Energiepreise bestimmen fortan, welche Konzerne und Unternehmen in der EU überleben. Es droht die Kernschmelze. Die Politik sucht verzweifelt nach Lösungen und überbrückt die Zeit damit, Ankara in Regress zu nehmen.
Der Mainstream hat inzwischen den Urheber dieses Problems festgestellt: die Türkei. Immer mehr Stimmen in Deutschland fordern von der Bundesregierung, die Türkei für ihre inkonsequente Russland-Politik abzustrafen. Ihre Begründung: Ankara tue viel zu wenig, damit die EU-Sanktionsmaßnahmen greifen.
Wirklich? Ja, die EU rollt in eine riesige Insolvenzwelle hinein. Die Wirtschaft steht kurz vor einem Kollaps, weil die Herzschrittmacher der Wirtschaft mit den Energiepreisen nicht mithalten können. Das bedeutet, dass die hergestellten Waren und Artikel in der Welt nicht mehr konkurrenzfähig sind. Zudem werden Rohstoffe teurer, der Absatz schwindet, dem Exportweltmeister Deutschland droht die Pleite auf ganzer Linie.
Was hat aber die Türkei damit zu tun? Die explodierenden Energiepreise kann sie nicht beeinflussen. Russland lässt sich auch nicht davon abbringen, den Krieg gegen die Ukraine fortzusetzen. Putin droht sogar damit, neben den Gasexporten auch die Ölexporte einzustellen.
Russland kann aus der Komfortzone heraus bestimmen, wer fossile Rohstoffe bekommt, wer nicht. Abnehmer gibt es genug, die gegenüber Russland ihre Neutralität wahren. Verkäufe in den Nahen Osten und Asien haben die rückläufigen Exporte von Gas und Öl nach Europa wettgemacht, und aufgrund des höheren Preises verdiente sich Moskau dumm und dämlich. Zudem, rund zweidrittel der Welt schaut tatenlos zu, während ein kleiner Teil sich mit Russland anlegt.
Angesichts dessen fragt man sich unweigerlich, ob Brüssel, Berlin oder Paris sich von der Verantwortung stehlen und dafür die Türkei als Grund der Einflusslosigkeit der verhängten Sanktionen gegen Moskau zu Felde führen.
Ist ja nicht so, dass die EU alle Brücken nach Moskau abgerissen hat. Von den Gas- und Ölexporten aus Russland sind sie nach wie vor nicht gänzlich abgeschnitten. Nur werden diese Lieferungen anderweitig etikettiert, von Drittstaaten übernommen, z. B. Griechenland oder Indien. Weizenfrachter aus der Ukraine und Russland löschen ihre Fracht weiterhin an europäischen Häfen, was Putin dazu veranlasste, ein Machtwort zu sprechen und auf die hungernde Dritte Welt hinzudeuten, die leer ausginge.
Ist es doch nur eine Nebelkerze der EU, die Türkei zu Felde zu führen, um die eigene desolate Politik zu verschleiern? Offensichtlich, denn die Kritik an Brüssel und weiteren Hauptstädten der Europäischen Gemeinschaft zehren an der eigenen Glaubwürdigkeit.
Experten bezweifeln nämlich zunehmend, dass die EU adäquate Antworten parat hat, den Wohlstandsverlust aufzuhalten. Viel zu aufgebläht ist der Regierungsapparat in Brüssel oder Berlin, viel zu langsam und inkonsequent werden Entscheidungen getroffen. Entlastungshilfen entpuppen sich bei näherer Betrachtung aufgrund der daraus erzielten Steuermehreinnahmen als Geldsegen der Regierungen selbst. Debatten führen meist ins Nichts, während die Energiepreise vorgeben, wer am Ende noch auf den Beinen steht. Ein Ausverkauf des erworbenen Wohlstands findet statt, die man nicht einmal in den letzten beiden Weltkriegen erlebt hat.
Das macht den EU-Regierungen Angst. In Schweden fanden Wahlen statt, in Italien finden sie noch statt. In weiteren EU-Ländern gewinnen Rechtskonservative Stimmen, während Regierungsparteien um ihre Stimmen fürchten müssen.
Die Türkei sitzt wie alle Nationen dieser Erde im selben Boot, aber aus der Not heraus hat sie eine Tugend daraus gemacht. Spätestens dann, als die Inflation bei über 80 Prozent lag, konnte niemand der Türkei ernsthaft vorwerfen, nicht alles unternommen zu haben. An den Sanktionen gegenüber Russland hat sich Ankara so weit es geht beteiligt, wird aber nicht sehenden Auges das Land gegen die Wand fahren. Soviel Selbsteinschätzung darüber, was man noch verkraften kann, liegt nicht im Ermessen Brüssels oder Berlins, sondern Ankara.
Man hat Ankara auch nicht die nötige Unterstützung dargeboten, um die Wirtschaft zu stabilisieren, wie man es derzeit den Südländern gönnt. Insofern ist es doch recht befremdlich, von Ankara weiterhin vollsten Einsatz zu erwarten, während man ihr nicht die nötige Solidarität zukommen lässt. Man kann mit Ankara in diesem Ton reden, wenn die eigene Inflationsrate zwei Stellen vor dem Komma hat, wenn es denn überhaupt dazu kommt!