Das Flaggenmeer Russlands und Poster von Wladimir Putin in den Straßen der armenischen Hauptstadt Jerewan mussten den US-amerikanischen Flaggen weichen, als die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in Jerewan eintraf. Pelosi polterte nach der Ankunft entsprechend los: Aserbaidschan ist schuld an der Eskalation mit Armenien. Baku bleibt trotz des Fingerzeigs ruhig.
In dieser Woche brach der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan erneut aus. Nancy Pelosi sprach während ihres Besuchs in Jerewan von einem „illegalen und tödlichen Angriff“, deren Verantwortung die Führung in Baku trage. Der Angriff auf Armenien sei illegal gewesen, sagte sie in Eriwan.
Die 82-Jährige betonte, dass die „territoriale Unversehrtheit Armeniens“ für die USA wichtig sei. „Ziel unseres Besuches ist zu verstehen, was Armenien von den USA erwartet und welche Unterstützung wir leisten können.“
Verkehrte Welt
Nur wenige Hundert Kilometer nordwestlich von Jerewan kämpft die ukrainische Armee gegen Invasoren. Niemand in Europa oder in den USA erwägt ernsthaft, zumindest derzeit, dass die Ukraine den Krieg beendet und Landesteile an Russland verschenkt. Man ist gegen eine Annexion und steht uneingeschränkt hinter der Ukraine und dem ukrainischen Volk.
Nicht so im Fall Aserbaidschans. Aserbaidschan kämpft um die annektierten Bergkarabach-Gebiete, die Armenien während des Zerfalls der UDSSR mit Gewalt, Vertreibungen und Massenmorden an sich gerissen hat. Im November des vergangenen Jahres konnte Aserbaidschan mit einem Waffengang weite Teile der Annexion rückgängig machen. Die Debatten darüber in den USA oder Europa waren genauso kurios wie moralisch fragwürdig. Das wird auch gegenwärtig deutlich.
Niemand kann ernsthaft die Behauptung aufstellen, Aserbaidschan handle völkerrechtswidrig, wenn sie annektierte Gebiete zurückwolle und dabei armenisches Staatsgebiet attackiert. Denn, wenn man das auch nur andeutet, fällt alles auch auf die Oblasten Donbass und Luhansk in der Ukraine zurück, die derzeit von Russland kontrolliert werden. Auch die Ukraine attackiert entsprechend russisches Territorialgebiet, um den Konflikt zu seinen Gunsten zu gewinnen. Ergo, Ukraine dürfte sich nicht verteidigen oder mit Gewalt die Annexionen Russlands rückgängig machen.
Das kann nicht ihr ernst sein oder man legt unterschiedliche Werteschablonen an. Das wäre verwerflich und amoralisch.
Was hat Pelosi also in Jerewan zu suchen?
In Armenien ist man mit der amtierenden Regierung unter Premierminister Nikol Paschinjan seit dem Ende des Krieges vom November 2020 unzufrieden. Es gibt jüngst wieder Massenproteste, Forderungen nach Austritt aus der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), ein von Russland angeführtes Militärbündnis. Auch eine Reaktion darauf, dass die meisten OVKS-Staaten dem Hilferuf Armeniens nicht nachkommen wollten.
Es verwundert nicht, dass mit den Protesten Rücktrittsforderungen von Pashinyan gemeint sind. Aufgrund der aufgeflammten Krise mit Aserbaidschan musste Premierminister Pashinyan weitere besetzt gehaltene Gebiete in Bergkarabach an Aserbaidschan offiziell abtreten und damit anerkennen. Das hat nun zur Folge, dass die rechtsnationalistischen Parteien in Armenien zum Gegenangriff blasen.
Jerewan soll näher an Washington rücken - dafür soll Baku Kritik ernten
Offensichtlich wendet man sich damit auch von Russland ab, die bislang als Garant für die Region galt. Nancy Pelosi versucht mit dem Besuch den innerpolitischen Konflikt zugunsten Washingtons zu lenken. Nichts anderes erklärt diesen plötzlichen Besuch, bei der suggeriert wird, Baku habe diesen Konflikt angezettelt. Es sei „ein Symbol des starken Engagements der Vereinigten Staaten für ein friedliches, wohlhabendes und demokratisches Armenien und für eine stabile und sichere Kaukasusregion“, heißt es in der Erklärung von Pelosi während ihres zweitägigen Besuchs in Jerewan.
Pelosi auf „Good cop, bad cop“-Mission
Für Baku sind solche Kommentare geradezu unbedeutend. Schließlich hat man weitere Teile der von Armenien annektierten aserbaidschanischen Bergkarabach-Gebiete zurückgewonnen und von Pashinyan eine politische wie offizielle Anerkennung abgerungen. Wie Pashinyan das dem Volk erklärt, ist nicht das Problem Bakus, schließlich ist man bereits näher an Washington als an Moskau.
In Moskau beobachtet man das derzeit gelassen und ruhig, wie die Reaktionen zeigen. „Wir begrüßen alles, was nicht in Worten, sondern in Taten und weder laut noch populistisch, sondern tatsächlich leise und praktisch zur Befriedung der Beziehungen, zur Stabilisierung der Situation an der Grenze beitragen kann. Das alles ist zu begrüßen, aber kann diese Realität durch solche lautstarken Aktionen und Äußerungen zur Normalisierung beitragen? Mal sehen, mit der Zeit wird alles klarer“, sagte Dmitri Peskow, der Pressesprecher der Moskauer Regierung.
Noch ist also der Kampf um die regionale Oberhoheit zwischen den USA und Russland nicht ausgebrochen, und wenn, wird es ausschließlich in Armenien ausgetragen.