Einer der Stacheln im Nahen Osten

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Ich bin ein Freund einfacher, aber logischer Hypothesen, mit der Sachverhalte erklärt werden können. In Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt wende ich dieses Prinzip ebenfalls an und nach dem Krieg gegen Gaza und dem Libanon kommen mir wirre Gedanken auf, deren einfachste These und Schlussfolgerung mir den Stempel eines Verschwörungstheoretikers aufdrücken würde. Ist dem so?

Ich fasse es mal so zusammen: Güldal Mumcu, die Ehefrau des ermordeten Journalisten Uğur Mumcu (1993), berichtet in ihrem Buch mit dem Titel “İçimden Geçen Zaman”, wie sie vom israelischen Botschafter in Ankara am 8. Januar 1993 eingeladen und in der geselligen Runde gefragt wird: "Haben sie keine Angst vom Sterben?" Zwei Wochen nach dieser Frage, die eigentlich Uğur Mumcu gestellt gehört und nicht der Ehefrau, wird Uğur Mumcu von einer Bombe im Auto in der Luft zerrissen. Und noch ein Datum ist dabei relevant: Der 7. Januar 1993, in der Uğur Mumcu in einer Ecke der Tageszeitung Cumhuriyet die Vierecks Beziehung zwischen dem Mossad, dem CIA, der Terrororganisation PKK sowie Masud Barzani durchleuchtet.

Interessant, nicht wahr? Fast ein Jahrzehnt später kramte der damalige türkische Innenminister Sadettin Tantan die Akte zum ungeklärten Mordfall an Uğur Mumcu wieder heraus und erklärte nach tiefgründiger Untersuchung, dass die iranische Revolutionsgarde als Proxy mit hinter der Tat stecke.

Die iranische Revolutionsgarde wurde von Ruhollah Chomeini gegründet, der 1979 aus dem Exil in Frankreich mit einer Air France in Teheran abgesetzt wurde. Kurze Zeit später wurde die schiitische Hisbollah, die im Libanon tätig ist, von Chomeini etabliert. Die Hisbollah wiederum unterhielt in der Türkei einen Ableger namens "Tevhid Selam", die mit den Ergenekon- und Vorschlaghammer-Prozessen Bekanntheitsgrad erlangte und im Jahre 2014 vom türkischen Kassationshof als Terrororganisation bezeichnet wurde. Ferner werden sie mit den Morden an Uğur Mumcu, Bahriye Üçok und Ahmet Taner Kışlalı in Verbindung gebracht. 

Der oberste Führer des Iran, Ali Chamenei, rief vergangene Woche in seiner Freitagspredigt die arabischen wie auch muslimisch geprägten Länder auf, mit dem Iran gegen Israel zusammen zu stehen. Seine Rede hielt er teilweise in arabischer Sprache ab, richtete auch an den Nachbarn Türkei einige Worte, in der die Gemeinsamkeiten betont wurden. Chamenei im Weichspül-Modus?

Das Problem ist, dass die Türkei an und für sich keine Probleme mit dem Nachbarn haben will, aber der Iran bis heute nichts unversucht ließ, Ankara erhebliche Probleme zu bereiten. Es liegt in der Natur zweier aus sich heraus gewachsener Reiche und Staaten, ihre Konflikte bislang Understatement auszutragen. Gerade deshalb war die Rede von Chamenei vor dem Freitagsgebet eine Überraschung und ein Novum an sich. Was ist in den Führer eingefahren, fragt man sich in der arabischen, vor allem türkischen Gesellschaft.

Wieso, fragen sie sich jetzt! Der Iran war bis zum Freitagsgebet von voriger Woche an so ziemlich vielen Konflikten mit arabischen Ländern, insbesondere auch mit der Türkei oder Aserbaidschan, beteiligt. In Nordsyrien schlachteten schiitischen Hizbollah-Kämpfer Hand in Hand mit Assads Schergen ganze sunnitische Gebiete nieder und bedrohen zum Teil bis heute nicht nur die türkische Grenzintegrität oder Integrität des Staates, sondern türkische militärische Einheiten, die die Sicherheitszonen in Nordsyrien überwachen.

