Türkei und Terrorismus - Momente zum Offenbarungseid

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Die Herausforderung den Terrorismus präventiv zu begegnen, beginnt mit dem Bekenntnis zum Kampf gegen Terrorismus und die uneingeschränkte Solidarität mit Opfern. In der Türkei erhöht sich der Druck auf politische, akademische wie auch gesellschaftliche Kreise, einen Offenbarungseid zu leisten. Das ist auch nötig.

Es gab und gibt immer eine Instrumentalisierung von Ideologien, um die Durchsetzung von Maximalforderungen mit Drohungen zu begründen, die darauf folgende Legitimation von Gewalt zu rechtfertigen. Und vielleicht ist tatsächlich die Gewalt, die von Ideologien legitimiert wird, die am meisten enthemmte Gewalt, weil sie sich auf eine absolute Legitimationsinstanz beruft, wie sie höher nicht mehr gedacht werden kann.

Eines dieser Höhepunkte, in dem eine Person sich auf diese absolute Legitimationsinstanz beruft und selbst aufopfert, um im letzten Moment auch noch eine maximale Gewalt auszuüben und so viele Menschen wie möglich in den Tod zu reißen, konnte man am vergangenen Sonntag in der türkischen Hauptstadt Ankara verfolgen.

Nur 300 Meter vom Nationalparlament der Türkei entfernt, versuchten zwei Terroristen der völkisch-kurdischen PKK, sich mit Gewalt Zutritt zum Gelände des Innenministeriums zu verschaffen. Der Versuch scheiterte, weil Sicherheitskräfte an der Pforte aufmerksam waren, die Fahrzeugsperre an der Einfahrt auslösten und zur Gegenwehr übergingen.

Einer der Terroristen sprengte sich infolgedessen in die Luft, während der zweite Terrorist im Kugelhagel starb, dabei jedoch eine RPG abfeuerte. Nach bisherigen Erkenntnissen hatten die Terroristen noch 9 kg C4-Sprengstoff im Gepäck. Was sie damit anrichten wollten, können wir nicht mehr in Erfahrung bringen.

Das Ergebnis dieses Terroranschlags: Zwei leicht verletzte Sicherheitsbeamte, eine beschädigte Sicherheitszelle der Beamten sowie eine verformte Fahrzeugsperre. Und, ein toter Veterinärarzt, der in der Nacht zuvor von eben diesen zwei Terroristen ermordet wurde, um dessen Fahrzeug für die Tat zu verwenden. Der Arzt hinterlässt eine Ehefrau und ein 6 Monate altes Säugling.

Was passierte danach? Die PKK ließ kurz danach über ihre eigene Online-Kanäle verlauten, für den Anschlag verantwortlich zu sein. Die "Märtyrer" hätten ihre Aufgabe erfüllt, ein mächtiges Signal ausgesendet. Gegenwärtig quillt das Web mit diesen Lobeshymen weiterhin über, die von Intellektuellen verfasst werden, die im selben Atemzug Gewaltfreiheit, Demokratie, Menschenrechte und Gleichheit fordern.

Während politische Kommentatoren in unzähligen türkischen Medienauftritten zunächst Fragen nach der akuten Relevanz dieses Terroranschlags stellten und erörterten, aktualisierte der Staat die aktuelle Gefährdungslage und verstärkte ihre präventiven Sicherheitsvorkehrungen.

Diese öffentlichkeitswirksame Informationsflut sollte die Bürger zur zivilen Wachsamkeit anhalten. In dieser angespannten Situation ging es bei bestimmten Kreisen aber nicht mehr um Terrorismus, sondern um Verschwörungstheorien, Aufforderung zu bestimmten Zugeständnissen, unter anderem in Zusammenhang mit dem Führer der PKK, der auf der Gefängnisinsel Imrali eine lebenslange Haftstrafe verbüßt; sprich, politisches Geplänkel inmitten eines Terroranschlags.

