Türkei: Experten ratlos, woher der Geldsegen stammt

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Die hohe Inflation bekommt jeder zu spüren, vor allem Banken in der Türkei, aber auch die US-Banken oder Banken in der Europäischen Union. Mit dem Zinsanstieg verlieren zum Beispiel Anleihen im Kurs und damit an Wert.

Jetzt soll inmitten der Krise die Türkei ihre Sanktionspolitik gegenüber Russland verschärfen, während die Sanktionspolitik der USA und der EU gegen die Türkei anhalten.

Inflationszahlen bremsen Erwartungen in den USA

Mit ein Auslöser für die Verschärfung der Krise waren Inflationszahlen aus den USA, die am Dienstag bekannt gegeben wurden und die auf weitere deutliche Zinsanhebungen durch die US-Zentralbank Federal Reserve hindeuten. Infolgedessen verlangsamen sich Bankinvestitionen, da Liquiditätsdruck entsteht.

Allein in den USA verzeichnete man im letzten zweiten Quartal eine Einlageflucht für langfristige Wertpapiere in Höhe von 370 Milliarden US-Dollar. Das ist ein Rückgang von rund 33 Prozent.

Auch in Europa hat die Inflation die Stimmung der Anleger ruiniert. Die suchen nun das Weite, nur wohin mit dem Geld?

China will Wachstum ankurbeln

In China hat zum ersten Mal seit 2015 einer der größten staatlichen Banken die Einlagenzinsen gesenkt, um das nachlassende Wachstum in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt anzukurbeln. Peking muss dabei vorsichtig agieren, um die eigene Währung nicht weiter zu belasten und eine Abwertung zu riskieren.

Ägypten freut sich über Kapitalzuflüsse

Sind das Signale dafür, dass die Anleger ihr Kapital wo anders parken? Letzte Woche gab die ägyptische Zentralbank bekannt, dass sie in den ersten drei Monaten des Jahres Einlagen in Höhe von 13 Milliarden US-Dollar verbuchten. Die Kapitalflüsse stärkten somit die stark erschöpften Devisenreserven des Landes.

Die Zahlen der Zentralbank von Ägypten zeigten aber auch auf, dass das Kapital von Golfstaaten stammt, während andere ausländische Investoren ihre Einlagen mitnahmen. Allein zwischen Juli 2021 und März 2022 flossen so 17,2 Milliarden US-Dollar ab.

Türkei behält Defizit überraschend gut

Ähnlich ergeht es anderen Schwellenländern, die mit Kapitalabflüssen zu kämpfen haben, die über den Kapitalzuflüssen liegen; bis auf die Türkei, die überraschenderweise das Defizit unter Kontrolle behält. US-Experten sind verblüfft darüber, wie das Land es geschafft habe, in kürzester Zeit Mehreinnahmen zu generieren, während westliche Anleger ihre Einlagen in Aktien oder Anleihen stark reduziert haben.

Eigentlich sind solche Signale Gift für die türkische Wirtschaft. Das anhaltende Haushaltsdefizit trotz angestiegener Exporteinnahmen, zeigt auf, dass die Mehreinnahmen die Inflation nur bedingt abfedern. Sie helfen dem Staat aber dennoch, die Geschäfte aufrechtzuerhalten und auszuweiten.

Die jetzt veröffentlichten Zahlen der türkischen Zentralbank zeigen auf, dass weitere Zuflüsse dafür sorgen, dass die Inflation nicht so stark einschlägt und die türkische Lira weiter unter Druck setzt, wie man schlechthin annehmen würde.

Rätselraten über Mehreinnahmen der Türkei

Die Tourismusströme in diesem Jahr ließen die Kassen ebenso klingeln wie die Mehreinnahmen, die die Exportwirtschaft generierte. Das trug dazu bei, den Druck auf die Leistungsbilanz und damit auf die türkische Lira zu verringern. Einen großen Schub in die Devisenreserven kam in Form von Einlagen, deren Ursprung nun manchen Rätsel aufgibt.

US-Experten wie Timothy Ash oder europäische Banker sind sich nicht sicher, woher der Geldsegen stammt. Damit beginnt auch ein Rätselraten, die in der Financial Times aufgegriffen wird. Louis Ashworth versucht in einem Artikel zu ergründen, woher die Mehreinnahmen stammen, die in Höhe von etwa 24,4 Milliarden US-Dollar liegen.