Bis heute gibt der Iran zwar vor, für den Islam und seine Glaubensbrüder zu stehen, Terrorismus zu bekämpfen, unternommen hat sie bislang u. a. gegen die PKK nichts, absolut nichts. Im von Armenien besetzt gehaltenem aserbaidschanischen Berg-Karabach hielt der Iran mehr als 30 Jahre die Hand des Besatzers und war bis jüngst nicht dazu zu überreden, nicht im Weg zum Sangesur-Korridor mit der aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan zu stehen. Jetzt sitzt sogar Frankreich mit im Boot und will am Korridor ein militärisches Attaché in Armenien aufbauen.

Und dann passieren recht seltsame Dinge, seit Netanjahu das Kriegskabinett zum Sturm auf besetzte Palästinenser und Angriff auf Nachbarn aufgerufen hat. Man muss aber etwas zurückgehen, um das ganze erfassen zu können. 

Im Januar 2020 wurde Kasım Süleymani, Divisionskommandeur der iranischen Revolutionsgarde, im Irak auf Befehl Donald Trumps gezielt getötet. Im Nachgang hielt US-Präsident Trump die Füße still, als der Iran als Vergeltung ein Dutzend Raketen auf US-Stellungen im Irak abfeuerte, von denen kein einziger so wirklich das Ziel treffen wollte.

Bei einem Luftangriff auf ein Konsulatsgebäude der iranischen Botschaft in der syrischen Hauptstadt Damaskus wurden im April 2024 die Kommandeure der Revolutionsgarde Mohammed Resa Sahedi und Mohammed Hadi Hadschi Rahimi sowie zwei ranghohe Vertreter der Al-Kuds-Brigaden getötet. Der Iran begnügte sich damit, mit Ansage sage und schreibe 300 Raketen und Drohnen auf den Weg nach Israel zu schicken, die nach elendigen 2 Stunden Flugzeit von gegnerischen Raketen vom Himmel geholt wurden.

Im Juli 2024 wurde Ismail Haniyya, ehemals Ministerpräsident der Palästinensischen Autonomiegebiete und Politiker der HAMAS, mitten in Teheran durch einen Sprengsatz im Gästehaus der Revolutionsgarde getötet. Im Nachhinein erfuhren wir vom libanesischen Außenminister, dass der Iran die Füße stillhielt, weil westliche Staaten und Israel im Gegenzug eine Feuerpause im Gaza versprochen haben sollen.

Bei Explosionen von Pagern und Walkie-Talkies der Hisbollah am 17. und 18. September 2024 wurden mindestens 37 Menschen getötet und rund 3.000 verletzt. Die Hisbollah feuerte als Vergeltung in altbekannter Tradition Dutzende Raketen im steilen Bogen auf Tel Aviv, Haifa und andere israelische Küstenstädte, damit diese Regelrecht im Radar des Iron Dome kunterbunt aufleuchten und somit vom Himmel geholt werden.

Und zuletzt wurde der Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, im September 2024 in seinem Bunker in einem Vorort von Beirut getötet und der Iran schafft es diesmal mit rund 200 Hyperschall-Raketen zum erheblichen Teil die israelische Iron Dome aus dem Konzept zu bringen. Wie müssen sich die revolutionären Iraner aber gewundert haben, als israelische Medien erste Bilder von erwarteten Einschlagskratern zeigten, die von 1.000 kg Sprengköpfen herrühren sollten. Man sah alles andere, nur keine Krater oder Zerstörung weit und breit. Man sah beinahe erhaltene Raketenhülsen, eine Klopapierhülse während der Landung auf einen Palästinenser, der damit erschlagen wurde.

Ich mag mir nicht vorstellen, welchen Schrecken allein schon die Ansage eines iranischen Erstschlags mit einer Atombombe verursacht und wie dumm man dann dreinschaut und nach einer vernünftigen Erklärung ringt, wenn nach dem Einschlag ein laues Lüftchen weht.

Wirre Gedanken schwirren mir durch den Kopf, während ich in der Komplexität nach Antworten suche...

Hat sich die iranische Revolution etwa aus revolutioniert, weil alles auf Lug und Trug aufbaut?

Hat sich die iranische Revolution etwa aus revolutioniert, weil sie als Proxy ausgedient hat?

Oder hat sich die iranische Revolution als Proxy in Teilen verselbständigt und es wird wieder korrigiert und nachjustiert?

 

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