Die Hoffnung des Volkes ist Kılıçdaroğlu!

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Der Vorsitzende der türkischen Oppositionspartei CHP Kemal Kılıçdaroğlu, klammert sich trotz einer desaströsen Politkarriere wacker am Chefsessel fest. Dieser Starrsinn hat auch etwas mit der Biografie Kılıçdaroğlus und dem Machtapparat innerhalb der CHP zu tun.

„Die Hoffnung des Volkes ist Kılıçdaroğlu!“ riefen die Fraktionsmitglieder der CHP in einem Beifallsrausch, als der mandatslose CHP-Vorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu keck in den Saal im türkischen Parlament hereinmarschierte und sich minutenlang abfeiern ließ.

Zwar hat man mit der Eröffnung der ersten Fraktionssitzung das Ende der Sommerpause eingeläutet und damit die Ärmel wieder hochgekrempelt, aber die Show erinnerte auch ein wenig an die Würdigung eines Siegers, der doch keiner ist. Seit der Übernahme des CHP-Vorsitzes hat der 74-jährige Kemal Kılıçdaroğlu zehn Wahlen infolge verloren. Vermutlich würde der türkische Politiker damit anstandslos einen Platz im Guinness-Buch der Rekorde einheimsen.

Ungerührt und starrsinnig hält Kılıçdaroğlu bislang an seinem Chefsessel fest. Zuletzt paktierte er mit der völkisch-kurdischen HDP, erhaschte die Aufmerksamkeit der Gülen-Sekte, setzte sich mit Sprösslingen aus dem Dunstkreis der AKP zusammen, die unter der Führung von Recep Tayyip Erdoğan in Ungnade gefallen waren und eigene Kleinstparteien gegründet hatten. Er klammerte sich noch heimlich an den Hosenbund des Vorsitzenden Ümit Özdağ von der Zafer Partei, um bei der Stichwahl im vergangenen Mai dann doch mandatslos dazustehen.

Irgend etwas hält den 74-jährigen trotz anderslautender Bekundungen vor all den Wahlen und den anschließenden desaströsen Ergebnissen am Chefsessel fest, aber was? Das Verhalten und die politische Bilanz widerspricht nicht nur allen rudimentären politischen Regeln, sondern stellt auch die Vorstellung von Moral, zweckmäßigen gemeinnützigen Verhalten auf den Kopf. Und das von einer Person, dass sich als volksnah, edel und als Demokrat anpreist.

Der kecke Einmarsch in die erste Fraktionssitzung der CHP nach der Sommerpause, erweckte am Dienstag bei Beobachtern eine Mischung aus Ratlosigkeit, Verwunderung und der Sorte Mitleid, die man für Figuren übrighat, die aus der Zeit gefallen sind.

Aber noch interessanter war der geschlossene Fraktionsblock, dass im Chor „Die Hoffnung des Volkes ist Kılıçdaroğlu!“ rief und minutenlang im Gleichtakt Beifall klatschte. Das erinnert unweigerlich an die Schmährufe von CHP-Wählern gegenüber AKP-Politikern und Wählern. Von Huldigung eines Halbgotts war seinerseits die Rede, von einer Schafsherde die blindlinks Erdoğan folgen würden. Das Repertoire der CHP war so vielfältig, wie die türkische Sprache in diesen Belangen mächtig ist, um den Kontrahenten und die Wähler zu schmähen und zu erniedrigen.

Und dann sehen wir diesen Auftritt am Dienstag und gehen ein wenig in uns! Mal ehrlich, hat man den AKP-Wählern damit nicht Unrecht getan, angesichts dieser Bilder, die die CHP-Fraktion lieferte?

Warum hält eigentlich die Fraktion an diesem altersstarrsinnigen Mann fest, dessen einziger Erfolg bislang es war, den CHP-Vorsitz zu ergattern, weil der Vorgänger über einen fingierten Sex-Skandal stolperte?

Der Ruf der Partei, von Gazi Mustafa Kemal Atatürk abzustammen und dessen Grundpfeiler zu repräsentieren, ist nicht nur lädiert, die Partei muss sich auch noch mit einem Mitgliederschwund beschäftigen, die sie selbst verursacht hat. Die letzten wackeren linientreuen Atatürkisten haben das Feld geräumt, um die verbliebenen Parteigenossen von außen heraus noch zur Räson zu bringen; ohne Erfolg.

Wie selbstverständlich hat sich in der Zeit unter dem Vorsitz von Kılıçdaroğlu ein harter verkrusteter Kern gebildet, deren einziges Ziel es ist, die Macht Kılıçdaroğlus zu erhalten und damit die eigene Macht und Position zu sichern und zu schützen.

Die Weigerung die eigene Position jüngeren und dynamischeren Nachfolgern zu überlassen, lässt sich anhand der Mandatsperioden ablesen, die dieser verkrustete Kern sich bislang sichern konnte. Und am Streit, der sich derzeit um die Kandidaten dreht, die sich anschicken, den Parteivorsitz übernehmen zu wollen; wohlwissentlich, dass der erste Kandidat ein Ziehsohn und damit ein Schattenboxer ist und dem zweiten Kandidaten keine Chancen eingeräumt werden, weil dieser extra hierfür bestellt wurde.

Die Abgrenzung nach unten, aus denen sie doch selbst kamen, kann die Arroganz also kaum verdecken. Zudem hält der Egoismus die Parteispitze fest im Griff und dieser Schutzmechanismus ist ein Hauptgrund dafür, dass der Kern der Wählerschaft immer mehr nach "Abdankung" schreit. 

Wenn man nun die Kaffeesatzleser, also Medien- und Umfrage-Analysten und Politologen, hört, die wie immer nur in oppositionsnahen Medien herumtingeln, könnte man meinen, es wäre alles in Butter, wenn man nur oft genug auf die schwierige wirtschaftliche Lage hinweist, Veränderung vorgaukelt und das Blaue vom Himmel verspricht. Aber ob das ausreicht, angesichts des bisherigen Werdegangs der Partei, die stets dieselbe Taktik angewendet hat und doch leer ausging? Gerade diese immer wiederkehrende Wahlkampftaktik hat zwar die Kernwählerschaft bislang begeistert, wird aber offensichtlich dieses Mal nicht ziehen und eine weitaus größere Niederlage einbringen als bislang, weil sie nach "Abdankung" schreien.