Die neuesten Zahlen der türkischen Zentralbank würden verdeutlichen, dass sich das Leistungsbilanzdefizit auf rund 36,7 Milliarden US-Dollar erhöht habe. Orthodoxe Ökonomen führen das auf die weiterhin niedrig gehaltenen Zinsen und kritisieren dabei die unorthodoxe Zinspolitik des Landes.

Mysteriös gleich Sanktionsgrund?

Das sind eigentlich schlechte Nachrichten, zumindest im Auge des konservativen Establishments. Aber die jüngst vorgestellten Zahlen hinterlassen ein Aha-Effekt und viele offenen Fragen. Woher stammt nun der „mysteriöse“ Kapitalfluss, fragt sich Louis Ashworth und versucht zu ergründen, was es damit auf sich hat.

Das ist wie das Schnüffeln in fremden Konten, um herauszufinden, wie der andere zu mehr Reichtum gekommen ist. Timothy Ash von BlueBay Asset Management wittert hier einen russischen Einfluss und erklärt, türkische Banken könnten Gelder auch von Russen akzeptieren, die während des Ukraine-Krieges und Sanktionsmaßnahmen gegen Russland ihre Einlagen in Schwellenländer parken.

Ashworth zufolge wäre das eine plausible Erklärung für den zusätzlichen Geldsegen, dessen Ursprung nicht ergründet werden kann. Eigentlich hatte sich der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan dazu bereits unmissverständlich geäußert und erklärt, dass die Türkei mit diplomatischem Fingerspitzengefühl diesbezüglich jedem offen stehe und entsprechende Unterstützung erfahre.

Angesichts der Berichterstattung der Financial Times, ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Es ist mittlerweile in aller Munde, dass die Türkei aufgrund der bestehenden US-Sanktion und weiteren Androhungen sowie der europäischen asymmetrischen Diplomatie die Türkei und deren Wirtschaft überstrapaziert.

Die Türkei hat insofern ein vitales Interesse, ihre eigene Wirtschaft im Auge zu behalten und dabei auf diplomatischem Wege einen Balanceakt zu vollziehen, die ihresgleichen sucht. Etwas, was vielen im Westen missfällt, aber nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass der Ukraine-Konflikt nur eines von vielen Konflikten in der Welt darstellt und daher auch von vielen weltweiten Staaten genauso behandelt wird.

USA und EU holen gegen Türkei erneut aus

Die USA und die EU verstärken dennoch den Druck auf die Türkei, hart gegen die Umgehung russischer Sanktionen vorzugehen, da sie befürchten, dass der türkische Bankensektor eine potenzielle Hintertür für illegale russische Transaktionen bleibt. 

Die USA konzentrieren sich nun auf türkische Banken, die das nationale Zahlungssystem Russlands Mir integriert haben sollen. Auch Brüssel hat eine Delegation zusammengestellt, um der Türkei zu vermitteln, dass die Bedenken der Europäischen Union ernst zu nehmen sind. Angesichts der Politik, die die USA und die EU gegenüber der Türkei seit Jahren fahren, nichts neues.

Solidarität unter Verbündeten und Partnern?

Eigentlich stehen sich Verbündete und Partner - wie es stets unterstrichen wird - gegenseitig bei. Aber bei der Türkei macht man offensichtlich eine große Ausnahme. Das wiederum kann nicht ohne Konsequenzen bleiben. Ergo versucht die Türkei ohne die Solidarität, Hilfe und Unterstützung der USA und EU, in diesen Wirren Zeiten zurechtzukommen und auf den eigenen Beinen zu stehen.

Eigentlich wäre die Türkei sehr wohl imstande, der USA oder der Europäischen Union die vollste Solidarität und Unterstützung im Kampf gegen einen Aggressoren nicht nur zu versichern, sondern auch Zuteil werden zu lassen. Aber angesichts der betriebenen restriktiven Politik gegenüber der Türkei, ist das ein Wunschdenken, der nicht der Realität entspricht. Man erntet gewissermaßen das, was man ausgesät hat.