Syrien: Nur der Irrtum weist den Weg zur Wahrheit

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Nach der Offensive der syrischen Rebellengruppen aus Idlib, unter der Führung der HTS, die Syrien vom Assad-Regime befreit haben, stecken Europa und die USA in einem richtig großem Dilemma. Der Gewinner ist die Türkei!

Gewohnt selbstgerecht unterdrückte Europa und die USA mehr als ein Jahrzehnt die Meinung und Haltung der Syrer. Was wollte die syrische Bevölkerung eigentlich zu Beginn der Massenproteste? Wie fühlten sie sich, als die ersten Giftgas-Angriffe Assads gegen die Zivilbevölkerung bekannt wurden? Wie reagierte man auf Assads Fassbomben? Wer stand zuletzt den Syrern zur Seite?

Ehrlich gesagt übten sich Europa und die USA in gewohnter Art in ihrer eigenen Unfehlbarkeit. Es wurde kein Meinung angehört, kein Widerspruch geduldet, sondern nur die eigenen Ideen wiederholt, so oft, dass die eigene Meinung, der eigene Gedanke, zur einzigen Wahrheit wurde.

Und jetzt stehen Europa und die USA wie der Ochs vorm Berg und mit einem Bleistift in der Hand, die sie nirgendwo ansetzen können, wie einst beim Sykes-Picot-Abkommen. Dagegen wirkt die Türkei souverän, nicht nur als regionale Macht, sondern als internationale Macht. Die Türkei kann also nicht nur in der Welt Spielchen verderben, sondern in der Region ihre eigenen Spielchen treiben.

Aber das nur mal am Rande gesagt: Es ist der langanhaltenden Geduld und dem Auftritt auf der moralischen Seite geschuldet, dass die Türkei derzeit souverän auftreten kann, wie man es unlängst am Besuch des Leiters des türkischen Geheimdienstes Millî İstihbarat Teşkilâtı (MIT), Ibrahim Kalin, in Damaskus erleben konnte.

Die Türkei hielt sich als einziger auf der Seite der syrischen Bevölkerung auf; ohne einen Unterschied zur Ethnie, Religionsangehörigkeit oder politischen Hintergrund zu machen. Das merkt man an der Aufnahme der Hunderttausenden syrischen Flüchtlinge, der türkischen Sicherheitszone rund um die Region Idlib sowie die Sicherheitszone entlang der türkischen Grenze, in der Hunderttausende Binnenflüchtlinge ungeachtet ihres ethnischen, religiösen Hintergrunds Zuflucht fanden.

Dagegen schwang sich Europa und die USA zum Beschützer der "syrischen Kurden" auf, während alle anderen links liegen gelassen wurden. Schnell fand man Gefallen am ausgemalten Demokratisierungsbild, der Vielfalt, die von der YPG, PYD und SDF angepriesen wurde. Niemand interessierte es, was die syrische Bevölkerung innerhalb dieser "kurdischen Selbstverwaltung" dachte oder fühlte. Niemand interessierte es, wer gegen die Schlächtern des Islamischen Staates (IS), gegen die iranisch-schiitischen Milizen, Assads Schergen gekämpft und am meisten Blutzoll gezahlt hatte. 

Stattdessen wurden die YPG, SDF und ihr politischer Arm PYD von Europa und den USA beweint, bewundert, hofiert, während diese innerhalb ihrer Selbstverwaltung geradezu Leibeigene hielten und jene, die sich nicht fügten, in Assad-Manier aus dem Weg räumten.

Konnte das gut gehen? Dachte man wirklich, es handle sich bei den YPG, SDF bzw. PYD um einen Gartenverein?

Die YPG, SDF bzw. PYD stand schon in der frühen Phase des syrischen Bürgerkrieges auf der falschen Seite der syrischen Bürgerkriegs-Geschichte. Mal stand man Assad Gewehr bei Fuß, z. B. bei der Einnahme Aleppos im Jahre 2016, dann mal mit schiitischen Milizionären in Manbidsch, deren Brutalität über die Landesgrenzen hinweg bekannt ist. Auf keinem Fall durften dabei die eigenen Fahnen allein in der Luft schweben. Und dann standen noch die russischen Soldateskas und die US-GI`s im Raum, deren Fahnen je nach aktueller politischer Großwetterlage die Gebäude der "kurdischen Selbstverwaltung" selbst schmückten, während deren Bomben die Zivilbevölkerung dezimierten. 

Und gegenwärtig? Gegenwärtig hat man wieder zu der alten guten syrischen Fahne mit den drei Sternen gefunden und hängt sie öffentlich auf.

So oft wie die PKK ihren Namen in YPG, SDF, PYD und weiteren unzähligen Dreibuchstaben wechselte oder erweiterte, so oft wechselte man und erweiterte auch das Fahnenmeer, unter der man sich sicher wähnte und in Erwartungshaltung verharrte. Heute ist man sogar so zuvorkommend, dass man den Türken vorgeschlagen hat, den Großvater der Osmanen, Sulaiman Schah, höchstpersönlich zu seinem angestammten Platz zurückbegleiten; mit der türkischen Fahne.

Nun, was den Europäern und US-Amerikanern bislang vorenthalten wurde, ist nicht das Problem der Syrer oder der Türkei. Das Problem haben jetzt die YPG, SDF bzw. PYD, deren Existenzgrundlage ausgerechnet von jenen entzogen wird, die sie angeblich zu schützen versucht haben, sie angeblich in Demokratie und Vielfalt überführen wollten: Syrer, ob mit kurdischen, turkmenischen oder arabischen Hintergrund.

Das muss man erst einmal im Gaumen zergehen lassen: Da gibt es also mitten in Syrien in einer Oase der Glückseligkeit eine großartige Organisationsstruktur mit vielen Dreibuchstaben, hinter der bis vor kurzem eine Großmacht und Europa auf der einen Seite und Assad sowie eine weitere Großmacht mit einem "Schurkenstaat" auf der anderen Seite standen. All diese Nationen unterstützten diese Organisationsstruktur mit Waffen, Geld und entsprechendem politischer Rückendeckung. Jetzt fehlen Russland, Assad und der Iran. Und dann passiert noch etwas!

Es stehen doch noch die USA und Europa hinter dieser kunterbunten Dreibuchstaben, da kann die Türkei nicht einmal ansatzweise mithalten, richtig? 

Aber, in den meisten Kerngebieten östlich und westlich des Euphrats, rebelliert die syrische Bevölkerung gegen die YPG, SDF bzw. PYD. Nicht weil man als Bevölkerung in den von den YPG, SDF bzw. PYD besetzt gehaltenen Gebieten sich mehr von den Türken oder der Syrische Nationale Armee (SNA) erhofft, sondern, weil man hier ehrliche Partner und die eigenen Brüder und Schwestern, Söhne und Väter Syriens vorfindet. Oder glaubt man im Ernst noch, Geld und Macht regiert die Welt, vor allem nach mehr als 13 Jahren Bürgerkrieg?

2013 bezeichnete Ibrahim Kalin, damals noch Chefberater des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, die Isolation der Türkei in ihrer Syrien-Politik als „wertvolle Einsamkeit“. Der Begriff stand für die bewusste Entscheidung der Türkei, eine eigenständige Haltung in der Region einzunehmen, auch wenn dies zu einer Distanzierung von internationalen und regionalen Partnern führte. Diese Strategie wurde sowohl kritisch hinterfragt als auch als Ausdruck von Prinzipienfestigkeit betrachtet und negiert. Heute steht dıe Türkei nicht einsam da, sie hat die Herzen des syrischen Volkes gewonnen.