Uğur Mumcu war ein türkischer Publizist und Schriftsteller, der 1993 von einer Autobombe aus dem Leben gerissen wurde. Er steht obligatorisch für eine Türkei, die nach wie vor Schauplatz geopolitischer Spannungen und regionaler Konflikte ist. Seine damaligen begründeten Befürchtungen gelten gegenwärtig immer noch. Dagegen sollte sich die Türkei entsprechend wappnen.
Vor allem die letzten zwei Ereignisse, die Gezi-Proteste sowie den gescheiterten Putschversuch, hätte Uğur Mumcu erneut in der Mappe unter "externally controlled" abgeheftet, so wie er die Terrororganisation PKK schon damals als von ausländischen Nachrichtendiensten - wie der CIA und MOSSAD - gesteuerte Organisation bezeichnete. Seinen Enthüllungen folgte sogleich die Autobombe. Das hat die Türkei nachhaltig geprägt.
Es gibt im Land, vor allem bei innerpolitischen Spannungen, trotz der gegensätzlichen, bisweilen verfeindeten Haltung, frappierende Ähnlichkeiten über alle Parteien, allem Lagerdenken und Bubbles hinweg, wer dafür mitverantwortlich ist. Die besagte z. B. schon vor dem gescheiterten Putschversuch, dass die CIA und der MOSSAD sowie andere ausländische Nachrichtendienste die Finger im Spiel hätten. Die Befürchtungen traten ein, die Fethullah Gülen Bewegung erhob sich gegen die amtierende Regierung, versuchte den Umsturz, scheiterte. Ihre Rädelsführer wurden rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Im Nachgang wurde es zwar verwässert und entsprechend des Lagerdenkens umgedeutet, aber dem Kerngedanken blieb man treu.
Auch der deutsche BND horcht(e) die Türkei seit 1976 ab, Stichwort u. a. "Operation Rubikon". Zwar macht man das "unter Freunden" oder NATO-Partnern nicht, aber angesichts der Lage der Türkei inmitten eines geopolitischen Spannungsfelds, kaum verwunderlich. Aber, während der BND etliche hochrangige Mitglieder der Fethullah Gülen Bewegung mit dem Ende des gescheiterten Putschversuchs zu schützen imstande ist, scheint man offenkundig nicht in der Lage zu sein, angesichts der "russischen Gefahr" die eigene Sicherheit zu gewährleisten. Man glaubt in Berlin tatsächlich, dass man mit Scharm und diplomatischem Geschick die Türkei mit der zweitstärksten Armee der NATO dafür zu gewinnen, ihre Truppen ins Feld gegen Putin zu führen. Deswegen, und nur deshalb, hält man sich in Berlin plötzlich in Zusammenhang mit Libyen, Zypern oder Syrien öffentlich so sehr bedeckt. Die konjunkturelle Lage erlaubt es Berlin schlicht und einfach nicht, sich über die Türkei - derzeit - öffentlich zu eschauffieren. Dafür setzt man aber andere mächtigere Werkzeuge ein, um die Türkei zu irgend etwas zu bewegen oder unter Druck zu setzen: wie dem Nein! zum Kauf von Eurofightern - wohlgemerkt, soll sie dabei dennoch als Verbündeter die NATO umfassend verteidigen. Wie das angesichts der gegenwärtigen Haltung der NATO-Mitglieder gegenüber der Türkei gehen soll, steht auf einem anderen Blatt!
In der Türkei sprechen Experten vom Schlag eines Uğur Mumcus aufgrund dieser Umstände eine Warnung nach dem anderen aus. Es gehe nicht darum, Zypern wieder zu vereinen, den Iran in die Pahlavi-Dynastie zu bomben oder Gaza in ein Fantasie-Wunderland umzupflügen. Es gehe darum, zu teilen und zu herrschen, und interessanterweise passiert all das um die Türkei herum. Der moderne europäische Imperialismus und Kolonialismus beherrscht dies seit dem 15. Jahrhundert und nutzte immer wieder das Prinzip des Teile und Herrsche, auch gegen das Osmanischen Reich, vor allem während des Zerfalls bis zur Gründung der Türkei und darüber hinaus. Man kann das als Phobie bezeichnen, als Schreckgespenst der Türken, aber was die Türkei bislang durchgemacht hat, bestärkt dieses Gefühl in der Gesamtgesellschaft der Türkei. Zuletzt nährte sogar der Führer der Terrororganisation PKK Abdullah Öcalan selbst dieses Gefühl mit seinem vorerst letztem Friedens-Pamphlet an die PKK, wie es vor 32 Jahren Uğur Mumcu in seiner Kolumne ausführlich dargelegt hatte.
Und dann gibt es noch ganz andere Baustellen, mit der die Türkei seit Jahrzehnten zu kämpfen hat: u. a. die Zypern-Frage, die wie ein Damoklesschwert über der Türkei schwebt, oder Syrien, in der sich gegenwärtig der syrische Ableger der PKK dagegen sträubt, sich dem Pamphlet Abdullah Öcalans anzuschließen. Während also in Zypern eine Demarkationslinie von der UN überwacht wird, um die zerstrittenen Lager auf Distanz zu halten, steht die UN im Gazastreifen oder im Westjordanland lediglich außerhalb der Besatzungszonen und versucht mehr Schlecht als Recht, die Lebensbedingungen in den zwei Hälften Palästinas aufrechtzuerhalten - während Israel völkerrechtswidrig Angriffskriege vom Zaun bricht. Was also auf Zypern zu funktionieren scheint, will die westliche Hemisphäre, wollen die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates zwischen Israel und dem Gazastreifen oder Westjordanland partout nicht aufstellen. Die Auslegung und Durchsetzung des Völkerrecht ist also davon abhängig, welchen Interessen es dienlich ist und nicht dem Wertekanon, die man doch so hoch hält.
