Als das türkische Militär noch sich selbst überlassen war...

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Letzte Woche fand in Ankara die Sitzung des Obersten Militärrats der Türkei (YAŞ) statt und die Entscheidungen wurden der Öffentlichkeit bekannt gegeben. Manche werden nun Schulter zuckend "na und?" sagen. Andere werden melancholisch über vergangene Zeiten ziehen.

Bei Letzteren gibt es zwei Gemütszustände. Die eine in der Türkei, die aufatmet und die andere im Ausland, die resigniert feststellt, dass die Zeiten vorbei sind, wo man von "unsere Jungs" spricht. Im Ausland, vor allem im Westen, verklärte man das Militär stets als Hüter der säkularen Verfassung und des Erbes von Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk, womit man Putsche relativ teilnahmslos verfolgte. Aber in der Türkei sieht man das Militär als Garant für Land und Leute. Seit 1960 intervenierte das Militär vier Mal, um unliebsame Regierungen abzusetzen und richtete dabei die Waffe auch gegen das Volk.

Nur kurze Zeit nach dem gescheiterten Putschversuch von 2016, sprach man im Westen bereits von einem "Sicherheitsregime", dass das Militär mit der Entlassung der Hälfte der Generalität des Heeres, der Luftwaffe und Marine gefügig gemacht habe. Kein Wort davon, dass diese Generäle über 8.000 Soldaten verschiedener Waffengattungen mobilisiert, 35 Kampfflugzeuge, 3 Schiffe, 37 Kampfhubschrauber sowie 74 Kampfpanzer und weitere 246 gepanzerte Fahrzeuge in Marsch gesetzt hatten.

Eine von Gülenisten durchsetzte Militärhierarchie hatte in der Nacht vom 15. zum 16. Juli 2016 den Befehl dazu gegeben und den türkischen Generalstabschef Hulusi Akar festgesetzt, um dessen weiteres Eingreifen in den Putschversuch zu verhindern. Danach richtete sich das Hauptaugenmerk auf den Nachrichtendienstchef der MIT, Hakan Fidan, und das Hauptquartier der Sondereinsatzkräfte des Militärs. Danach richtete man die geballte Kraft gegen das Polizeipräsidium und das türkische Parlament, während man die Menschen niedermetzelte.

Damit war ein Punkt überschritten, ein Wendepunkt eingeleitet. Eine Rückkehr in altbekannte Mechanismen, die die säkulare Verfassung oder das Erbe hochhielten und es vor sich hertrugen, um dahinter die Waffen gegen das Volk zu erheben, war nicht mehr möglich. Eine weitere Kontrollinstanz war nötig; außer dem Nachrichtendienst, dass den Putschversuch zwar rechtzeitig bemerkte, aber den gut unterrichteten Putschisten den Startschuss gab, vorzeitig auszurücken und mit Waffengewalt die Regierung zu stürzen.

Seit dem gescheiterten Putschversuch untersteht die Gendarmerie nicht mehr dem Militär, sondern dem Innenministerium. Die Sitzung des YAŞ findet nicht mehr im Militärhauptquartier statt, sondern im Beisein des türkischen Präsidenten sowie des Kabinetts im Präsidentenpalast auf dem Beştepe-Areal. Zuvor wird die Sitzung mit einem gemeinsamen Besuch des Mausoleums Atatürks eingeläutet.

Vor 2016 waren die Sitzungen der YAŞ geprägt von Gerüchten, Zerwürfnissen und Krisen. Zumindest gab es sehr viele Journalisten, die ellenlange Schlagzeilen bastelten und damit Sprachrohr für den einen oder anderen Kandidaten oder dem Militärrat wurden. Offensichtlich scheinen diese Zeiten vorbei zu sein, gibt es offensichtlich in diesem Geschäft nichts mehr zu verdienen.

Gegenwärtig interessiert es keinen Journalisten mehr, wer da pensioniert, in einen höheren Rang befördert oder der neue Generalstabschef geworden ist. Oder haben Sie etwa aktuell gegenteiliges vernommen? Von einigen Artikeln abgesehen, die die Neulinge bekannt machen und manch einem Offizier a.D., der in alten Erinnerungen schwelgt, nichts, was die Gemüter in Wallung bringen könnte.

Die Hoffnungen mancher, man würde wieder in die gute alte Zeit zurückkehren, endete am 14. Mai, wurde am 28. Mai vollends begraben. Daher die ungewohnte Stille.

Zugegeben, nicht alle Sitzungen der YAŞ bis zum 16. Juli 2016 waren medial aufgebauschte "Krisengipfeltreffen". Manche fanden auch recht ruhig und besonnen statt, vor allem während der Amtszeit des verstorbenen Ministerpräsidenten Bülent Ecevit. Der nahm an der Eröffnung teil, die mit dem Besuch des Mausoleums eingeläutet wurde, und saß mit am Runden Tisch, bis das Postengeschachere beendet wurde.

Das türkische Militär entschied bis dahin völlig autonom, wer welchen Rang erhielt, wer pensioniert wurde. Es gab also kein Aufsehen, nichts, was das Volk zu interessieren hatte. Was sollte die Bürokratie in Uniform von Gott noch erwarten? Es lief doch alles nach ihren Vorstellungen!