Die Aufforderung kam ausgerechnet nach dem Anschlag und im Nationalparlament von der neuen Yeşil Sol Parti (Grüne Linke Partei), die eine Nachfolgepartei der völkisch-kurdischen HDP ist. Als ob das nicht reicht, drohte man geradezu der Regierung, der Forderung nachzukommen oder das türkische Volk werde weiterhin einen hohen Preis zahlen.  

Die Verschwörungstheorie stellte derweil die TV-Moderatorin Ayşenur Arslan während einer TV-Sendung der Halk TV in der Nacht nach dem Terroranschlag auf. Arslan beklagte sich geradezu darüber, dass die zwei Terroristen in naiver Art den Anschlag verübt und sinnlos gestorben seien. Zudem hätten die Terroristen offensichtlich ferngesteuerte Sprengsätze mit sich geführt, folglich auch keine Kontrolle darüber. Und, warum hätten die Terroristen ein Fahrzeug aus Kayseri entwendet, wenn es doch in Ankara PKWs in Hülle und Fülle gebe...

Vielleicht hätte Arslan gleich eine Anleitung zum perfekten Terrorismus vorgestellt und die nächsten davor bewahrt sinnlos zu sterben?

Zuschauer zeigten sich angesichts dieser Äußerungen von bestürzt, verärgert bis hin zu "was war dass denn?" Die gesamte Wut über Ayşenur Arslan´s unsinnige Fantasiegedanken ergoss sich zuerst über soziale Medien, was zu einer Entrüstungswelle führte, bis die Justiz sich auf unzählige eingegangene Anzeigen hin dem Fall annahm und Arslan letztlich polizeilich vorführte und vernahm.

Da hatte sich die PKK die Mühe gemacht, die Tat medienwirksam für sich in Anspruch zu nehmen und prompt grätschte ihnen ausgerechnet eine türkische Moderatorin und Journalistin namens Ayşenur Arslan hinein und stahl ihnen die Show, in dem sie Brotkrumen legte, die in Richtung Regierung deuten.

Wer aber glaubt, damit wäre die Fahnenstange der Kuriositäten erreicht, der irrt. Kurz zuvor sollte das älteste Filmfestival der Türkei, das Antalya Golden Orange Film Festival stattfinden. Eines der Filme, die prämiert werden sollte: Kanun Hükmü (The Decree) von Necla Demirci. Es handelt von zwei Angestellten des öffentlichen Dienstes, einer Lehrerin und einem Arzt, die im Rahmen des Ausnahmezustands, der nach dem Putschversuch im Jahr 2016 in der Türkei verhängt wurde, entlassen worden waren.

Ausgerechnet dieses Paar, deren juristischer Prozess in Zusammenhang mit der FETÖ offiziell noch nicht beendet ist, sollte offensichtlich einen Persilschein erhalten. Dem Paar wird im laufenden Prozess der Vorwurf gemacht Mitglieder des Terrornetzwerks FETÖ zu sein.

Die Jurymitglieder machten dabei jedenfalls nicht mehr mit, traten zurück. Sponsoren sprangen ab und sogar die Ministerien für Kultur und Sport, entzogen dem Festival ihre Unterstützung. Letztlich musste auch der CHP-Oberbürgermeister der Stadt Antalya das Festival insgesamt absagen. 

Wer meint, damit wäre die öffentliche Ordnung gewahrt, die Volksseele besänftigt, der irrt sich erneut. Prompt sprangen Intellektuelle, Schauspieler und Künstler auf die Barrikaden auf und sangen im Chor, die Regierung habe dem Festival Fesseln angelegt. Pardon, aber wo waren diese Burschen, als die FETÖ in Jahrzehnten ihrer Machtausbreitung eine Schneise der Verwüstung hinterließ?

Etwas zu viel für ein Wochenende, nicht wahr?

