Berlinale und der „antisemitische Genozidvorwurf"

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"Antisemitischer Genozidvorwurf"? Staatstragende Politik und Medien in Deutschland empören sich gerade darüber, dass Israel im Rahmen der Berlinale Genozid und Apartheid vorgeworfen wurde.

Die kollektive Schnappatmung des Establishments geht so weit, dass ein Justizminister unverhohlen mit dem Strafrecht droht, während die Politik öffentlich darüber sinniert, wie man die Renitenz des vermeintlich durchgeknallten Kunst- und Kulturbetriebs sanktionieren kann.

Ordnen wir das doch mal kurz ein:

Südafrika klagt derzeit gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH). Das höchste Gericht der Vereinten Nationen (UN) nimmt den Vorwurf sehr ernst und attestiert der Klage Plausibilität.

Wir befinden uns also in einem Stadium, in dem man sachlich völlig angemessen und ohne Vorverurteilung von einem mutmaßlichen Genozid reden kann.

Der zweite skandalisierte Vorwurf auf der Berlinale bezieht sich auf jenen der Apartheid.

Auch dieser Vorwurf ist derzeit Gegenstand von Verhandlungen vor dem Internationalen Gerichtshof, der im Auftrag der UN-Generalversammlung ein umfassendes Gutachten über Israels Besatzungsregime im Westjordanland und Ost-Jerusalem erstellen wird.

Hier dürfte die Wahrscheinlichkeit, dass der IGH Israel…

  • eine völkerrechtswidrige Siedlungspolitik als Kriegsverbrechen im Westjordanland und Ost-Jerusalem;
  • eine rechtswidrige Annexion Ost-Jerusalems;
  • Verstoß gegen das Verbot der nachhaltigen Veränderung der demographischen Zusammensetzung besetzter Gebiete;
  • sowie den Aufbau eines Apartheidssystems als Folge der Siedlungspolitik;

... attestieren wird, extrem groß sein, da es in all diesen verhandelten Fragen seit Jahrzehnten ignorierte rechtsverbindliche Resolutionen des UN-Sicherheitsrates gibt. 

Es dürfte als nahezu ausgeschlossen gelten, dass die Richter des UN-Tribunals diese über Jahrzehnte letztlich durch die UN selbst geschaffene Rechtsgrundlage auf den Kopf stellen werden, zumal Israel die ihm zur Last gelegten Taten ja gar nicht abstreitet. Israel bestreitet, dass die einschlägigen Normen und Vorschriften des Völkerrechts auf Israels Praxis und Politik im Westjordanland anwendbar seien, weil Israel in seiner (biblischen) "Heimat" nicht den Normen und Vorschriften einer Besatzungsmacht unterworfen werden könne. Israel bestreitet also, Besatzungsmacht zu sein.

Mit dieser Selbsteinschätzung wiederum steht Israel weit und breit alleine da. Selbst die treuesten Unterstützer Israels auf der internationalen Bühne - die USA und Deutschland - betrachten Israel formal als Besatzungsmacht.

Kommen wir also zurück zur Berlinale und das politisch-mediale Empörungskarussell:  

Nicht nur, dass sich das höchste völkerrechtliche Tribunal ernsthaft mit beiden Vorwürfen beschäftigt - so absurd können sie also gar nicht sein - insbesondere mit Blick auf die Besatzungspraxis und ihre Folgen konterkariert die politische Reaktion auf die Berlinale auch noch die eigene offizielle Positionierung aller Bundesregierungen der letzten Jahrzehnte.

Es steht sachlich begründet und seriös der Vorwurf im Raum, dass Israel sich des Genozids schuldig macht und ein Apartheidsregime in den besetzten Gebieten unterhält, was ebenfalls als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen wäre. 

Was genau ist also nun daran „antisemitisch“ oder was genau gibt es daran zu skandalisieren, dass Menschen eine politische Haltung aus dieser Konstellation derivieren und sie prominent artikulieren? 

Wohlgemerkt: selbst wenn sich beide Vorwürfe am Ende als haltlos herausstellen sollten, was ich allerdings für extrem unwahrscheinlich halte.

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