Jahrelang spielten Institutionen in der türkischen Sicherheitsarchitektur wie der Nationale Sicherheitsrat, das Ministerium für Nationale Verteidigung und der Oberste Militärrat (YAŞ) eine wichtige Rolle bei der Zementierung der institutionellen Autonomie der türkischen Streitkräfte.

Die Soldaten in Uniform des Generalsekretärs des Nationalen Sicherheitsrats bestellten den Ministerpräsidenten und das Kabinett zu gegebener Zeit und an gegebenem Ort ein und aus, forderten mit Nachdruck ihre Unterschriften ein oder sprachen ein Machtwort aus.

In der Zwischenzeit unterstützte die Journaille, die der Führung des Generalstabs zuarbeiteten, die interventionistische Position des Militärs mit Feder und Stimme über Zeitungen und Bildschirme.

Erinnert sich jemand noch an Sedat Ergin? Ergin, Kolumnist der Tageszeitung Hürriyet, berichtete häufig darüber und stets in Anlehnung an eine anonyme Nachrichtenquelle in Militärkreisen. Eines der bekanntesten Kolumnen von Ergin ist die Rede eines Generals namens Osman Özbek, in der Schimpfwörter vorkamen.

Der besagte General hatte in einer mit Schimpfwörtern gespickten Rede über die Pilgerreise von Ministerpräsidenten Erbakan gesagt: "Ein Mann würde nicht hingehen, um bei diesem König Gast zu sein". Damit winkte Özbek mit dem Zaunpfahl gegen Erbakan wie auch einzelne Soldaten, die Erbakan ernst nehmen könnten. Trotzdem wurde der betreffende General auf der nächsten YAŞ-Sitzung in den Rang eines Generalmajors befördert.

Sedat Ergin ließ es sich nicht nehmen, die Schlagzeile der Zeitung Hürriyet unmittelbar nach Özbeks beleidigender Rede auf die Spitze zu treiben: "Weitere harte Worte werden folgen". Im Einzelnen erklärte Sedat Ergin, dass das Messer nun am Knochen anliege, dass der betreffende General zu viel gesagt habe und dass der Pascha mit Glückwünschen überhäuft würde.

Gegenwärtig sind alle Demokraten, nur Erdoğan ist ein Autokrat und antidemokratisch. Das glauben tatsächlich viele, links wie rechts, liberal wie konservativ und vor allem das westliche Ausland.

Das ist nicht nur eine Sicht von mir, sondern auch aus der Sicht eines ehemaligen Soldaten namens Erol Özkasnak so. General Erol Özkasnak, der zu dieser Zeit Generalsekretär des Generalstabs war, sagte in einem Interview folgendes:

"Um mit der damaligen Führung des Generalstabs zusammenzuarbeiten, hat die gleiche Journaille, die versucht hat, sich bei den Befehlshabern beliebt zu machen, die noch so kleinsten Nachrichten aus militärischen Quellen in die Schlagzeilen überführt und zeitgleich die Nachrichtenquelle angeprangert, bevor die Führung etwas dazu sagen konnte. Heute behauptet dieselbe Journaille, dass ich die Quelle untersuche."

Noch Fragen?

Bis 2021 schrieben diese Kolumnisten Artikel über die Entscheidungen der YAŞ, und nach jedem kritischen Artikel wurden sie in der Titelschlagzeile als "demokratische Journalisten und Experten" bekannt gemacht. Was will man mehr? Und was hat sich heute geändert?

Nach dem 15. Juli wurden viele Bereiche der institutionellen Autonomie innerhalb der türkischen Streitkräfte reformiert und demokratischen Normen unterworfen. Die Zusammensetzung des Obersten Militärrats (YAŞ) ist eines davon.

In der vorherigen Zusammensetzung des Rates hatte die zahlenmäßige Überlegenheit des Militärs und die Tatsache, dass Entscheidungen durch Mehrheitsbeschluss getroffen wurden, den Rat von einem beratenden Gremium in eine Plattform verwandelt, in der das Militär jede beliebige Entscheidung treffen konnte.

Insbesondere gab es Bilder, in denen der Ministerpräsident und der Generalstabschef offensichtlich gleichberechtigt am Ende des Tisches saßen, was man als politischen Zirkus bezeichnen könnte. Jetzt laufen die Dinge aber so ab, wie sie sein sollten.

Der Oberkommandeur wird durch Wahlen aus den Reihen der Soldaten und der Regierung gebildet, die seit Jahren in den türkischen Streitkräften dienen. In der früheren Zusammensetzung stand die Frage, wer befördert wird, nur unter der Vormundschaft der Militärs.

In gewisser Weise wurde die Trommel auf die Schultern der Politik geschnürt und die Schlägeln lagen in den Händen des Militärs. Jetzt sind sowohl Trommel als auch Schlägeln in den Händen der Politik. Was bedeutet das?

Sowohl die Kontrolle als auch die Verantwortung für Entscheidungen, die von nun an getroffen werden, liegen bei der politischen Macht. Deshalb sollten die Regierungen nicht vergessen, dass die Verantwortung für falsche Entscheidungen auf ihren Schultern lasten.