Im Schatten des Ukraine-Konflikts: Syrien

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Der in Syrien seit 11 Jahren schwelende Bürgerkrieg droht im Schatten des Ukraine-Krieges erneut aufzuflammen. Am Mittwoch warnten die Vereinten Nationen eindringlich vor einem Aufheizen der Frontlinien zwischen allen beteiligten Parteien.

„Syrien kann sich eine Rückkehr zu größeren Kämpfen nicht mehr leisten, aber dorthin könnte es sich bewegen“, sagte UN-Kommissionschef für Syrien, Paulo Sergio Pinheiro, während einer Pressekonferenz in Genf.

Die Lage war nie so ernst wie gegenwärtig, sagen auch syrische Journalisten, die im Exil in Europa leben. Zudem droht eine neue Flüchtlingswelle in Richtung Europäische Union. Mehrere syrische Flüchtlinge in der Türkei hatten in einem Aufruf unter dem Motto „Karawane des Lichts“ Landsleute dazu aufgerufen, sich in Gruppen in Richtung Europa zu bewegen.

Es scheint für die Syrer keinen anderen Ausweg zu geben, als das Weite zu suchen, am besten in Richtung Europa. Angestachelt von jüngsten Berichten über Foltergefängnisse des syrischen Regimes in Aleppo, die jetzt ein Militärfotograf nach Jahren publik machte, erhält die Kampagne „Karawane des Lichts“ regen Zulauf.

In der vergangenen Woche hatte ein übergelaufener syrischer Militärfotograf hochbrisante Fotos veröffentlicht, die an die Folter-Bilder von „Caesar“ erinnern. Die veröffentlichten Bilder bewiesen, dass das syrische Regime von Baschar al-Assad Zehntausende Syrer zu Tode quälen ließ. Jetzt spricht man von 800 Opfern, die alleine im Jahr 2014 der Militärfotograf auf Bildern festhalten sollte. Seine Aufgabe bestand darin, zwischen 2014 und 2015 in rund 13 Monaten die Todesopfer zu fotografieren.

Die jüngsten Bilderfluten bestätigen den Eindruck der Syrer, die vorsorglich vor den Schergen des Assad-Regimes geflohen sind. In Syrien selbst werden sie keine Ruhe finden. Nach mehr als 10 Jahren andauernden Konflikts, eine späte Einsicht, wie viele sagen. Etwa 7,3 Millionen Syrer wurden zu Binnenflüchtlingen. Davon leben 4,3 Millionen im Nordwesten, also im Kontrollbereich der türkischen Sicherheitszone. Weitere 3 Millionen im Nordosten des Landes.

Weitere 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge leben in der Türkei, was zusammen genommen mehr als die Hälfte der syrischen Bevölkerung ist, wenn man noch die Flüchtlinge im Libanon oder in Deutschland mitzählt.

Ein Aktivist der „Karawane des Lichts“ wird noch deutlicher. Es sei eigentlich ganz einfach. Die Mehrheit der Syrer lebe außerhalb der Kontrolle des syrischen Regimes und Zurückkehren kommen nicht infrage. Noch immer würden Menschen aus den Gebieten fliehen, die unter der Kontrolle des Regimes stehen.

Nicht wenige Syrer würden lieber in Lagern verhungern, als zu riskieren, vom Assad-Regime inhaftiert, gefoltert und vergewaltigt zu werden. Das bestätigen auch die Zahlen. In 3 Jahren sind weniger als 1 Prozent der syrischen Flüchtlinge zurückgekehrt und wenn man Umfragen in der Türkei Glauben schenkt, so sind es immer noch 1 Prozent, die das in Zukunft eventuell in Betracht ziehen, wenn denn die Sicherheit gewährleistet werde.

Dennoch haben die Vereinten Nationen offenbar ein Programm aufgesetzt, die die Rückkehr von syrischen Flüchtlingen erheblich verstärken soll. Syrische Aktivisten gehen davon aus, dass das Assad-Regime dabei eine Rolle spielt. Die Stimmung unter den syrischen Flüchtlingen, vor allem in der Türkei, ist verständlicherweise auf dem Tiefpunkt angelangt. Vermutlich war das auch der Initialzünder, um die Kampagne „Karawane des Lichts“ zu starten.

