die österreichische Regierung zu der angeblichen Bespitzelung und dem angeblich „geheimen“ türkischen Haftbefehl Rede und Antwort stehen.

Kenan Güngör ist deutscher und türkischer Staatsbürger mit kurdischem Hintergrund, der in Wien lebt. Offenbar existiert laut Güngör ein „geheimer“ Haftbefehl gegen ihn. Die türkische Justiz wirft dem 52-jährigen Aktivisten laut Güngör selbst, Präsidentenbeleidigung und Terrorunterstützung vor.

Güngör versucht diesen Vorwurf in die deutsche wie auch österreichische Politik zu tragen. Die NEOS, eine Partei in Österreich, hat nun mit zwei parlamentarischen Anfragen den sogenannten geheimen türkischen Haftbefehl in die Regierungsebene getragen.

Dabei will man vor allem erfahren, ob der österreichische Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) die sogenannte türkische „Spitzel-App“, mit der türkische Staatsbürger in der Türkei wie auch im Ausland angeblich „unbescholtene“ Personen melden könnten, in Österreich verbieten kann. Ferner wollen die NEOS in Erfahrung bringen, wie man Güngör vor dem Zugriff aus dem Ausland schützen und was die österreichische Regierung hinsichtlich der „Spitzelszene“ tue.

MIT, BND und HNaA

Offensichtlich haben die NEOS wie auch Güngör in Bezug zu der Arbeit der eigenen Justiz- und Nachrichtendienste eine naive Vorstellung darüber, wie die türkische Justiz oder die Nachrichtendienste im In- wie Ausland arbeiten; vor allem der deutsche oder österreichische Auslandsnachrichtendienst BND bzw. HNaA, wäre doch exemplarisch als Vergleich heranziehbar.

Das Heeres-Nachrichtenamt (HNaA) ist der Auslandsgeheimdienst Österreichs, während der Bundesnachrichtendienst BND das Auslandsgeheimdienst Deutschlands ist. Beide Auslandsnachrichtendienste waren bis vor wenigen Jahren aktiv dabei, Ausländer im Ausland über Telekommunikationswege zu überwachen. Das geht zumindest aus Presseberichten hervor. Natürlich haben diese Dienste nun nicht damit aufgehört, weiter zu schnüffeln; sie tun es nur nicht mehr so tollpatschig wie vorher.

Ausländischer Journalist im Ausland bespitzelt

Erst 2020 musste sich das Bundesverfassungsgericht mit einem Fall eines ausländischen Journalisten beschäftigen, dessen Telekommunikationswege im Ausland vom BND überwacht wurden. Das sei nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ein Verstoß gegen die Grundrechte im Grundgesetz. Sicherlich wurde damit dem BND eine grundlose, strategische Überwachung abgesprochen. Dass die Überwachungen gegenwärtig anderweitig begründet werden kann, steht außer Frage. War das in der Bundespolitik eigentlich ein Thema? Natürlich nicht! Man sägt ja schließlich nicht den Ast ab, auf dem man sitzt.

Nicht anders verhält es sich beim österreichischen Auslandsnachrichtendienst. Wie schon der Name besagt, ist dieser Nachrichtendienst im Ausland tätig. Sprich, sie observiert, hört ab, sammelt Informationen und wertet diese entsprechend aus. Wie beim BND sind ein Drittel der HNaA-Mitarbeiter Soldaten. Inzwischen verstärken beide deutschsprachige Auslandsnachrichtendienste ihre Arbeit in Bezug zur politischen Informationsbeschaffung. Und das wird über diplomatische Vertretungen in die Wege geleitet und deren Arbeit spielt sich immer noch im Verborgenen ab.

Das „zweitälteste Gewerbe der Welt“

Das „zweitälteste Gewerbe der Welt“ beschäftigt sich also mit der Informationsbeschaffung, die durch Spionagearbeit, also Schnüffeln, erarbeitet wird. Das heißt, Spione und Spitzel der türkischen MIT, des deutschen BND wie auch der österreichischen HNaA verschaffen sich im Ausland Informationen, die ebenfalls gegen Gesetze des jeweiligen Landes verstoßen oder die Rechte des ausgespähten Einzelnen im Ausland verletzen. Es geht im Grunde um Wissensansammlung, die in der Folge ausgewertet und schließlich strafrelevant verfolgt werden kann. Über vieles sehen die jeweiligen Länder geflissentlich hinweg, ist man doch vom gegenseitigen Wohlwollen abhängig.

Beispiel: der deutsche Oliver Janich

In den Philippinen wurde der 53-jährige Oliver Janich verhaftet, der einer der einflussreichsten Figuren der verschwörungsidologischen Szene in Deutschland ist. Gegen ihn liegt offenbar immer noch kein Haftbefehl vor, weil er unter anderem zur Ermordung von Mitgliedern der Bundesregierung aufgerufen hat.

Es ist nicht die einzige Festnahme, bei der die Nachrichtendienste aktiv mitgewirkt haben. Zuletzt wurde Michael Ballweg verhaftet, der Initiator der „Querdenken“-Proteste gegen die Corona-Politik. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den 47-jährigen wegen des Verdachts auf Betrug und Geldwäsche. Der ehemalige Fernsehkoch Attila Hildmann und der „Querdenken“-Arzt Bodo Schiffmann haben sich noch rechtzeitig ins Ausland absetzen können. Aber sicher sind sie auch im Ausland nicht; dank der Nachrichtendienste und Ermittlungsbehörden.