Aber noch nicht genug... Der tragische Tod des 6-jährigen Yusuf Kerim Sayın wird derweil von Kreisen der FETÖ (Gülen-Sekte) erneut medial breitgetreten. Damit wird nicht nur die Regierung und das Nationalparlament seit längerem beschäftigt, sondern das Leid des Jungen instrumentalisiert, um die noch letzten verbliebenen Netzwerke zu schützen. Weil der Bub Krebs im Endstadium habe, müsse die verurteilte Mutter freigelassen werden, so die vorherige Hauptforderung, was auch mit einer Änderung des Strafgesetzes im April 2023 ermöglicht wurde. Der Mutter wurde kurz darauf Strafaufschub gewährt, um dem Buben in den letzten Stunden, Tagen, Wochen und Monaten beizustehen; nicht aber die Freiheit oder Straflosigkeit gewährt!

Insgeheim wird derzeit in sozialen Netzwerken wie auch beschränkt in Medien in Zusammenhang mit Yusuf Kerim Sayın der Eindruck erweckt, die verurteilten Menschen seien keine Gefahr mehr für die Türkei, also könnten sie auch freigelassen werden, wie es unter anderem das Gülen-nahe Onlineportal DTJ hervorhebt: "Dass die Gülen-Bewegung in der Türkei längst zerschlagen wurde und es politisch kaum noch Gründe gibt, diese Grausamkeit fortzuführen, zeigt eines. Erdoğan und seine Anhänger haben ein grundsätzlich menschenfeindliches Weltbild, das sogar das Leben von unschuldigen Kindern zerstört."

Dabei vergisst diese Sekte, welches Leid sie in all den Jahren seit ihrem Bestehen über die Türkei und das Volk selbst gebracht haben und ihre Handlanger wie auch Strippenzieher sich bislang der Verantwortung entzogen. Ihre mafiöse Netzwerkstruktur drang in die Justiz, in das Militär wie auch in höchste Regierungskreise hinein, löste unzählige Massenprozesse aus. Menschen starben in Gefängnissen, übten Selbstmord aus oder brachen psychisch zusammen. Von den Menschen, deren Zukunft verbaut wurde, die herausgemobbt wurden, mit fingierten Beweisen gestürzt oder entlassen wurden, ganz zu schweigen von den angelasteten Morden, geht die Opferzahl weit darüber hinaus, die in Zahlen fassbar wäre. Und, der Putschversuch steht im Raum, dessen Tragweite kaum bekannt ist, weil der Versuch ja scheiterte.

Während jetzt bestimmte ideologische, akademische, politische und kulturelle Kreise laut aufschreien; dem Festival würden Fesseln angelegt; der "Führer" sei in Einzelhaft und müsse uneingeschränkten Besuchsrecht erhalten oder die "Kurden" würden weiterhin assimiliert und kulturell ausgelöscht werden; die Gülen-Bewegung sei keine Gefahr mehr; hatte man in den letzten Tagen für den Veterinärarzt Mikail Bozlağan bislang kein Wort des Bedauerns, geschweige denn des Beileids und der Verurteilung der Tat übrig. Das gilt auch für alle Opfer dieser ideologisch-motivierten Gewalttaten.

Im Übrigen, keiner dieser Verfechter mit hehren moralischen Zielen hatte bislang den Mut und den Schneid, sich hinzustellen und Solidarität zu zeigen, Fehler einzugestehen, Verantwortung zu übernehmen, reinen Wein einzuschenken oder Anteil am anderen Leid zu zeigen. Es ging stets nur um den eigenen kleinen Kreis, das Solidarität erfahren sollte. Es ging immer nur darum, die eigenen maximalen Forderungen durchzusetzen, keinen Meter zurückzuweichen. Es ging letztendlich nicht mehr um das türkische Volk und deren Sicherheitsbedürfnis, sondern um das eigene Wohlbefinden im kleinen Kreis. Der Offenbarungseid fehlt in diesen Kreisen gänzlich und solange das anhält, wird die uneingeschränkte Solidarität weiterhin den Opfern zuteil, die damit nichts zu tun hatten.
 

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