Mit der Ankündigung der Kampagne „Karawane des Lichts“, die von syrischen Flüchtlingen in der Türkei gestartet wurde, um nach Europa zu migrieren, sind die Organisatoren dabei, die Einzelheiten der Kampagne im Detail bekannt zu machen.

Die Pläne zur Migration werden über einen Telegram-Kanal ausgearbeitet, der vor etwa zehn Tagen veröffentlicht wurde und gegenwärtig von über 85.000 Menschen verfolgt wird; Tendenz steigend. Die Organisatoren rufen dazu auf, Schlafsäcke, Zelte, Schwimmwesten, Wasser, Konserven und Erste-Hilfe-Sets mitzunehmen. Die französische Nachrichtenagentur AFP zitierte die Organisatoren mit den Worten: „Der Konvoi wird in Gruppen von 50 Personen aufgeteilt, die jeweils von einem Gruppenführer angeführt wird.“

Die The New Arab zitierte dahingehend einen syrischen Flüchtling namens Bilal Hussein: „Die Teilnahme an der Kampagne ist ein Versuch, das Leiden der Syrer hervorzuheben. Es könnte den Hohen Kommissar der Europäischen Union für Menschenrechte zwingen, ihnen die Aufmerksamkeit zu schenken und die Migration von Syrern zu erleichtern, indem es den Mitgliedsländern erklärt, die Flüchtlinge aufnehmen zu müssen, wie es Kanada und manchmal die Niederlande tun.“

Die Ankündigung der Kampagne ist auch den zunehmenden Anfeindungen gegenüber syrischen Flüchtlingen in der Türkei geschuldet, die von Oppositionsparteien genährt wird. Syrische Flüchtlinge klagen über verbale und körperliche Attacken. Das hat zur Folge, dass insbesondere Flüchtlinge in der Türkei sowie die Binnenflüchtlinge in Syrien sich angesprochen fühlen. Letztere leiden seit Wochen und Monaten unter mangelnden Hygienebedingungen und Lebensmittellieferungen. Und, der Winter steht bevor.

Ein syrischer Flüchtling in einem der ein Dutzend Flüchtlingscamps in der Region Idlib, die innerhalb der von der Türkei eingerichteten Sicherheitszone liegen, erklärte, Millionen Syrer hätten für die Demokratie protestiert. Der Westen habe sie aber ignoriert, in dem sie die Syrer zu Dschihadisten. Bis dahin habe es Europa nicht interessiert, was im Land passiert sei, bis die Syrer versucht hätten, nach Europa zu gelangen und Schutz zu suchen. Dann habe man es als Problem angesehen. Syrer wollten demnach keine verachteten Migranten werden. Sie wollten nur zu Hause in Würde leben. Heute bleibe Millionen nichts anderes übrig, als die gefährliche Reise nach Europa zu wagen.

Die Situation spitzt sich immer mehr zu, auch weil die kurdischen Milizen unter der Führung der YPG auf eigene Rechnung handeln. Syrer, die aus den YPG-kontrollierten Gebieten flüchten, berichten von Schikanen und Unterdrückung, bis hin zu willkürlichen Inhaftierungen oder Morden von Oppositionellen und Journalisten.

Die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), die seit Beginn des Konflikts im Februar 2011 das Regime von Präsident Baschar al-Assad unterstützte, hat überraschend die Seite gewechselt.

Quelle: WELT, „Der Krieg der Kurden auf eigene Rechnung“ vom 15. April 2013

Spricht man mit Ortsansässigen, so wird das Bild der YPG immer schiefer. Von wechselnden Allianzen ist die Rede, bei der die YPG mal an der Seite des Regimes kämpft, dann wiederum sich als verlässlicher Partner der westlichen Allianz ausgibt. Mal kämpft die YPG mit der Freien Syrischen Armee FSA, dann wiederum gegen sie. Einig sind sich die meisten, dass die YPG keinen angestammten Platz in Syrien hat, weil sie aus Kämpfern bestehe, die nicht aus den Regionen stammen, die sie kontrollieren. Das hat den Syrern in den umkämpften Regionen vollends die Kraft geraubt, in eine Zukunft zu blicken, in der sie im eigenen Land in Frieden leben können.