Propaganda ist Propaganda, ist Propaganda

Wie man sieht, geht es nicht darum, ob ein „geheimer“ oder offener Haftbefehl vorliegt, was ja bei Oliver Janich auch nicht der Fall war. Es geht um die Wirkung, die Janich in Deutschland bzw. in Europa über die sozialen Medien entfaltet hat, um die Bevölkerung gegen die deutsche Bundesregierung aufzuwiegeln. Die Bundesregierung hat darauf reagiert und Janich über die Behörden und vermutlich auch über den BND bis ins Ausland verfolgen lassen. Vor zwei Tagen klickten dann die philippinischen Handschellen, ohne dass es einen deutschen oder internationalen Haftbefehl oder Auslieferungsantrag gebe. Auch so „geheim“ wie bei Kenan Güngör? Ob Janich das genauso vor das Parlament tragen lassen kann?

Auslandsnachrichtendienste wie der deutsche Bundesnachrichtendienst, spionieren auch bei engen Freunden: Das Nachbarland Österreich wurde zwischen 1999 und 2006 vom BND angezapft. Mehr als 2000 Telefonanschlüsse und E-Mail-Konten in Österreich wurden dabei überwacht – von Ministerien, von internationalen Organisationen, aber auch von Unternehmen. Politiker in Österreich zeigten sich damals zunächst empört. Mittlerweile ist darüber Gras gewachsen. Man weis schließlich um die Regeln.

Die türkische „Spitzel-App“

Kenan Güngör bezeichnet, wie viele Aktivisten in Europa, die Handy-App der türkischen Polizei als „Spitzel-App“. Sie kann für iOS- wie auch Android-Handys kostenlos über die jeweiligen Marktplätze heruntergeladen werden. Laut Güngör seien vor allem „Erdogantreue“ Türken dazu aufgefordert worden, über diese App Kritiker von Erdogan systematisch zu denunzieren.

Was hat es damit auf sich? Die ominöse App gibt es seit 2016. Die App „EGM Mobil“ wurde von der türkischen Polizei zur Meldung von Anzeigen und anderen Abfragen entwickelt. Neben der Internetwache, wo man über die App eine Anzeige erstatten kann, wie es sie auch in Deutschland über das Internet gibt, kann über die App auch die nächste Polizeidienststelle herausgefunden werden. Die App bietet für Kinder und Frauen auch die Möglichkeit, mit einem abgesetzten Notruf die Polizei zur Hilfe zu holen. Das funktioniert mit dem momentanen Aufenthaltsort, das der Polizei dabei automatisch übermittelt wird.

Bei der sogenannten Internetwache, wie es in Deutschland jedes Bundesland ebenfalls anbietet, muss die Anzeige mit der wahren Identität des Anzeigeerstatter erfolgen. Das heißt, weder der Anzeigenerstatter ist anonym, noch wird die Anzeige von der Polizei anonym verfolgt. Was ist also daran so besonders „geheim“, wie Kenan Güngör es ständig so kolportiert?

Selbstverständlich geht es bei der Internetwache nicht nur um Anzeigen, sondern aufgrund der gegenwärtig existierenden Terrorgefahr, auch um Terrorismus bzw. deren Prävention. Niemand wird also so etwas berechtigterweise kritisieren können, schon gar nicht die NEOS oder irgendeine andere österreichische Partei, die vorgeben, gegen Terrorismus zu sein und dafür auch das Inlandsgeheimdienst BVT wie auch das Auslandsgeheimdienst HNaA damit mit beauftragt haben.

NEOS wollen innerpolitisch Punkten

Was die NEOS hier breittreten wollen ist, die Propaganda eines angeblich geheimen Haftbefehls von Kenan Güngör bis in das österreichische Parlament zu tragen. Die türkische Botschaft in Wien hat in einer Stellungnahme inzwischen klargestellt, dass gegen Kenan Güngör Ermittlungen eingeleitet wurden und diese Ermittlungen seit 2018 in Zusammenhang mit Propaganda für eine Terrororganisation geführt werden. Laut der Botschaft gebe es aber keinen Haftbefehl, keinen Fahndungsaufruf oder Auslieferungsantrag auf internationaler Ebene nach der besagten Person. Die Person [Kenan Doğan Güngör] sei lediglich polizeilich geladen worden, was ein natürlicher Bestandteil jeder Ermittlungsarbeit sei, so die Botschaft weiter.

Vielleicht sollte sich Kenan Güngör als türkischer Staatsbürger in Österreich den dortigen Gepflogenheiten anpassen, sich also integrieren, statt rebellisch und im Widerstand seine Landsleute zu ermuntern, gegen eine Regierung vorzugehen. Schließlich ist er selbst ein vehementer Gegner der türkischen Rebellen und Widerständler in Wien-Favoriten; nicht wahr?

Vielleicht sollte der türkische Nachrichtendienst MIT seine Spione und Spitzel tatsächlich auf Güngör ansetzen, dem Verschwörungsideologen aus Österreich, der die Propaganda der Terrororganisation PKK fortsetzt. Eben, das zweitälteste Gewerbe der Welt, die wie gewohnt aufgrund von Anzeigen, Informationen und Auswertungen wie all die anderen Nachrichtendienste ihrer Arbeit nachgeht.