Man kann nicht einmal mehr eine inhärente politisch-moralische Rechtfertigung konstruieren, um den Vernichtungskrieg in Gaza, den Unterdrückungsapparat in Westjordanland, den Angriff auf den Iran zu erklären, da man z. B. bei näherer Betrachtung des Letzteren nicht plausibel und überzeugend darlegen kann, dass Irans mögliches Streben nach nuklearer Bewaffnung einem Plan zur Vernichtung Israels geschuldet ist. Auch im Iran weiß man, dass derjenige, der zuerst mit Nuklearwaffen feuert, als Zweiter stirbt.
Das iranische Regime mag ein brutales Unrechtsregime sein, es ist aber nicht suizidär und irrational. In einer Geographie, in der Regime von innen wie von außen gestürzt wurden und die ständigen kriegerischen Interventionen durch auswärtige Groß- und Mittelmächte ausgesetzt ist, gibt es Dutzende von rationalen und einleuchtenden Motiven, die das Streben eines regionalen Akteurs nach nuklearer Abschreckung erklären. Dass der Iran nach Atomwaffen strebe, um Israel zu vernichten, gehört nicht dazu und ist bei Lichte betrachtet nichts weiter als eine seit Jahrzehnten gebetmühlenartig von israelischer Seite vorgetragene Behauptung, die man eher ins Reich der Propaganda verorten sollte, anstatt mit so etwas das Verbrechen eines Angriffskrieges zu relativieren.
Israels Interesse daran, eine mögliche atomare Bewaffnung Irans zu verhindern, folgt keinem "existenziellen Selbstverteidigungsinteresse" sondern geostrategischen und machtpolitischen Interessen. Die ehemaligen israelischen Minister Ben Gvir und Smotrich verfolgen die Idee eines Israel „vom Fluss bis zum Meer“ offen und offensiv, sind immer noch politisch aktiv, das Ziel der Errichtung eines „biblischen Großisrael“ zu realisieren, und Netanjahu hat nicht die Absicht, diese Hardliner zur Ordnung zu rufen. Stattdessen wird aus der Genesis das "gelobte Land" rauf und runter rezitiert, die sich vom Nil bis zum Euphrat erstreckt. Während der Nil bereits kontrollierbar geworden ist, bleibt der Euphrat unter der Kontrolle der Türkei ein Schreckgespenst der revisionistischen Zionisten und ist ein Übel für die US-amerikanischen Evangelisten.
Auch die Türkei hat kein gesteigertes Interesse daran, dass das iranische Regime in ihrer Nachbarschaft nuklear bewaffnet ist. Gilt übrigens auch für Israels Nuklearwaffen. Das heißt aber noch lange nicht, dass der Türkei hieraus ein Recht zum Krieg erwächst. Weder juristisch, noch politisch oder moralisch. Ebenso wenig Israel. Ich persönlich erwarte daher von der Türkei, dass sie umgehend das Prozedere zum Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag einleitet und sich ohne jede weitere Verzögerung dran macht, in Kooperation mit Staaten wie Pakistan und Russland ein eigenes Nuklearwaffenarsenal aufzubauen. Denn, Iran wird just nach dem jüngsten israelischen Angriffskrieg erst recht nicht auf ihr "Nuklearprogramm" verzichten, wenn’s sein muss im geheimen Weiterführen und schlussendlich aus dem Atomwaffensperrvertrag austreten.
Angesichts der schlimmsten und skrupellosesten Kriegsverbrechen des 21. Jahrhunderts, muss die Türkei zuerst innerhalb der nächsten Jahre in der Lage sein, sich selbständig und für eine längere Zeit verteidigen zu können. Darauf deutet schon vieles hin. Es darf nicht erwartet werden, dass irgendein Verbündeter oder Freund zu Hilfe eilt oder Waffen bzw. Munition nachliefert, während es angegriffen wird. Aufgrund der doppelten nuklearen Gefahr in der Region, muss die Türkei aber zwangsläufig auch auf die atomare Abschreckung setzen, zumal das Völkerrecht obsolet geworden ist. Denn, das was einst die zwischenstaatlichen und grundlegenden Normen für das internationale Zusammenleben prägte, ist seit dem 7. Oktober 2023 faktisch zuerst von Israel, dann vom Westen zum Entsetzen des globalen Südens zu Grabe getragen worden. Die Türkei kann nicht darauf vertrauen, dass die besagten Länder das Völkerrecht wiederentdecken oder sich an Abkommen und Verträge halten, wenn die Türkei als Verbündeter oder Partner von Mullahs, US-amerikanischen Evangelisten oder revisionistischen Zionisten mit ihren unzähligen Proxys indirekt in ihrem Souverän angegriffen oder in ein Krieg hinein manövriert wird.